Beschäftigte im Corona-Modus: Zwischen Überarbeit und Zwangsurlaub

Für Hochbetrieb sorgt das Coronavirus gegenwärtig bei der Gewerkschaft Verdi. „Die Telefone stehen nicht still“, berichtet Reiner Geis, Geschäftsführer beim Verdi-Bezirk Südbaden-Schwarzwald, bei einer krisenbedingt ebenfalls telefonisch abgehaltenen Pressekonferenz am vergangenen Freitag. Der Beratungsbedarf bei Betriebs- und Personalräten, aber auch vielen verunsicherten Beschäftigten des krisengeschüttelten Dienstleistungssektors ist groß. Die Bandbreite der Probleme, mit denen die KollegInnen konfrontiert sind, könnte größer kaum sein.

Denn die durch die Pandemie ausgelösten Verwerfungen in den Betrieben der von Verdi betreuten Branchen machen sich in ganz unterschiedlicher Weise bemerkbar. Während die einen, unfreiwillig beschäftigungslos, um ihre finanzielle Zukunft bangen, müssen andere überall dort erhebliche Mehrarbeit leisten, „wo die Unterstützung von Menschen im Krankenhaus, im Rettungsdienst oder im Einzelhandel gefordert ist“, so Geis.

Belastungsprobe kommt noch

In den Krankenhäusern steht nach Eindruck der Gewerkschaft dabei die Belastungsprobe erst noch aus. „Die Spitze der Belegung wird für in ein, zwei Wochen erwartet“, schätzt Geis. Gegenwärtig würden deswegen vielerorts Mitarbeiter für den Gebrauch von Beatmungsgeräten geschult. Klagen gebe es aktuell vor allem über den schleppenden Materialnachschub. Ganz andere Probleme haben etwa Krankengymnastik- oder Physiotherapie-Praxen, die ebenso wie viele Reha-Kliniken auf Kurzarbeit umstellen müssen. Hier sei die Politik gefordert, den Weiterbetrieb der wichtigen Einrichtungen zu garantieren.

So wie in diesem medizinischen Umfeld trifft es Beschäftigte all jener Betriebe besonders hart, die Kundenkontakte pflegen und nun wegen Infektionsgefahr schließen mussten. In vielen Branchen haben die Firmeneigner laut dem Gewerkschafter fast flächendeckend Kurzarbeit beantragt, an vorderster Stelle der Textil-Einzelhandel. Ähnlich sei die Lage in der Unterhaltungs-, Reise- und Veranstaltungsbranche sowie dem Sicherheitsgewerbe, aber auch in der Logistikbereich würden etwa Speditionen vorsorglich schon Kurzarbeit anmelden.

Eine Entlassungswelle ist bislang ausgeblieben, zeigt sich der Gewerkschafter erleichtert, allerdings seien vereinzelt schon Kündigungen zu verzeichnen. Besonders Beschäftigte in Probezeit oder mit befristeten Verträgen seien davon betroffen.

Lob für Stadtwerke Konstanz

Geis hebt hervor, in der jetzigen Situation beweise sich erneut die Bedeutung betrieblicher Mitbestimmung. Überall dort, wo es Betriebsräte gibt, „läuft der Austausch gut“, berichtet der Verdi-Geschäftsführer. Viele Unternehmer würden das Kurzarbeitergeld über die gesetzliche Höhe von 60 Prozent hinaus aufstocken.

Besonders lobend erwähnt Geis die Stadtwerke Konstanz, wo es dem Betriebsrat gelungen ist, eine Vereinbarung über die Zahlung von 100 Prozent abzuschließen. Das gilt nicht für alle Energieversorger in der Region. So haben die Stadtwerke Rottweil etwa Beschäftigte mit der Aufforderung nach Hause geschickt, Urlaubstage zu nehmen. Auch bei anderen Werken wie in Tuttlingen und Villingen-Schwenningen wird noch über die Konditionen gestritten.

Dass über die Kurzarbeitsregelungen jetzt auf betrieblicher Ebene verhandelt werden muss, liegt an der Weigerung des Gesetzgebers, die Höhe auf mindestens 90 Prozent festzulegen, wie dies neben Verdi etwa auch die Linkspartei gefordert hatte. Für den Bereich des Öffentlichen Dienstes hat Verdi deshalb nun die kommunalen Arbeitgeber zu Tarifverhandlungen über eine einheitliche Höhe des Kurzarbeitergeldes aufgefordert, weil die gesetzlich zugestandenen 60 Prozent für viele Beschäftigte vorne und hinten nicht reichen.

Prämie gefordert

Die Gewerkschaft macht sich überdies für eine steuerfreie Prämie von 500 Euro im Monat auf Krisendauer für die vielgelobten „Heldinnen und Helden dieser Tage“ stark. Für die Beschäftigten in versorgungsrelevanten Bereichen, etwa im Gesundheitswesen, im Lebensmittelhandel oder auch bei der Bundesagentur für Arbeit seien die derzeitigen Arbeitsbelastungen enorm. Sie „halten dieses Land für uns alle am Laufen. Sie stehen unter extremen Belastungen und gefährden zum Teil in besonderer Weise ihre eigene Gesundheit. Die Arbeitgeber müssen sich dafür erkenntlich zeigen“, verlangt der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke.

Viele Tätigkeiten, etwa im Einzelhandel oder in der Pflege, wurden in der Vergangenheit in dieser Gesellschaft von vielen unterschätzt und sind unterbezahlt. „Jetzt zeigt sich, sie sind Leistungsträgerinnen und Leistungsträger, ohne die hier alles zusammenbrechen würde“, so Werneke. Solche Sonderzahlungen ersetzten jedoch keinesfalls tarifliche Regelungen: „Für die Zukunft sind deshalb dauerhaft bessere tarifliche Entgelte und Regelungen erforderlich. Das wird ver.di aufrufen, wenn die derzeitige Pandemie überwunden ist“, betonte Werneke.

Bereits jetzt gelte es indes, „Danke zu sagen“, erklärte der Verdi-Vorsitzende mit Blick auf die Anerkennungsprämie von 500 Euro, die „ab sofort und unbürokratisch“ durch die Arbeitgeber gezahlt werden soll, zumal etwa die derzeit geöffneten Einzelhandelsunternehmen gerade Extra-Profite einfahren würden.

jüg/MM (Foto: ver.di)