Die Krise und das (Wahl-)Gesetz
Am 5. Juli ist in Konstanz OB-Wahl. Eigentlich. Denn ob an diesem Sonntag tatsächlich die Bürgerinnen und Bürger an die Urne gerufen werden sollten, darüber gibt es mittlerweile lebhafte Diskussionen. Auch seemoz hatte schon die Frage aufgeworfen, ob die seuchenbedingten Umstände überhaupt einen fairen Wahlkampf zulassen. Doch was sieht eigentlich das Gesetz für eine solche Ausnahmelage vor?
Zu der – wie in einer bisher nicht gekannten Situation zu erwartenden – vertrackten Rechtslage hat sich Simon Pschorr Gedanken gemacht. Der Jurist hält eine Verschiebung für geboten und rechtlich auch möglich. Es handelt sich bei dem vorliegenden Text um einen Kommentar, der die persönliche Ansicht des Autors widergibt.
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Bundesweites Kontaktverbot
Gesetze werden für den Problemfall gemacht, sagen sie einem im Jurastudium immer. Den Normalfall, den bräuchte man gar nicht regeln, das ginge schon von selbst. Was teilweise für das Vertragsrecht noch zutreffen mag, stimmt nicht für weite Bereiche des deutschen Rechts. Besonders im Verwaltungsrecht finden sich viele Regeln für ganz alltägliche Vorgänge – so, wie sie der Beamtin in ihrer Amtsstube immerzu begegnen.
Jetzt darf aber seit dem 17.3.2020 die Beamtin nur noch dann in diese Stube, wenn es sich absolut nicht umgehen lässt. Homeoffice ist an der Tagesordnung. Das Corona-Virus bestimmt aktuell den Alltag, die gegen die Pandemie beschlossenen Maßnahmen stellen sämtliche Selbstverständlichkeiten und Gewohnheiten auf den Kopf. Seit dem 22.3.2020 gilt ein Ansammlungsverbot von mehr als zwei Personen im öffentlichen Raum. Diese landläufig als „Kontaktverbote“ bezeichneten Einschränkungen – die durch weitere Maßnahmen komplettiert werden – greifen tief in unsere Lebensbereiche ein. Die damit einhergehenden Grundrechtseingriffe sind ohne Zahl. In dieser Intensität hat die bundesrepublikanische Gesellschaft eine Beschränkung grundrechtlich geschützter Freiheiten noch nicht erlebt.
Sternstunde des Elfenbeinturms
Dabei ist die Zustimmung in der Bevölkerung für die verfügten und sogar für noch einschneidendere Maßnahmen groß. Die (berechtigte) Angst vor einer noch stärkeren Ausbreitung des Virus‘, vor Ansteckung und Tod, führt dazu, dass so gut wie alle Bedenken hintangestellt werden. Wäre man Zyniker, vergliche man die Corona-Krise mit dem Klimawandel: Der einzige Unterschied ist, dass CoViD-19 schnell und unbarmherzig tötet. Das reicht, damit konsequentes Handeln begrüßt wird, sei es auch rechtlich fragwürdig.
Die Einzigen, die sich an die Krisenakzeptanz noch nicht so richtig anpassen wollen, sind die Verfassungsjuristen. Ich möchte an dieser Stelle keinen Beitrag zur Verfassungskonformität der Eingriffsmaßnahmen selbst verfassen. Dazu haben in den letzten Tagen viele fähigere KollegInnen im Verfassungsblog Stellung bezogen (1). Der berechtigte Grundtenor lautet: Im Grunde können zum Zwecke des Infektionsschutzes vor tödlichen Pandemien auch tiefgreifende Grundrechtseingriffe erfolgen, deren Geeignetheit und Erforderlichkeit im Einzelnen zu erörtern sind. Ob die aktuell angewandten Ermächtigungsgrundlagen (2) wirklich alle Maßnahmen abdecken – gerade das bayerische Vorgehen auf Basis von Allgemeinverfügungen – ist im Einzelnen strittig (3). Was mir an dieser Stelle wichtig ist: Auch der Krisenfall setzt die Geltung von Gesetz und Recht nicht außer Kraft. Besonders die Verfassung greift auch dann, wenn es mal schwierig ist. Die römische Diktatur für den Notfall wollen wir nicht wiederhaben.
