„Verwunderung und Bestürzung“
(red) Nachdem seemoz das trauernde Gedenken der Stadt Konstanz an den rechten Ex-Stadtrat Eyermann publik gemacht hatte (siehe hier und hier), mehren sich nun Stimmen, die sich gegen eine solche Vereinnahmung verwahren. Wir dokumentieren einen Brief der SPD-Stadträtin Zahide Sarikas an Oberbürgermeister Uli Burchardt sowie – stellvertretend für viele andere, die Kritik an der städtischen Trauerbekundung anmeldeten – den Post eines Bürgers an das Stadtoberhaupt, der just seit 1970 in Konstanz lebt. Ebenfalls Stellung genommen hat OB-Kandidat Luigi Pantisano.
[the_ad id=“70230″]
Fehl am Platz
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Mit Verwunderung und Bestürzung las ich, dass Sie einen Nachruf zur Erinnerung an den NPD-Aktivisten und ehemaligen Stadtrat Walter Eyermann auch im Namen des Gemeinderates veröffentlicht haben.
Bei allem Respekt für die Trauer der Familie ist in Konstanz und darüber hinaus unvergessen, wie die hetzerische Rhetorik des NPD-Stadtrats Debatten vergiftet und zum Mordanschlag auf einen jungen Azubi mitten in Konstanz beigetragen hat.
Ein würdigender Nachruf – zumal unter Verweis auf die Konstanzer Stadtmedaille in Silber – im Namen von Stadtverwaltung und Gemeinderat scheint mir in diesem Falle fehl am Platze.
Als Gemeinderätin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands SPD möchte ich mich deshalb hiermit ausdrücklich von diesem Nachruf distanzieren.
Ich bitte darum, dass dies aktenkundig gemacht wird.
Mit freundlichem Gruß
Zahide Sarikas
Keine Trauer für Alt- oder Neo-Nazis
Sie haben in einem Nachruf auf Walter Eyermann formuliert
„Die Stadt Konstanz trauert um Walter Eyermann“
Nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich als Bürger der Stadt Konstanz diese Vereinnahmung schärfstens zurückweise.
Mein Vater war staatenlos; für den Eintritt in die Wehrmacht wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft versprochen. Davon war nach WK II natürlich keine Rede mehr. Meine Mutter hatte bis in die 60er-Jahre Mühe, mir die österreichische Staatsbürgerschaft zu verschaffen.
1970 kam ich nach Konstanz. Mit schulterlangen Haaren trat ich eine Stelle bei der „Südkurier“-Druckerei Am Fischmarkt an. Allein mein damaliges Aussehen hätte die Zielgruppenangehörigkeit für Eyermanns „Säuberungen“ erfüllt.
Für Alt- oder Neo-Nazis und deren Abziehbilder kann ich keine Trauer aufbringen.
Peter Stribl
Hohn für die Opfer des Faschismus und Rassismus
Es ist ein Hohn für die Opfer des Faschismus und Rassismus, wenn Oberbürgermeister Uli Burchardt – ohne Rücksprache mit dem Gemeinderat – einem ehemaligen Mitglied der NSDAP und späterer Stadtrat der NPD (!) in einem Nachruf im Namen der Stadt Konstanz und des Gemeinderats gedenkt.
Der Verstorbene Walter Eyermann war nicht irgendein Hinterbänkler, der sich politisch verrannt hatte. Er hat mit der Gründung einer Bürgerwehr und seiner Hetze als NPD-Stadtrat gegen sogenannte „Gammler“ in den 1970er Jahren in Konstanz aktiv mit dazu beigetragen, dass der Auszubildende Martin Katschker ermordet wurde.
Einen Nachruf haben ebenfalls der Kreisverband Konstanz und der Landesverband Baden-Württemberg von Haus und Grund veröffentlich. Unbenommen der genannten Geschichte, war Walter Eyermann lange Jahre Geschäftsführer von Haus & Grund in Konstanz und ist seit 1968 sogar eine Ehrenmitglied (!) im Landesverband von Haus und Grund.
