Schäbige „Willkommenskultur“ in Öhningen

Als ehemalige Sozialarbeiterin ist Doris Künzel Kummer gewöhnt. Doch was die ehrenamtliche Flüchtlingshelferin in der Höri-Gemeinde Öhningen zu sehen bekam, hat sie fassungslos gemacht. Im Einsatz für bessere Lebens- und Wohnverhältnisse für Geflüchtete musste Künzel sich immer wieder mit Behörden wegen Unterbringungsmängeln herumschlagen. Eine Küche indes, in der man kaum kochen kann oder ein Bad, das weder Wanne noch Dusche hat, ist selbst ihr noch nicht untergekommen. In einem Brandbrief an Bürgermeister Andreas Schmid prangerte Doris Künzel Anfang Januar die „erbärmlichen Verhältnisse“ in der Anschlussunterbringung an.

„Was ich hier in Öhningen in der Unterkunft gesehen und erlebt habe, überstieg wirklich mein ganzes Vorstellungsvermögen“, schreibt die Sozialarbeiterin, wie „schäbig und menschenverachtend eine deutsche Gemeinde mit geflüchteten Menschen umgehen kann“. Vermutlich müsse man lange suchen, „um in Deutschland eine weitere Unterkunft zu finden, die jener in Öhningen gleicht“.

Das Schreiben, das Künzel in Kopie auch an den zuständigen Sozialarbeiter des Landratsamts und das Gesundheitsamt in Radolfzell sowie den Ortspfarrer geschickt hat, dokumentiert kaum Glaubliches. So zwingt die Gemeindeverwaltung nicht nur acht afrikanisch- und arabischstämmige Männer, sich eine Wohnung in schäbigstem Zustand zu teilen; deren heruntergekommene Küche lässt selbst das Nötigste wie einen Küchenschrank vermissen und verfügt noch nicht einmal über voll funktionstüchtige Herdplatten. In dem euphemistisch als Bad deklarierten Raum gibt es überdies weder Wanne noch Duschgelegenheit. Den Duschkopf hatte ein Gemeindeangestellter vor Jahresfrist ausgebaut, weil offenbar bei der Nutzung Wasser bis in den Wohnungsflur spritzte. Grund: Im „Bad“ fehlen sowohl der Duschvorhang als auch eine Tür.

Die Klagen der Bewohner wegen der spärlichen Waschmöglichkeiten habe man mit der Bemerkung abgetan, in Afrika gebe es doch auch keine Duschen, erfuhr Künzel in Gesprächen mit den Betroffenen. Alle Beschwerden und Bitten der Geflüchteten um Abhilfe und selbst deren Angebote, selbst Hand anzulegen, stoßen ihren Recherchen zufolge im Öhninger Rathaus auf eiserne Ablehnung.

Skandalöse Zustände, die Künzel in dem Schreiben an den Bürgermeister zu der Frage veranlassen, welche Motivation sich hinter dem Agieren der Gemeinde und ihrer MitarbeiterInnen verberge. „Steht dieses Verhalten den Flüchtlingen in Öhningen gegenüber einfach nur für Desinteresse, Ignoranz und Verantwortungslosigkeit oder ist es Teil eines Rassismus mit dem man sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in der eigenen noblen Gemeinde wehren will? Glaubt man wirklich, indem man den Flüchtlingen das Leben so schwer und schäbig wie möglich macht, dass sie dann von selbst gehen? Ich weiß es nicht und vielleicht können sie mir auf diese Frage eine Antwort geben …“ Eine Antwort auf Ihr Schreiben hat Doris Künzel bis heute nicht erhalten.

jüg (Fotos: privat)


Der ganze Brief mit weiteren Bildern im Wortlaut hier.