Wenn die Rechtsaufsicht mal ein Auge zudrückt
In dem Zusammenhang stören mich zwei Nachrichten der letzten Tage ungemein: In Bayern wird für die Stichwahlen der aktuellen Kommunalwahlen die Pflichtbriefwahl par ordre du mufti angeordnet, während Baden-Württemberg die Kommunalaufsicht anweist, mal nicht so genau auf die Einhaltung der Wahldaten zu achten (4). Wo die Bayern einen Weg außerhalb des Gesetzes gehen und eine einheitliche Linie nach außen kommunizieren, ist die hiesige Variante meines Erachtens noch problematischer: In einem Schreiben vom 19.3.2020 weist der Städtetag Baden-Württemberg auf eine Stellungnahme des Innenministeriums hin, der zufolge eine Rechtsgrundlage für die Absage von Kommunalwahlen – das heißt auch OB-Wahlen – nicht besteht.
Das baden-württembergische Kommunalrecht kennt keine Möglichkeit, Wahlen in Krisenzeiten zu verschieben oder abzublasen. Tatsächlich verpflichtet § 47 Abs. 1 S. 1 Gemeindeordnung dazu, den/die Bürgermeister(in) spätestens einen Monat nach Ablauf der letzten Amtszeit neu zu wählen. Eine Wahl kann gem. § 29 Kommunalwahlgesetz BW durch die Rechtsaufsichtsbehörde nur dann abgesagt werden, wenn sich ein schwerwiegender Rechtsfehler identifizieren lässt, der zu einer Ungültigkeit der Wahl führte. Eine andere Vorschrift haben wir nicht.
Statt also den Kommunen zu kommunizieren: „Liebe Leute, wir haben da ein rechtliches Problem, aber keine Sorge, die Landesregierung sorgt für Abhilfe“, teilt das Innenministerium auf dem Umweg über den Städtetag Folgendes mit:
„Die Rechtaufsichtsbehörde kann tolerieren, dass eine Bürgermeisterwahl, mit deren amtlicher Vorbereitung noch nicht begonnen worden ist, durch die Stadt aufgrund der Corona-Pandemie über den spätestmöglichen Termin gemäß § 47 Abs. 1 GemO hinaus verschoben wird. Die Verschiebung kann für bis zu drei Monate erfolgen, je nach Sachlage im Einzelfall auch länger.“
Das ist skandalös. Diese Äußerung sagt nichts anderes als: Ja, wir wissen, da ist ein rechtliches Problem, aber wir kneifen einfach beide Augen und alle Hühneraugen zu.
Dabei hat die Landesregierung im Ergebnis Recht: Öffentliche Wahlen (die reine Briefwahl eingeschlossen) unter diesen Umständen stattfinden zu lassen, ist Wahnsinn! Nicht nur ist die Ausübung des Wahlrechts in Wahlkabinen eine Selbstgefährdung, die viele Menschen von den Urnen fernhalten würde. Das wäre ungefähr genauso selbstwidersprüchlich, wie die großindustrielle Fertigung mit hunderten Menschen in Maschinenhallen weiterlaufen zu lassen – ach ja, ich vergaß. Das machen wir ja.
Nein, tatsächlich sind Wahlen in der aktuellen Situation eine Farce. Während die Amtsinhaber über alle öffentlichen und privaten Kanäle Erfolgsmeldungen ihres geschickten Krisenmanagements transportieren können, sind KonkurrentInnen faktisch vollständig vom öffentlichen Meinungskampf ausgeschlossen. Ein Wahlkampf ohne öffentliche Versammlungen? Ohne Vorstellung der KandidatInnen? Die Grünen mussten für die Findung ihres präferierten OB-Kandidaten auf ein Online-Seminar ausweichen. Mein höchster Respekt für die tolle Koordination. Aber ich glaube nicht, dass solche Angebote einen echten Wahlkampf von Mensch zu Mensch ersetzen. Das hat mit (verfassungsrechtlich gebotener) Chancengleichheit nichts zu tun. Dazu kommt noch, dass § 10 KomWG (nur) die KonkurrentInnen dazu verpflichtet, Unterschriften zu sammeln. Amtsinhaber können aufatmen. Zwar war Klinkenputzen noch nie so leicht – so viele Menschen waren noch nie auf einmal, auch untertags, zuhause erreichbar. Doch zugleich war Klinkenputzen noch nie so verboten wie jetzt. Von Infoständen oder Wahlkampfveranstaltungen will ich gar nicht reden.