Die Politik steht in der Verantwortung, gerade in Zeiten grassierenden Rassismus und Rechtsextremismus, sich für die richtige Seite zu entscheiden und klare Zeichen zu setzen. Ein solcher Nachruf schadet der Stadt Konstanz insgesamt und zerstört das Vertrauen zu denjenigen Menschen, die tagtäglich von Rassismus bedroht sind.
Der Nachruf kann nicht mehr zurückgenommen werden, aber eine Entschuldigung für diesen Fehler ist von Seiten des Oberbürgermeisters der Stadt Konstanz nötig und angebracht. So wie auch der Landesverband von Haus und Grund dringend darüber nachdenken sollte, Walter Eyermann die Ehrenmitgliedschaft abzuerkennen. Welche Ehre frage ich mich, sollte einem Menschen mit dieser Vergangenheit zu Teil werden?!
Luigi Pantisano
(Foto: SPD Konstanz)
„Obwohl der gewöhnliche Faschismus zum Rassismus und zum Antisemitismus neigt, beruht die Ideologie des Faschismus nicht auf dem biologischen Determinismus.“(Sternhell)
„Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.“(Silone)
Die grundlegende Idee des Faschismus ist die Gleichschaltung aller sozialen, militärischen, politischen, bürokratischen und finanzwirtschaftlichen Ziele. Moussolini griff das lateinische Wort Fascic auf, was Zusammenhalt, Bündelung und so etwas wie eine Ausrichtung aller für dieselbe Sache meint. Alle ziehen am gleichen Strang, ist das Narrativ…
Geschichtsvergessenheit ist zur Zeit womöglich genauso gefährlich wie politische Unaufmerksamkeit…
Walter Eyermann war zeit seines Lebens ein uneinsichtiger und unbelehrbarer Nazi. Sein Bruder Rudi/Rudolf Eiermann (man beachte die unterschiedliche Schreibweise des Namens) hat die selbe Sozialisation erfahren, beide waren z.B. als SS-Männer in Südfrankreich stationiert. Aber wenn in den Augen von Walter das Tragen von Turnschuhen und langen Haaren ein todeswürdiges Verbrechen darstellten („gebt mir 40 Mann und 40 Gewehre“), freute sich Rudi über den Zuzug von Ausländern. Das mache die Hüetlinstraße interessanter und bunter. Er räumte auch eine geistige Mitschuld seines Bruders an der Ermordung von Martin Katschker ein.
Ja, man kann aus seinen alten Fehlern lernen und und Einsicht zeigen. Nicht so Walter Eyermann, er blieb der alte verstockte Nazi, der er schon vor dem Krieg war. Auch wenn er nicht mehr öffentlich seine Gesinnung äußerte, so hatte er sie noch. Vor ein paar Jahren erzählte mir ein befreundeter Architekt, sie müssten immer die Schwarzafrikaner verstecken, wenn Eyermann sich ankündigte. Der dulde nämlich keine „Neger“ auf seinen Baustellen.
Es geht nicht darum einem toten Nazi hinterher zu treten oder die Trauer der Hinterbliebenen zu stören, sondern keine Ehrung, gleich welcher Art, für einen Faschisten. Dass er eine Ehrenmedaille der Stadt hat, ist eine Schande für Konstanz. Diese Ehre sollte posthum wieder kassiert werden.
to whom it concerns:
„Je geistiger das Motiv eines Gewaltakts, desto böser ist es,
je bewußter, desto weniger zu entschuldigen.
Es wird unmenschlich. Eine Blasphemie.“
Friedrich Dürrenmatt, Justiz; 1985
An die Adresse der verharmlosenden …
„Ist das noch dumm oder ist das schon böse?“
Till Reiners, deutscher Kabarettist; 2015
Liebe Frau Stocker,
seit über 20 Jahren engagiere ich mich Bundesweit gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Im Fokus habe ich dabei den Schutz von Menschen, die von rassistischer Gewalt und Alltagsrassismus betroffen sind. Im speziellen unterstütze ich Bildungsprojekte für Jugendliche. Wir müssen jungen Menschen ein Vorbild sein auch im Umgang mit unserer Deutschen Geschichte.
