Der akademische Mittelbau macht mobil

Neben den Professoren gibt es viele weitere wissenschaftliche Mitarbeiter an den Universitäten und Hochschulen des Landes, die den Forschungs- und Lehrbetrieb am Laufen halten. Diesen, dem sogenannten „akademischen Mittelbau“, geht es oft schlecht, denn sie bekommen nur befristete Verträge und/oder Teilzeitstellen und haben auch mit 35 oder 40 Jahren noch keine berufliche Perspektive. Eine Initiative will das jetzt – auch in Konstanz – ändern und veranstaltet am 22. 01. eine Podiumsdiskussion.

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Auf einem Klassentreffen zum 40-jährigen Abitur, einer Versammlung alter Säcke, die auf die 60 zugingen, traf ich das Mathe-Genie unserer Klasse wieder. Bei einem Bier versicherte ich ihm, dass wir alle schon in der siebten Klasse keinen Zweifel hatten, dass er einmal Professor würde, und in der Tat ist er heute Professor für Physik. „Das hört sich zwar gut an“, sprach der Schulfreund zu mir, „aber ich hatte nach dem Studium jahrzehntelang keine Festanstellung und musste mich von befristeter Stelle zu befristeter Stelle hangeln, mal in Europa, mal in den USA, immer nur für ein paar Jahre. Ich habe nicht gewusst, ob ich nach dem Auslaufen meines aktuellen Vertrages nicht arbeitslos werde und es dann auch lange bleibe, denn theoretische Physiker ab 40 haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer. Meine Festanstellung als Prof habe ich dann mit 50 gekriegt, und das war mein erster fester Job im Leben. Versuch‘ unter solchen Umständen mal, ein vernünftiges Familienleben hinzukriegen.“

Man merkt schnell, das Leben vieler Akademiker im Mittelbau ist kein Zuckerschlecken und vor allem von großer sozialer Unsicherheit und mangelnden beruflichen Perspektiven geprägt, und gegen diese halbfeudalen Verhältnisse regt sich jetzt Widerstand. Die Universitätsleitungen, genauer die KanzlerInnen der Universitäten, haben sich hingegen in ihrer „Bayreuther Erklärung“ ausdrücklich dafür ausgesprochen, den akademischen Mittelbau nach der Promotion auch weiterhin nur befristet zu beschäftigen.


Podiumsdiskussion „Mittelbau in der Misere – befristet oder in Ketten? Kritik und Alternativen zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz“. 22. Januar, 19:00 bis 20:30 Uhr, Raum A 703 der Uni Konstanz. Teilnehmen werden Jens Apitz (Kanzler der Uni Konstanz), Albrecht Koschorke (Professor für Literaturwissenschaft), Sibylle Röth (Vertreterin der akademischen Beschäftigten im Senat der Uni Konstanz) und Stefani Sonntag (GEW-Referentin für Hochschulfragen).


Hier die Erwiderung der Mittelbauinitiative in leicht gekürzter Fassung:

„Die Begründung dieser Forderungen geht von dem gesellschaftlichen Auftrag der Universitäten zur Ausbildung wissenschaftlich qualifizierter Fachkräfte für die Wirtschaft und den öffentlichen Dienst aus. Darauf aufbauend wird das „Modell befristeter Qualifizierungsphasen in den unterschiedlichen Bildungsformaten der Universitäten“ ins Spiel gebracht mit der Behauptung, es sei die „unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass dieses gesellschaftliche Ziel weiterhin erreicht werden kann“. Denn, so heißt es weiter, „umfassende Entfristungen im akademischen Mittelbau“ würden gefährden, dass „kontinuierlich Absolventinnen und Absolventen für Aufgaben in der Wissenschaft, Wirtschaft oder Verwaltung […] ausgebildet werden könnten“. Diese Begründung basiert auf einem verkürzten Bild des deutschen Wissenschaftsbetriebs und verschleiert durch den Verzicht auf notwendige Differenzierungen die eigentlich wesentlichen Punkte.