Der Weg, den das Innenministerium geht, ist allerdings inakzeptabel. Da wird sehenden Auges nicht nur Recht gebrochen. Es wird auch noch durch die Blume mitgeteilt, dass jede Rechtsaufsichtsbehörde nach eigenem Gutdünken entscheidet, ob und wie lange eine Verschiebung des Wahltermins toleriert wird. Ganz zu schweigen davon, dass man mit der Vorgabe, der jeweiligen Kommune die Entscheidung über eine Wahlverschiebung zu überlassen, der Willkür Tür und Tor öffnet. Da macht jede Gemeinde, was sie will. Vulgo: Da macht jeder Amtsinhaber, was seine Wiederwahl am Ehesten garantiert. Gerade um so etwas unmöglich zu machen, gibt es die Bindung an Recht und Gesetz. Es wäre jetzt meines Erachtens die Aufgabe des Innenministeriums, eine Änderung der Gemeindeordnung auf den Weg zu bringen. Diese Krise wird nicht die letzte sein, die wir erleben. Wenigstens bei der nächsten wäre es doch gut, mal eine Regelung für den Ausnahmefall zu haben.
Simon Pschorr (Foto: D. Schröder)
Anmerkungen
(1) Aktuelle Empfehlung: https://verfassungsblog.de/allein-im-oeffentlichen-raum/
(2) Man beruft sich auf §§ 28 Abs. 1 S. 1, 2, 32 Abs. 1 IfSG
(3) Siehe dazu https://verfassungsblog.de/whatever-it-takes/)
(4) Das bayerische Vorgehen analysieren die Kollegen Gerster und Michl ausgezeichnet in einem aktuellen Artikel der LTO (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/corona-bayern-kommunalwahl-stichwahl-anordnung-briefwahl-rechtswidrig/)
@Stefan Frommherz:
Die Einberufung eines Krisenstabes aus Funktionsträgern innerhalb der Verwaltung selbstherrlich zu nennen, zeugt (Pardon!) von absoluter Unkenntnis der Aufgaben und Abläufen einer Stadtverwaltung in der jetzigen Situation. Sie haben gerade mittelbar 99% der Kommunalverwaltungen vorgeworfen, diese Krise zur persönlichen Profilierung zu nutzen – ein starkes Stück!
Glückwunsch an Stuttgart und Freiburg, wenn das stimmen soll (Quelle? Habe hierzu nichts gefunden..), dass der Krisenstab den Stadtrat beinhaltet, aber die Arbeit im Krisen / bzw. Katastrophenfall sollte von Fachleuten getätigt werden. Das ist Basis jeder Schulung beim BBK bzw. der AKNZ. Wer das undemokratisch findet, kann ja beim nächsten Hausbrand gerne den Gemeinderat fragen, wie der Brand am besten zu löschen ist..
Das der Krisenstab arbeitet, bedeutet keinen Demokratieverlust, sondern, dass das Geschäft der laufenden Verwaltung schnell und effizient von den verantwortlichen Personen (die ihr Handeln wiederum rechtfertigen müssen) bearbeitet wird. Die Aufgaben nach dem IfSG liegen beim Gesundheitsamt und der Ortspolizeibehörde. Ganz sicher nicht beim Gemeinderat und das aus gutem Grund!
Gerade deswegen ja mein Argument, dass diese Phase für die Entscheidungsträger*innen kein Zuckerschlecken ist. Da darf man gerne mal nach Hessen schauen.
Verteidigung der Demokratie auch in Zeiten der Pandemie!
Darum geht es. Wer nach Ungarn schaut mag erkennen, wie die Virus-Pandemie als Persilschein zur weiteren Errichtung einer Diktatur missbraucht wird.
In Berlin protestieren Menschen mit 1,5 Meter Abstand und Mundschutz u.a. für die sofortige Evakuierung der griechischen Lager (Geflüchtete). LeaveNoOneBehind , das unterstützen sehr viele Menschen in Konstanz auch, sehen aber keine andere Möglichkeit, als über online-Petitionen und online-Aufrufen hierauf aufmerksam zu machen. Ein Beispiel für viele öffentliche Belange für die der öffentliche Raum fehlt. Oder wäre das in Konstanz zur Zeit umsetzbar?
Mein Fokus richtet sich gar nicht auf das Für und Wider des Vor- oder Nachteils eines antretenden Amtsinhabers zu einer bevorstehenden Wahl.
