Freibrief für Fessenheim

Das elsässische Atomkraftwerk Fessenheim kann nach Einschätzung der französischen Atomaufsicht ASN mehrere Jahre weiter betrieben werden. Auch die anderen 57 Atomkraftwerke in Frankreich seien ausreichend sicher. Es müssten jedoch einige Verbesserungen umgesetzt werden, stellte die Atomaufsicht während der Präsentation ihres AKW-Stresstests gestern in Paris fest. Umweltschützer beiderseits des Rheins, soweit sie aus dem Urlaub zurück sind, reagieren empört.

Die AKW-Betreiber haben sechs Monate Zeit, um Vorschläge zu machen, wie die Verbesserungen umgesetzt werden. Die französische Atomaufsicht präsentierte die Ergebnisse des so genannten Stresstests, der nach der Atomkatastrophe in Japan für alle 143 Strommeiler in der Europäischen Union angeordnet worden war, reichlich verspätet. Der Bericht wurde erst gestern der Regierung in Paris übergeben, in anderen Staaten wie Deutschland zum Beispiel liegt der Report seit Monaten bereits vor. Premierminister François Fillon versprach, seine Regierung werde kontrollieren, dass die Empfehlungen umgesetzt würden.

Schönheitsreparaturenim Milliardenhöhe

Die Betreiber sollen die Anlagen materiell und organisatorisch krisenfester machen und deren Widerstandsfähigkeit bei Extremfällen stärken. Dazu zählen neben weiteren Hilfsaggregaten und Betonverstärkungen auch die Aufstellung einer Art „schneller Einsatztruppe“ für Atomanlagen: Sie soll in weniger als 24 Stunden an einem Unglücksort aktiv werden können. Vollständig solle diese Einsatztruppe bis Ende 2014 einsatzbereit sein, fordert die ASN.

Der Präsident der Atomaufsicht, André-Claude Lacoste, schätzt die Kosten der Verbesserungen auf „mehrere Dutzend Milliarden Euro“. Französische Umweltschützer bezeichneten die ASN-Vorgaben als „Schönheitsreparaturen“. Frankreich ist hinter den USA der weltweit zweitgrößte Betreiber von Atomkraftanlagen und bezieht 75 Prozent seines Stromes aus Nuklearreaktoren.

Der Sprecher eines Netzwerkes französischer Atomkraftgegner, Jean-Marie Brom, kritisierte die Ergebnisse im Nachrichtensender BFM-TV: „Das besagt rein gar nichts (…) Ich bezweifle die Unabhängigkeit der ASN.“ Die ASN habe einige zweifelhafte Punkte aufgelistet, um damit den weiteren Betrieb der Atomanlagen abzusichern. Brom verlangte unabhängige Gutachten.

Bei Kernschmelze: Rheinvergiftung

Fessenheim ist das älteste französische Atomkraftwerk. Die Betonplatte unter dem Reaktorbehälter von Block 1 ist nach Angaben von ASN nur eineinhalb Meter dick und die dünnste bei allen französischen Reaktoren. Bei einem schweren Unfall mit Kernschmelze könnte die Platte bersten und den Rhein radioaktiv verseuchen, befürchten Atomgegner. Der Meiler mit den beiden 900 Megawatt-Reaktoren ist seit 1977 in Betrieb und liegt etwa vier Kilometer von der deutschen Grenze entfernt (seemoz berichtete mehrfach). Atomkraftgegner auf beiden Rheinseiten forderten wiederholt die Stilllegung des Atommeilers in Fessenheim.

Der Termin für die Vorstellung der Stresstest-Ergebnisse so früh im Jahr war offensichtlich bewusst gewählt worden – viele Umweltschützer sind noch im Urlaub. So war beim BUND in Freiburg, üblicherweise Hauptakteur der Fessenheim-Proteste auf deutscher Seite, kein kompetenter Gesprächspartner zu erreichen: Der Aufschrei wird wohl noch eine Woche auf sich warten lassen.

Autor: hpk/dpa/SWR

 

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