Anselm Venedey: Das war’s

In seiner letzten Sitzung als Konstanzer Gemeinderat verabschiedete sich Anselm Venedey (FWK) nach annähernd anderthalb Jahrzehnten aus der aktiven Lokalpolitik. Er will sich mehr Zeit für sein Privatleben nehmen und ist auch mehr als nur ein wenig amtsmüde. Verdenken kann man’s ihm nicht, denn die RätInnen absolvieren oft einen Halbtagsjob, der ihnen zudem einiges abverlangt: Nicht zuletzt Sitzfleisch – und die Fähigkeit, ungerührt Stunde um Stunde zuzuhören, und zwar allen und allem.

Hier Venedeys Abschiedsrede in leicht gekürzter Fassung:

Herr Oberbürgermeister, Herren Bürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus der Verwaltung, liebe Gäste,

14 Jahre Gemeinderatsarbeit sind doch eine beachtliche Zeit. Und um so lange durchzuhalten, braucht es gute Gründe. Das sind Gründe wie die Freude an der politischen Arbeit, die Möglichkeit, detaillierte Kenntnisse zu Problemen der Heimatstadt zu erhalten oder die Arbeit in der Fraktion mit Freunden und hier im Rat mit zumeist doch sehr freundlichen Kommunalpolitikerinnen und Politikern jedweder Couleur. Manchmal hat man ja sogar das Gefühl, wirklich etwas bewirken zu können. Gerade in Ausschüssen mit zumeist 13 Mitgliedern wiegt jede einzelne Stimme schon beachtlich.

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Den Vorteilen stehen aber auch etliche Nachteile gegenüber: Der zeitliche Aufwand ist erheblich. Nicht selten nimmt uns die Arbeit für die Kommune 20 Stunden in der Woche in Anspruch. Oft fühlt man sich, obwohl man ja zu wissen glaubt, dass man mit seiner Meinung im Recht ist, falsch oder gar nicht verstanden. Manchmal hat man – oft erst nachträglich – den Eindruck, dass man instrumentalisiert wurde, oder man merkt, dass man Entscheidungen mitgetroffen hat, die mitnichten dem Wohl der Stadt dienen.

Wenn man, wie ich, dann wegen ganz persönlicher Gründe (und dabei handelt es sich weder um den Wunsch, den Herrn Oberbürgermeister oder den [Konzilbetreiber] Herrn Hölzl zu beerben) anfängt zu zweifeln, dann scheinen die Nachteile die Vorteile plötzlich deutlich zu überwiegen – und man trifft eine Entscheidung. In meinem Falle die, nicht mehr weiter in diesem Gremium arbeiten zu wollen.

Als ich mir in den ersten Tagen, nachdem ich meine Entscheidung getroffen hatte, überlegte, was ich in dieser Abschiedsrede sagen sollte, überwogen noch die Vorwürfe ans Gremium. Ich wollte von der Dominanz der alten Männer und deren redundanten Redebeiträgen sprechen, die einem jede Sitzung verleiden können. Ich wollte von der gestohlenen Zeit sprechen, die durch überlange Sitzungen entsteht, von der Sitzungsleitung, die zu wenig eingreift, wenn Dinge bereits ausgesprochen und verinnerlicht sind, während ein Redner zum wiederholten Male versucht, aus dem Labyrinth seines angefangenen Satzes zu entkommen, und dabei keinen rettenden Faden finden kann. Ich wollte davon sprechen, dass es alleinerziehenden Müttern oder Vätern, Angestellten in der Probezeit, Selbständigen wie mir oder Menschen, die vielleicht nur leidenschaftlich neben dem Beruf ein zusätzliches Hobby pflegen wollen, beinahe unmöglich ist, hier Nachmittage und Abende zuhauf zu verbringen. So sehen wir hier ein Gremium aus Studenten, Beamten, Rentnern und Pensionisten, deren Reihen nur durch ganz wenige andere ergänzt werden, die einen repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft zeigen – und das ist, das möchte ich wirklich betonen, nicht im Geringsten ein Vorwurf an die eben genannten Gruppen. Über all das könnte man stundenlang sinnieren, aber ich will über ein paar andere Dinge sprechen.