Es geht mir vielmehr darum, einen geeigneten Wahlzeitpunkt zu finden, zu dem in gewohnter Weise ein Wahlkampf (natürlich mit Einbeziehung des öffentlichen Raums etc.) zumindest angedacht werden kann.
Eine Bemerkung aber noch zum Krisenmanagement in Konstanz:
Es gibt Städte in BaWü (z.B. Freiburg und Stuttgart), in denen nicht selbstherrlich der OB eine Handvoll Funktionsträger der Stadtverwaltung in den Krisenstab einbezieht, sondern Vertreter*innen der Gemeinderatsfraktionen selbstverständlich auch mit einbezogen werden.
Soviel zum Thema Demokratieverständnis in der Hoffnung auf Besserung!
@industrielle Fertigung:
Die Bänder müssen laufen, da die Gesundheit der Bevölkerung insofern keine Rolle spielt, solange eine Gefährdung derselbigen der großen Konzerne dienlich scheint.
@Wahlverschiebung:
„schwerwiegender Rechtsfehler“ bei der Wahl? Also angenommen die Anzahl der Wahlzettel würde in Summe die der teilnehmenden Wähler*innen übersteigen, wäre dies ein ausreichender Grund die Wahl, ohne Gesetzesänderung, wiederholen zu müssen?
@Simon Pschorr:
Nur weil die Maßnahmen von höherer Stelle angeordnet werden, muss das nicht heißen, dass sich Ärger der Bevölkerung nicht dennoch beim OB entlädt. Letztlich ist er Vorsitzender der Ortspolizeibehörde, der zuständigen Behörde für Quarantäneanordnungen, Kontrolle und Vollzug des IfSG und der CoronaVO. Als Chef der Stadtverwaltung hat er diese Aufgaben zu verantworten und ist daher durchaus im aktuellen Spannungsfeld im Blickpunkt. Wie gesagt, das Wohlwollen der Bevölkerung kann nur allzu schnell umschlagen und da sind die Verantwortlichen in der Gemeinde / Stadt genauso schnell im Visier der Entrüsteten und Controller wie die der Landes- und Bundespolitik. Wer bezweifelt, dass der Bürger zwischen dem Vorschriftengeber und dem -kontrolleur unterscheidet, darf gerne mal ein Praktikum im Gemeindevollzugsdienst machen und schauen, was die sich so tagtäglich anhören müssen.
Ein kleiner Blick auf KonstanzTV (bzw. den YouTube-Kanal der Stadt Konstanz der schon seit Jahren existiert) zeigt zudem, dass mitnichten allein Burchardt, sondern verschiedene Führungsfiguren der Stadtverwaltung in den Videos auftreten. Das er als Chef der Stadtverwaltung und Repräsentant der Stadt den höchsten Anteil hat, versteht sich hier irgendwie auch von selbst wie ich finde.
Nochmal, ich teile die Argumentation, dass ein Wahlkampf unter der aktuellen Situation definitiv nicht dieselben Voraussetzungen schafft, wie zur (hoffentlich bald wiederkehrenden) normalen Zeit. Aber die Behauptung, dass Krisen generell für Amtsinhaber willkommen sind, kann man so nicht einfach stehen lassen.
@Michael Maier
Warum in drei Teufels Namen kommt bei diesem „über den Tellerrand blicken“ hierzulande so häufig und fast zwanghaft zuerst Israel ins Spiel ?
Warum nicht z.B. Brasilien und Bolsonaro ?
https://www.capital.de/wirtschaft-politik/brasilien-deutsche-firmen-setzen-hoffnungen-in-bolsonaro/3
Kurs Dr. Ursula Prutsch: Brasilien: Die Zerstörung der Demokratie unter Jair Bolsonaro – vhs.wissen live (201-10142)
Beginn: Mi. 27.05.2020 um 19:30 Uhr
Ich wage mal einen Blick über den Tellerrand. Beispielsweise nach Israel. Dort gibt es auf einmal eine Mitregierung der Opposition. Naja gut, zumindest ein Teil der Opposition ist verantwortungsbewusst, entgegen aller Wahlversprechen, eingeknickt. Eigentlich gehört Netanyahu längst der Prozess gemacht, das fällt nun wohl aus. Ob Gantz selbst daran glaubt jemals Regierungschef zu werden?
In Israel zumindest dient die Coronakrise somit v.a. dem aktuellen Machthaber.
