Grenzwertig
Die Debatte um eine Gedenktafel für die verstorbenen KZ-Häftlinge auf der Insel Mainau wird auch von Schweizer Medien befürwortet. David Angst von der Thurgauer Zeitung allerdings ist anderer Meinung.
Die Diskussion über die Erinnerung an die ehemaligen KZ-Häftlinge hat nun eine gar seltsame Blüte sprießen lassen. David Angst, Redaktionsleiter der Thurgauer Zeitung, schrieb am 7.Januar einen Kommentar unter dem Titel: „Man kann es mit Gedenktafeln auch übertreiben“. Die Debatte darüber hält er rundweg für „merkwürdig“. Was ihn wirklich umtreibt, zeigt folgende Einschätzung, die er seinen LeserInnen anbietet: „Eine Gruppe politisch engagierter Konstanzer – hauptsächlich Angehörige der Linken Liste – verlangt nun fast siebzig Jahre später, für diese Verstorbenen eine Gedenktafel aufzustellen“. Er habe außerdem den Verdacht, „hier gehe es mehr darum, eine politische Debatte anzuheizen als an die Vergangenheit zu erinnern“.
Angst verbreitet wider besseres Wissen eine perfide Falschmeldung. Auf Anfrage ließ er ziemlich kleinlaut wissen, diese Information habe er dem Internet entnommen. Das wiederum kann nicht sein, denn unter den rund 140 Unterzeichnern des Offenen Briefes an die Mainau befinden sich gerade mal sieben Personen, die der Linken Liste zugeordnet werden können. Der übergroße Rest setzt sich zusammen aus couragierten BürgerInnen und auch Kommunalpolitikern aus nahezu allen Parteien. Zwischen den Zeilen suggeriert der Verfasser dieses Kommentars, dass eine Aktion, die angeblich nur aus der linken Ecke kommt, nicht ernst genommen werden muss und somit diskreditiert werden könne. Der Schweizer Kollege glaubt wohl, eine aufgewärmte Rote-Socken-Kampagne ersetze solide Recherche.
Auch David Angsts allgemeines Geschichtsverständnis offenbart seltsame Windungen. Gedenktafeln sollten seiner Meinung nach nur dort errichtet werden, „wo etwas Denkwürdiges geschehen ist“. Auf der Mainau sei dies aber „nicht der Fall“. Und er bemüht gefährliche Relationen. Im KZ Dachau habe man Hunderttausende gequält und umgebracht, auf der Mainau aber seien nur 33 an den Spätfolgen ihres Martyriums gestorben. So drängt sich ihm die absurde Logik auf: „In Dachau erinnert eine Gedenkstätte eindrücklich an die Gräuel jener Zeit. Ihr sollte man Sorge tragen. Auf der Mainau braucht es keine neue.“
Autor: H.Reile
@ „Holger“:
Vielleicht wäre es ja möglich gewesen, nach so langer Zeit „Geschichte Geschichte sein zu lassen“ – wenn früher damit begonnen worden wäre, sie wirklich aufzuarbeiten.
Und wenn in den vergangenen 65 Jahren weniger Elan auf Geschichtsverbiegungen und -verfälschungen verwendet worden wäre, müssten wir uns heute ggf. auch nicht mit Neonazi-Aufmärschen auseinandersetzen.
Hier lediglich ein einziges Beispiel zur Erinnerung:
Erst im Jahr 2005 wurde eine Unabhängige Historikerkommission mit der Aufgabe betraut, die Geschichte des Auswärtigen Amts in der Zeit des Nationalsozialismus zu untersuchen. Die Ergebnisse dazu wurden erst im Jahr 2010 veröffentlicht.
Unser Geschichtsbild wäre – ohne derartige in Ihren Augen „überflüssige Aufarbeitungen“ – schlicht und ergreifend falsch. In manchen Fällen bieten erst die in jüngster Vergangenheit endlich nicht mehr unter Verschluss gehaltenen Archive die Möglichkeit, unser noch von der Täter- und Mitwissergeneration geprägtes Geschichtsbild zu revidieren. Damit stehen wir nicht am Ende, sondern fast noch am Anfang der Aufarbeitung, die bereits seit langem überfällig ist.
„Geschichte Geschichte sein lassen“? Vorher muss sie uns endlich zugänglich gemacht werden. So wenig, wie ich möchte, dass unseren Kindern in der Schule vermittelt wird, dass 2 + 2 Fünf ist – so wenig möchte ich, dass sie in anderen Themenfeldern mit Fehlinformationen gefüttert werden.
Und wenn ich mich bei der Antrittsvorlesung des Konstanzer Stadtarchivars Dr. Klöckler vor einigen Tagen nicht sehr verhört habe, gibt es auch hier vor Ort noch einiges zu tun!
Sabine Bade
hallo, herr „holger“,
was soll daran pathologisch sein, wenn man an den ns-massenmord mit seinen katastrophalen folgen erinnert? folgt man ihrer seltsamen argumentation, dann wäre es mehr als erbärmlich bestellt um unser geschichtsverständnis. sie fühlen sich „mit nazi übersättigt“,schreiben sie und bezeichnen die erinnerungstafel auf der insel mainau als „gedenkeifer“. das halte ich für rundum ignorant und verantwortungslos. gerade jetzt, wo klar geworden ist, dass braune mordgesellen jahrelang eine blutspur durch deutschland gezogen haben und europaweit festzustellen ist, dass nationalistische und faschistische bewegungen an einfluss gewinnen. an ihrer stelle würde ich mal darüber nachdenken.
In der Tat scheinen linke Mitmenschen einen fast pathologischen Zwang zum GEdenken an die Nazi-Zeit zu haben. Ihr ganzes Leben bsteht nur aus einer Zeitspanne von 12 Jahren, die bereits 65 Jahre lang hinter uns liegt. Statt endlich mal Geschichte Geschichte sein zu lassen, werden inflationär immer neue „Gedenkstätten“ eröffnet, werden überflüssige Aufarbeitungen gefordert. Ich frage mich wirklich wo das hinführen soll. In Deutschland ist man doch auch so schon gewissermassen mit Nazi übersättigt. Daher halte auch ich diesen Gedenkeifer für weit übertrieben.