Immer wieder war ich in den letzten 14 Jahren erstaunt darüber, was sich doch manche Räte trauen. Da werden Menschen zu Baurechtssachverständigen, die uns prophezeien können, dass von der Verwaltung vorgeschlagene Ablehnungen oder Genehmigungen einzelner Bauanträge rechtlich keinerlei Bestand haben würden. Da rät man, einzelne Ampeln so oder so zu schalten, hier oder da einen Stock höher oder niedriger zu bauen, erklärt Satteldächer für schöner als Pult- oder Flachdächer – das ist übrigens eine tiefe urdeutsche Überzeugung mit schlechtester politischer Tradition. Andere meinten, man könne doch ins Bofo eine städtische Galerie bauen, und da behauptete doch tatsächlich ein ehemaliges Ratsmitglied, persönlich einen Dirigenten empfehlen zu können, wenn man nur alle Bewerber ein und dieselbe Beethoven-Symphonie dirigieren ließe. Weitere Beispiele ließen sich massenweise aufzählen. Es ist zum Haareraufen! Wir haben hier in der Verwaltung so unglaublich viele fähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Liebe Kolleginnen und Kollegen – statt Euch immer wieder so viel zu trauen, solltet ihr auch einmal den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung vertrauen!

Auch ein Großteil der Anträge aus den Fraktionen, die inzwischen inflationär häufig gestellt werden, dienen eher der Selbstbeweihräucherung, als dass sie kommunalpolitisch zielführend wären. Immerhin, liebe Kolleginnen und Kollegen vom Jungen Forum, erfahre ich vielleicht heute Abend noch dank Eures Antrages zu den Auswirkungen der Entscheidungen des Gemeinderates auf den Klimaschutz, warum mein Ausscheiden in der Sitzungsvorlage als „ohne Auswirkungen auf den Klimaschutz“ gekennzeichnet ist. Zumindest bin ich also das erste männliche Mitglied des sogenannten bürgerlichen Lagers, das sich nach seinem Ausscheiden aus dem Rat offiziell das Etikett „klimaneutral“ ans Revers heften kann.

Doch zurück zu unseren Aufgaben: Was wird von uns erwartet? Laut Gemeindeordnung legt der Rat die Grundsätze für die Verwaltung fest. Die Grundsätze – nicht die Details, denn für die sind die Verwaltungsfachleute zuständig. Die Grundsätze der Verwaltung sind z. B. Fragen, ob wir ein Kongresshaus oder ein Konzerthaus brauchen oder nicht, wie wir den Klimaschutz durchsetzen wollen, wie wir den ÖPNV zu Lasten des MIV stärken können, ob wir eine autofreie Innenstadt wollen, wie wir’s mit der Kultur halten.

Was uns die Kultur in Zukunft wert sein muss, das gebe ich gern allen hier im Raume, und vor allem auch den Kritikerinnen und Kritikern von Orchester, Theater und Museen, mit: Sie, die Kultur, muss, vielleicht direkt nach dem Klima, oberste Priorität haben. Hier sei mir ein kleiner Einschub erlaubt: Ist Euch denn schon einmal aufgefallen, dass bei allen Entwicklungen wie z. B. in Ungarn, in Polen, in der Türkei oder in den USA hin zum Totalitarismus die Kulturinstitutionen als erste leiden? Theater werden geschlossen, Museen auf Linie gebracht, Orchestern wird vorgeschrieben, was sie zu spielen haben – und Präsident Trump will per Gesetz vorschreiben, dass öffentliche Gebäude mit Säulen zu versehen seien. Die Mächtigen scheinen vor der Kultur furchtbare Angst zu haben. Lasst uns mit einem klaren Bekenntnis zu unseren selbständigen Kulturinstitutionen und natürlich auch zur freien Kultur dafür sorgen, dass diese Furcht begründet bleibt!

Aber auch Fragen hinsichtlich der Versorgung unserer älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger und der Kleinkinder müssen hier geklärt werden und sind jede Diskussion wert.

Diskussionsbedarf gibt es also wahrlich genug und es gäbe noch viele andere Beispiele. Und hier, bei den grundlegenden Fragen zur Zukunft der Stadt, ist gesundes Misstrauen der Verwaltungsspitze gegenüber tatsächlich angebracht. In welche Richtung wollen diese Herren unsere Stadt entwickeln? Das muss jederzeit nüchtern und scharfsinnig hinterfragt werden.

Bei all diesen Fragen zur Weiterentwicklung von Konstanz müssen wir die Konstanzerinnen und Konstanzer einbinden, aber wie? Da mögen aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger, teils unterstützt durch sogenannte Bürgergemeinschaften, Forderungen stellen, denen man wegen der nächsten Wahlen zu gerne nachkommen will. Aber es sind dies zumeist Partikularinteressen von direkt Betroffenen, die ich ja durchaus im Einzelfall verstehen kann. Aber wir hätten beispielsweise in der Jungerhalde – und nicht nur dort – noch mehr Pflegebetten gebraucht. Auch dass der Standort eines Waldkindergartens am Ende des Fasanenweges überhaupt diskutiert wird, ist hochnotpeinlich. Auch wenn in diesem Fall das Spiel allzu leicht zu durchschauen ist, so gibt es doch genügend andere Fälle, in denen die Lobbyisten ihre Sache besser tarnen.