Unbegreiflich erscheint die Meinung, amtierende „Verantwortliche“ würden aus der Krise keinen Vorteil generieren. Ein Blick hierauf sollte genügen, um zumindest den diesbezüglichen Versuch zu erkennen:
https://www.youtube.com/channel/UC6pgWUger8SwZ9a0Pu7UAdA/videos
Der Ober-Klimaschützer gibt nun auch den Ober-Virus-Manager. Im Verhältnis zu tatsächlichen Experten kommt OB Uli Burchardt überproportional oft zu Wort/Bild/Ton.
Schon einmal gab es die Devise „Keine Experimente!“ Es wäre eine äußerst angenehme Überraschung, wenn die Bevölkerung dieser Berieselung aus dem Rathaus mit Begleitmusik aus dem „Medienhaus“ nicht auf den Leim ginge.
Folgerichtig müßte aber ein Wahlkampf NACH dieser Krise und den damit einhergehenden Emotionen stattfinden. In Würdigung aller Aspekte wäre das das Ende von Amtsträgern wie Burchardt. Vorausgesetzt, Corona geht nicht Hand in Hand mit einer Gehirn-Zirrhose.
Zu einer Wahl gehört ein Wahlkampf.
Ein Wahlkampf um alle (hier: kommunal-) politisch relevanten Themen.
Nicht nur das akute (hier: ‚Corona‘-) Krisenthema.
Wenn ein Wahlkampf nicht stattfinden kann (in Zeiten einer Ausgangs- und Kontaktsperre ist das offensichtlich), sollte es keine Wahl geben dürfen.
Allein der örtlichen Exekutive anheimzustellen, im eigenen Ermessen und wiederum allein aus Gründen der Gesundheitsvorsorge über einen Wahltermin zu bestimmen, klingt absurd.
Es wäre tatsächlich ein besonderes Armutszeugnis, wenn das unter einer grün geführten Landesregierung geschähe.
Und zur zeitlichen Perspektive des „Lockdowns“: Man darf getrost bis nächstes Jahr um diese Zeit rechnen (1).
Danke, Simon Pschorr, für die gute Aufarbeitung!
(1) https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-krise-lockdown-koennte-bis-ins-naechste-jahr-dauern-a-ea2e318b-b388-4ccc-8493-318f892381b8
„faschistoid hysterischer Hygienestaat“ habe ich hier schon mal zitiert. Man sagt man erkenne eine Gesellschaft daran wie sie mit den Schwächsten umgehe. Obdachlose für die wir es versäumt haben Unterkünfte zu schaffen und denen wir mit dem Runterfahren des öffentlichen Lebens die Lebensgrundlage entziehen ohne ihnen adäquate Hilfeleistungen anzubieten, SGBII Aufstocker die ihre gesamten Ersparnisse aufbrauchen müssen bevor sie Unterstützung erhalten, Minijobber im Einzelhandel die jetzt Ihre Gesundheit an der Kasse riskieren und deren man sich nach der Krise schnell entledigen wird, diese Liste ließe sich lange fortsetzen. Von den gestrandeteten Flüchtlingen in Griechenland will ich an dieser Stelle gar nicht erst anfangen. Alles Gruppen ohne Lobby.
Der Wirtschaft hat man in wenigen Tagen Milliardenhilfen zugesagt. Nun kommen aus vielen Lobbyverbänden nach und nach Forderungen, so nun heute hier auch die Vereine.
Und was macht der deutsche Michel? Er applaudiert den Krisenmanagern, dabei hatten die sich um all das wo es nun klemmt jahrelang nicht gekümmert. Angefangen bei privatisierten und kaputtgesparten Krankenhäusern. Sowohl auf Bundes-, wie kommunaler Ebene seit Jahren nur Kostendruck und Vorgartendenken. Vor den Bürgern wird aktuell viel von Solidarität gefaselt. Wem gegenüber ist denn Herrn Spans Plan, aus dem Balkan Pflegekräfte abzuwerben, solidarisch gewesen? Gegenüber dem ausgebrannten Balkan oder gegenüber den, unter schlechtem Lohn und schlechten Arbeitsbedingungen leidenden Pflegekräften in Deutschland?
„Faschistoid hysterischer Hygienestaat“ ganz ohne Hilfe der AFD – ich muss schmunzeln wenn ich da an die Kommunalpolitikposse um Hakenkreuzbinden und Judensterne denke. Auch ein sehr engagierter Theaterintendant konnte uns, hier in Konstanz vor dieser Entwicklung nicht impfen. Da verwundert es auch nicht wenn sich kein Konstanzer Bürger und kein Gemeinderat dagegen wehrt, wenn der Oberbürgermeister immerwieder mit seinem Wording aus der Gebietskörperschaft einen Konzern machen möchte.