So gilt es zunächst entgegen der im Zuge dieser Begründung vorgebrachten pauschalen Behauptung, die wissenschaftliche Qualifizierung an den Universitäten bereite „überwiegend auf eine berufliche Karriere außerhalb des Wissenschaftssystems vor,“ zu unterscheiden zwischen der Ausbildung von Fach- und Führungskräften für Wirtschaft und Gesellschaft und der Qualifizierung für den wissenschaftlichen Betrieb selbst. Zweifellos handelt es sich bei der Qualifizierung für den außeruniversitären Bereich um eine Kernaufgabe der Universitäten. Sie betrifft jedoch vornehmlich Student*innen und, je nach Fachkultur und individueller Zielsetzung, auch Promovend*innen, in den allermeisten Fachkulturen aber sicher nicht den bereits promovierten akademischen Mittelbau. Eine weitergehende wissenschaftliche Qualifizierung, etwa in Form einer Habilitation, bereitet im Gegenteil überwiegend nicht mehr auf eine berufliche Karriere außerhalb des Wissenschaftssystems vor. Spätestens nach der Promotion gilt in den allermeisten Fachbereichen der Entschluss, weiterhin im wissenschaftlichen Betrieb an einer Universität zu arbeiten, als eindeutige Entscheidung für den universitären Karriereweg. Abgesehen von kurzen Postdoc-Phasen in den Naturwissenschaften macht man sich mit dieser Art der „Weiterqualifizierung“ für Wirtschaft und Verwaltung unattraktiver. Es ist uns unbegreiflich, wie die Kanzler*innen ihrer Argumentation ein derart unzutreffendes Bild der Karrierewege von promovierten Wissenschaftler*innen in Deutschland zugrunde legen können.

Dazu kommt, dass gerade der promovierte akademische Mittelbau mit seinem Beitrag zur universitären Lehre einen großen Teil der Qualifizierung zukünftiger Fachkräfte für Wirtschaft und Gesellschaft übernimmt. Die Personalgruppe, die von den Kanzler*innen infantilisierend als „wissenschaftlicher Nachwuchs“ bezeichnet wird, trägt also ganz erheblich zur Erfüllung des gesellschaftlichen Auftrags der Universitäten bei. Die universitäre Lehre, die in der Bayreuther Erklärung zu Recht als eine Daueraufgabe der Universitäten charakterisiert wird, rechtfertigt allein bereits ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis. Warum also betrachten die Kanzler*innen promovierte Postdocs zwar als hinreichend qualifiziert für diese sehr verantwortungsvolle Daueraufgabe, nicht aber als hinreichend qualifiziert für eine Dauerbeschäftigung?

Nicht zuletzt ignoriert die Stellungnahme der Kanzler*innen die Auswirkungen befristeter Beschäftigungsverhältnisse auf die Qualität von Forschung und Lehre. Dazu sei auf die Befristungsrichtlinie des Europäischen Rates verwiesen. Dort heißt es in aller Klarheit: „Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. Sie tragen zur Lebensqualität der betreffenden Arbeitnehmer- und zur Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit bei.“ Für eine breit aufgestellte, internationale Spitzenforschung und eine exzellente Lehre an deutschen Universitäten brauchen wir demgemäß die überall sonst geltenden, normalen Arbeitsverhältnisse auch in der Wissenschaft.

Die Forderungen der Kanzler*innen sind also in höchstem Maße unangemessen. Wer dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenwirken möchte, der sollte sich entgegen der Bayreuther Erklärung gerade nicht dafür einsetzen, dass wissenschaftlich hochqualifizierte und für die freie Wirtschaft attraktive Arbeitskräfte über viele Jahre nach der Promotion in befristeten Arbeitsverhältnissen an der Universität „geparkt“ werden, um schließlich in einer bereits fortgeschrittenen Phase der Erwerbsbiographie aufgrund gesetzlicher Befristungsobergrenzen doch noch auf den außeruniversitären Arbeitsmarkt gezwungen zu werden. Er muss sich im Gegenteil dafür einsetzen, dass der Wirtschaft mehr Fachkräfte früher zur Verfügung stehen. Und genau dies fordern wir: eine deutliche Vorverschiebung des „Nadelöhrs der Entfristung“. Die Entscheidung Wissenschaft oder Wirtschaft sollte in aller Regel nach der Promotion anstehen.