Bitte bleibt wachsam und konzentriert Euch auf das Wohl der ganzen Stadt und dort speziell auf das Wohl der Jüngsten, der Ältesten und der Schwächeren und nicht so sehr auf das Wohl Eurer direkten Nachbarinnen und Nachbarn und Eurer persönlichen Wähler, denn Betroffene sind oft nicht die besten Ratgeber. Der zuletzt von der Verwaltung gegangene Weg eines Bürgerhaushalts, in dem zufällig ausgewählte Konstanzerinnen und Konstanzer Entscheidungen treffen konnten, scheint mir deutlich zielführender als die automatische Einbindung von z. B. Bürgergemeinschaften zu sein. Ich gestehe, dass ich der Bürgerbeteiligung seit jeher sehr skeptisch gegenüberstehe. Aber hier sehe ich zum ersten Mal einen erfolgversprechenden Ansatz.

Was wünsche ich diesem Rat? Ich wünsche ihm effektivere, kürzere Sitzungen. Ich wünsche ihm mehr Austausch zwischen den einzelnen Fraktionen. Ich wünsche dem Rat den Mut, Entscheidungen auch einmal wieder rückgängig zu machen, denn nicht jede Entscheidung ist gut, bloß weil sie von einer Mehrheit getragen wurde. Das hat Thüringen vor wenigen Tagen deutlich gezeigt. Und mich persönlich überraschen kluge Mehrheitsentschlüsse eigentlich schon immer mehr als schlechte – daraus habe ich nie ein Hehl gemacht.

Ich bedanke mich für vierzehn Jahre Unterstützung bei meiner Familie und meinen Freunden, bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mir so viele Stunden den Rücken freigehalten haben. Ich bedanke mich bei meiner Fraktion. Ich bedanke mich bei allen Rätinnen und Räten, die nach hitzig geführten Debatten immer wieder zusammengefunden haben zu einem beinahe freundschaftlichen Miteinander. Ich bedanke mich bei einzelnen Räten, weil ich von deren Sachkenntnis viel profitieren konnte. Stellvertretend möchte ich hier den Kollegen Fuchs nennen, der vor zwei Jahren einen bemerkenswerten Redebeitrag im TUA über die Verwendung von Glyphosat und Neonicotinoiden hielt, in dem er zeigte, dass es im konkreten Fall in der Landwirtschaft zwischen schwarz und weiß auch Grautöne gibt. Ich möchte mich bei den Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern bedanken, die jederzeit liebenswürdig, kompetent und hilfsbereit waren und mit ihrer Leidenschaft für ihre Arbeit ansteckend waren. Ich glaube, kein TUA-Mitglied vergisst zum Beispiel, wie Michele Lagrutta vom Tiefbauamt einst beglückt von der Schönheit der vom Belag befreiten Radbrücke schwärmte. Ich glaube, er hatte dabei sogar ein Tränchen im Auge. Vielen Dank dafür.

Einen Appell habe ich noch an dieses Gremium: Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Sexismus, rechtsnationales, chauvinistisches oder gar faschistoides Gedankengut haben in unserer Stadt nichts zu suchen: Bitte bleibt Euch in diesem Punkt auch in Zukunft einig! Wir schienen zwar lange auf einer Insel der Glückseeligen zu leben, aber die Einschläge kommen näher. Das konnten wir dieser Tage lesen, als wir erfuhren, dass sich Rechtsradikale, die unsere Gesellschaft zerstören wollen, in Wallhausen getroffen haben. Wir alle müssen diesbezüglich jederzeit vorbildlich und mutig handeln, ob im Rat, am Arbeitsplatz, in der Familie, in der Freizeit, am Stammtisch und sogar auf der Fastnacht.

Helft deshalb dabei, dass die folgenden Generationen in einem Umfeld der geistigen und kulturellen Freiheit in unserer Stadt aufwachsen können.

Ich habe noch ein Geschenk mitgebracht: Ein Bild des Konstanzer Malers Friedrich Pecht aus dem Jahr 1845, den wir alle nicht zuletzt wegen seiner Wandbilder im Konzil kennen. Keine Sorge, ich will keine Spendenbescheinigung, und die Provenienz ist einwandfrei. Es zeigt eine Mutter mit Kind. Denn wenn ich von etwas fest überzeugt bin, dann davon, dass wir mehr Frauen in der Politik brauchen. Und diese Politik muss ausgerichtet sein am Wohl der Kinder, deren Zukunft wir planen.

Vielen Dank.


(Foto: privat)