Wenngleich ich das Engagement von Herrn Pschorr und Herrn Prof. Dr. Nix an dieser Stelle nachvollziehen kann, wüsste ich nicht was eine Verschiebung bei dem Zustand unserer Zivilgesellschaft noch bringen sollte. Über 90% Zustimmung für die Aushebelung des Rechtsstaats. Gute Nacht Demokratie.
Wer im Südkurier den Leserbrief von Frau Brigitta Sonntag gelesen hat, der ahnt was kommen kann: Sie ist der Meinung, da OB Burchhardt uns aktuell sooo sicher durch diese Krise führt, erübrigt sich mehr oder weniger ein Wahlkampf. Ich bezweifle zwar, dass viele Bürger der Meinung sind, Ulis´ „Handeln“(?)ersetze einen Wahlkampf, dennoch besteht die Gefahr von Einseitigkeit.
Wie schon geschrieben, lebt ein Wahlkampf vor allem durch persönliche Präsenz, kleinere Veranstaltungen, Podiumsdiskussinen. Es kann nicht sein, dass außer Lebensmittelläden, Apotheken und Drogerien sämtliche Geschäfte und Restaurants geschlossen haben, selbst jene, die absolut überschaubar wären, um begrenzten Zugang zu ermöglichen, und Wahlen zugelassen werden, die normalerweise Massenveranstaltungen sind. Lieber Simon Pschorr, bitte dranbleiben, und natürlich, gesund….
@Dirk:
Du hast dahingehend Recht, dass meinem Text gut angestanden hätte, hier stärker zu differenzieren. Es gibt Produktion, die ist schlicht so essenziell, dass eine Einstellung einem Rückfall in die Steinzeit gleichkäme. Helmut hat einige davon angesprochen. Dass aber beispielsweise Automobilhersteller weiter fertigen müssen, das mag wirtschaftlich erfreulich sein, jedoch hat eine Fertigung in Bandarbeit ein hohes Ansteckungsrisiko zur Folge. Hier ist zwischenmenschlicher Kontakt unvermeidbar – spätestens in den gebotenen Pausenzeiten, Umkleiden und bei Schichtwechseln. Warum also Gaststätten, Ladengeschäfte und vieles mehr schließen müssen und BusunternehmerInnen Land auf Land ab Pleite gehen, aber gerade nicht unmittelbar erforderliche Industrien verschont bleiben sollen, erschließt sich mir eingedenk des ungleich höheren Ansteckungsrisikos nicht. Das wirft Fragen der Geeignetheit des Vorgehens im Sinne des Untermaßverbots auf.
Die Justiz hat ähnlich wie viele andere Lebensbereiche ihre Tätigkeit auf das Notwendigste zurückgefahren. Öffentliche Hauptverhandlungen finden nur noch in (strafrechtlichen) Haftsachen und in bereits begonnenen Verfahren statt. Alles andere ist aktuell ausgesetzt. Die Strafverfolgung hat allerdings nicht aufgehört. Soweit es möglich ist, wird in Homeoffice oder in Wechselschichtmodellen der Fortgang von Ermittlungen und der Abschluss von Ermittlungsverfahren gewährleistet. Gerade solche Zeiten wie jetzt motivieren Straftäter. Dem wird ein Riegel vorgeschoben.
@Christoph Stolz: Das ist wahr – die Verantwortlichen tragen auch die Bürde der Verantwortung, die einem kräftig auf die Füße fallen kann. Aktuell sehe ich aber das Risiko nicht so sehr beim OB. Denn: Die meisten Eingriffsmaßnahmen kommen von oben – aus Stuttgart oder Berlin. Damit kann für den unbequemen Part ein anderer Entscheidungsträger verantwortlich gemacht werden. Vor Ort präsentiert sich der OB aktuell eher als „der Krisenmanager“. Zu diesem Zweck hat man jetzt auch ein professionell aufgemachtes „KonstanzTV“ aus dem Boden gestampft, das seit Tagen Video um Video (nur) mit dem Amtsinhaber zeigt, über Social Media breit gestreut wird und hohe Klickzahlen erreicht. Diese Nutzung städtischer Plattformen ohne unmittelbaren Wahlkampfbezug, aber mit unmittelbarer Wahlkampfwirkung steht den KonkurrentInnen nicht zur Verfügung. Zu der Unterschriftensammlerei steht ja etwas im Text.