Diese Forderung dient unseres Erachtens im Gegensatz zu den Behauptungen der Bayreuther Erklärung gerade der Qualitätssicherung im wissenschaftlichen Betrieb. Wer nach der Promotion ein hochkompetitives Bewerbungsverfahren auf eine Postdoc-Position erfolgreich durchläuft, hat sich ganz klar qualifiziert für eine Dauerbeschäftigung in Forschung und Lehre. Und wer sich nach der Promotion für die Wissenschaft entscheidet, der sollte – nach etwa zehn Jahren wissenschaftlicher Ausbildung und drei erfolgreich abgelegten Qualifikationsstufen – eine realistische Aussicht haben, zeitnah eine entfristete Stelle im Wissenschaftssystem zu erhalten. Auch bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine Änderung des gegenwärtigen Systems unverzichtbar.

Die in der Bayreuther Erklärung formulierte Befürchtung, diese Änderung würde die „kontinuierliche Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ beeinträchtigen, ist unbegründet. Im Gegenteil, unser gesellschaftliches Ziel kann nicht darin bestehen, kontinuierlich „wissenschaftlichen Nachwuchs“ zu produzieren, ohne diese hochwertige und kostenintensive Qualifizierung danach in dem Bereich zu nutzen, für den sie erfolgt ist. Solange ein derart gravierendes Missverhältnis zwischen Professuren und habilitiertem Nachwuchs vorherrscht wie derzeit in Deutschland, qualifizieren die Universitäten zu Lasten der Beschäftigten am Bedarf vorbei. Davon profitieren weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft noch die Wissenschaft.

Wenn die Kanzler*innen in ihrer Stellungnahme den Eindruck erwecken, die Generationengerechtigkeit sei allein im Rahmen des bisherigen Befristungssystems zu haben, ignorieren sie bewusst bereits realisierte Alternativen in anderen Ländern. Allein der Erfolg der Department-Struktur im angelsächsischen Wissenschaftssystem widerlegt die Behauptungen der Kanzler*innen. Eben dieses angelsächsische System, dem sonst so viel nachgeeifert wird, beweist, dass dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse unterhalb der Professur mit Generationengerechtigkeit vereinbar sind, und zwar ohne die oftmals beschworenen Negativfolgen von Stillstand und Verkrustung. Solchen Befürchtungen liegt ein verzerrtes Menschenbild zugrunde, nach dem der Mensch in Faulheit und Untätigkeit verfällt, sobald er von der Drohung der Erwerbslosigkeit befreit ist. Dieses Menschenbild weisen wir entschieden zurück. Weder in der Wirtschaft noch in den Wissenschaftssystemen anderer Länder und nicht zuletzt auch nicht im Fall der Professor*innen in Deutschland lässt sich eine solche Folgewirkung von Arbeitsplatzsicherheit in nennenswertem Ausmaß beobachten.

Daher bleiben wir bei unserer Kernforderung: Wer sich nach der Promotion erfolgreich auf eine Anschlussstelle in der Wissenschaft bewirbt, für den muss die Entfristung auch an der Universität zum Normalfall werden. Dadurch würde nicht nur die Lebensqualität unzähliger Wissenschaftler*innen steigen, sondern zugleich auch die Qualität des Forschungs- und Lehrstandorts Deutschland insgesamt erhöht werden. Promovierte Wissenschaftler*innen sollen sich endlich auf das konzentrieren können, worum es an den Universitäten eigentlich geht: exzellente Forschung und Lehre zur Sicherung auch der Qualität der Ausbildung von Fachkräften für Wirtschaft und öffentlichen Dienst. Es sollte unser gemeinsames Ziel – und deshalb auch das Ziel der Kanzler*innen sein – dies zu ermöglichen.“


MM/red