Gruß
Simon Pschorr
@immer noch stattfindenden industriellen Tätigkeit
Die ist auch aus nichtfinanziellen Gründen grossenteils systemrelevant und lebensnotwendig. Pasta, Milchprodukte,
medizinisches Gerät und Material, all dies wird industriell hergestellt. Der Nachschub muss rollen, LKWs, Rettungsfahrzeuge .. müssen
repariert und gewartet werden.
Nicht zu vergessen die Elektrizitäts- und Wasserwerke, die in den
Katastrophenplänen an Priorität vermutlich noch vor den vorsichtshalber mit Notstromaggregaten ausgerüsteten Krankenhäusern kommen, ohne Strom bricht ein Grossteil
der Kommunikationssysteme zusammen ( bleiben in der Not mit Batterie- oder Aggregat betriebene Funksysteme ).
In Italien stellen zur Zeit Prada und Gucci auf die Herstellung
von medizinischen Hygieneartikeln um, Techniker und Ingenieure
von Ferrari unterstützen Hersteller von Medizingeräten beim Ausbau von Menge und Produktionstempo. https://www.ilfattoquotidiano.it/2020/03/26/coronavirus-da-prada-e-gucci-a-fca-e-ferrari-tutte-le-aziende-italiane-che-riconvertono-la-produzione-per-fare-mascherine-e-ventilatori/5747676/
Hier ein bayrischer Nischenbetrieb, der umgestellt hat
https://twitter.com/manomama/status/1242755675366842368
Tatsächlich ein sehr spannender Artikel, insbesondere wenn man sich für Kommunalrecht interessiert. Einige in der Tat sehr schlüssige Punkte.
Möchte aber schon in die Wagschale werfen, dass ich einen „Krisenbonus“ für Amtsinhaber so nicht wirklich sehen kann.
Vielmehr halte ich es wahrscheinlicher, dass sich Personen in solchen Zeiten ordentlich die Finger verbrennen können. Das die Bevölkerung die derzeitigen Maßnahmen noch zu großen Teilen mitträgt, darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hierbei um große Grundrechtseinschränkungen handelt, wie Herr Pschorr ja auch darstellt. Ich würde mich daher sehr wundern, wenn sich da per se ein Wahlkampfbonus für die AmtsinhaberInnen subsumieren lässt.
Vielmehr sind diese ja durch ihre Verantwortungsposition auch stark daran gehindert Wahlkampf zu machen, da man zwingend in die Krisenstrukturen eingebunden sein muss. Denke nicht, dass eine solche Situation für die Entscheidungsträger kurz vor dem Wahltermin „wie gerufen“ kommt. Klar, wenn die Krise gut gehandelt wird, hat man einen Vorteil – aber ist das dann undemokratisch oder „unfair“? Würde ich schon stark bezweifeln!
Lieber Simon,
inhaltlich stimme ich deinem Hauptpunkt völlig zu; es ist mir auch schlicht unbegreiflich, warum nicht einfach ein Gesetz erlassen wird. Das ist ja nun wahrlich nicht so schwer und man könnte auch von den Regierungsparteien in BaWü erwarten, dass sie einfach mal ihren Job machen – so wie ja auch viele LKW Fahrer, Krankenschwestern und Ärzte momentan. In meinen AUgen ist das Momentan schlichte Leistungsverweigerung, einen anderen Grund sehe ich nicht.
Deiner Spitze im Text bezüglich der immer noch stattfindenden industriellen Tätigkeit muss ich aber ein Stück weit widersprechen: Ich sehe hier schon einen wesentlichen Unterschied in der Dringlichkeit: Mit dem selben OB (auch wenn ich kein Fan des jetzigen OBs bin) kann man durchaus leben, er kann ja dann geschäftsführend im Amt bleiben, so wie dies ja häufig auch bei Regierungen der Fall ist. Ich sehe da für einen begrenzten Zeitraum kein großes Problem und im Lauf der Dinge muss man auch mal so ehrlich sein: Ob wir jetzt 8 oder 9 Jahre Burchardt habe, das ist dann auch egal – Wichtig wäre, dass es nicht 16 werden!
Die industrielle Fertigung kann aber leider nicht einfach mal für mehrere Wochen, Monate oder gar für ein Jahr großflächig runtergefahren werden, weil dann schlicht die Betriebe in Finanznot kommen – Und dies wird jeden Mittelständler treffen und sei er auch noch so gut vorbereitet. So viel Kapital kann man irgendwann gar nicht mehr auf der hohen Kante haben, zumindest nicht in der Fertigung. Und auch der Staat wird nicht unendlich einspringen können und am Ende holt dieser sich sein Geld auch nur über Steuern, die wir alle bezahlen. Es würde daher zu schweren volkswirtschaftlichen Verwerfungen kommen und ich denke dies kann auch kein Wunsch oder Ziel linker Politik sein, denn wer würde darunter denn am meisten leiden? Der einfache Arbeiter am Band.
Auch virologisch muss man feststellen, dass Wahlkabinen in einem geschlossenen Raum mit hunderten durchlaufenden Menschen ein anderes Risiko darstellen als eine große Werkhalle, in dem auch in vielen Firmen schon im Regelfall zwischen den Maschinen große Abstände sind und die halt auch so hoch ist, dass die Luftzirkulation wie draußen ist.
Eine weitere Frage noch an dich: Wie steht es eigentlich gerade mit der Gerichtsbarkeit? Verbrechen finden sicherlich immer noch statt, aber wie können denn momentan Verhandlungen geführt werden? Da sind im Regelfall ja doch ein paar Menschen involviert?
Ich stimme Simon Pschorr und Christoph Nix in jedem Punkt unbedingt zu. Der Wahltermin am 5. Juli wäre der blanke Wahnsinn und entbehrt allem, was in diesem Land (noch) an demokratischen Mindeststandards Geltung hat.
Wenn aber die gesetzlichen Grundlagen für eine Wahlverschiebung in Ba-Wü derzeit nicht gegeben sind, dann muss jetzt auch hier der von den amtierenden Verantwortungsträger*innen so oft beschworene Pragmatismus (in der Krise) wörtlich genommen werden. Eine zügige Gesetzesänderung zur Ermöglichung des Aufschubs von Kommunal- und eben auch OB- und Bürgermeisterwahlen ist m. E. unabdingbar!
Hier stehen die gegenwärtig Verantwortlichen in der Pflicht, wenn sie nicht entgegen des gesunden Menschenverstandes (der uns im Übrigen in der Krise alle leiten sollte, um gesund zu bleiben), den Eindruck erwecken wollen, alles über Bord zu schmeißen, was an demokratischen Errungenschaften hierzulande in mühsamen Kämpfen erreicht werden konnte.
Ein Wahltermin ist dann sinnvoll und machbar, wenn die Krise irgendwann hoffentlich (größtenteils) bewältigt worden sein wird und ein Alltag, ähnlich dem wie wir ihn kennen wieder Einzug halten kann. Aber immer auch mit einem zeitlichen Vorlauf dann bis zum Wahltermin, um einen ordentlichen Wahlkampf zu ermöglichen.
Ob ein Wahltermin dieses Jahr noch angestrebt werden kann, hängt m. E. auch davon ab wie schnell es einen Impfstoff gegen den grassierenden Virus geben wird, der dann ausreichend zur Verfügung steht.
Denn trotz aller Nationalstaatlichkeit, die im Zuge der Krise einen ungeahnten Aufwind erfährt, müssen wir weiterhin global denken.
Solange Vollpfosten, wie z.B. der us-amerikanische oder der brasilianische Präsident, unfähig irgendetwas zu erkennen, wahrscheinlich Millionen Menschenopfer zu verantworten haben werden, können wir auch hier nicht einfach zur gewohnten Tagesordnung übergehen.
Der Unterschied zwischen Hessen und Baden Württemberg besteht unter anderem darin, dass die Hessische Verfassung wesentlich geprägt wurde von Menschen, die antifaschistisch und zutiefst demokratisch geprägt waren, Ministerpräsidenten wie Zinn waren im Widerstand, während Kiesinger NSDAP Mitglied war. Diese Tradition wirkt nach und die hessische Entscheidung in einem Landesgesetz zu regeln, dass die Kommunalwahlen verschoben werden, ist eine zutiefst demokratische Entscheidung, damit nicht die “ in der Krise“ amtierenden den Amtsbonus ausnutzen und sich zu Helden und Gewinnern machen: also
Landesgesetz einbringen und Wahlen verschieben; Frau Erikli, ihr Basisdemokraten, ihr Grünen und wie immer ihr euch nennt und wenig seid.