Insbesondere den Betroffenen von Rassismus sind wir als Gesellschaft verpflichtet. Wir müssen Betroffene schützen und diejenigen ehren, die sich gegen Rassismus engagieren. Einen ehemaligen NPD-Stadtrat für seine Stadtratstätigkeit zu Ehren mit einer Zeitungsanzeige gehört ganz sicher nicht dazu.
Meine Familie und ich werden seit Jahren von den geistigen Erben eines Eyermann´s und seiner Nazikameraden mit Mord bedroht. Warum? weil ich mich gegen Rassismus engagiere und beispielsweise auch Fehlverhalten von politisch Verantwortlichen, der Polizei, Medien oder anderer Institutionen öffentlich kritisiere.
Ob in Konstanz, Stuttgart, Mannheim oder in Hamburg. Meine Stimme erhebe ich überall gegen Rassismus und auch gegen die falsche Ehrung von Menschen, die keine Ehre im Namen der Stadt Konstanz verdient haben.
Wahlkampf auf Kosten einer Trauerfamilie?
@Peter Stribl: Ich verstehe Sie als Betroffenen noch am Ehesten, empfinde Sie aufgrund Ihrer Beiträge sowieso als einen sehr unversöhnlichen Menschen. Was Sie in meinem Beitrag als Mitgefühl interpretieren, bleibt Ihnen überlassen. Ich kann ja keine Mutmaßungen über Reue und Schuldgefühle aufstellen. Es ist nicht unbedingt eine Gnade, sehr alt zu werden … Wieviel wissen Sie denn über die letzten Lebensjahre des Verstorbenen?
Aber, um zum Punkt zukommen: Es geht um die Frage, ob der OB richtig gehandelt hat. Ja, das hat er. Wie Herr Greis es beschrieben und begründet hat.
Ich bin erschüttert von den Leserbriefen Stocker/Greis, und ich möchte auf keinen Fall aussprechen, was ich von diesen beiden Personen halte. Jeder irgendwie politische Konstanzer kennt Eyermann, und niemand kann allen Ernstes etwas anderes behaupten
Mir macht Folgendes Angst:
Wenn wir jetzt endlich vergessen sollen, was vor 50 Jahre hier passiert ist, dann sollten wir auch schleunigst Auschwitz und Treblinka vergessen, das ist noch viel länger her.
Manchmal muss man eben in den Abgrund blicken, und deshalb bin ich froh, dass ich solche „Ansichten“ kennenlernen musste, wie sie in den beiden Leserbriefen, wie es scheint ohne Scham, geäußert werden.
Es bedrückt mich, dass anscheinend das „Meinungs“-Gift der Holocaust-Verantwortlichen virulent in die Gedankenwelt eines Mannes wie Eyermann und seine Bürgerwehridee getragen wurde, und jetzt nach 50 Jahren scheinheilig bagatellisiert werden soll. Der Applaus der AFD dürfte ihnen sicher sein.
Zusammenfassend möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich weder H.Greis noch F.Stocker für Rechtsradikale halte, zumindest haben sie sich niemals so geäußert. Ich halte sie aber für geschichtsvergessen und sie flankieren leichtfertig, wenn auch unbewusst die Faschisierung unserer Gesellschaft. Unsere Demokratie ächst sicher häufiger beim Tragen solcher Leserbriefe als bei den Einlassungen von Herrn Stribl.
Liebe Frau Stocker,
ich stimme Ihnen absolut zu. Was Herr Stribl da von sich lässt, ist für mich schlicht und einfach zum Kotzen. Ich war zur Zeit der damaligen Geschehnisse als 15-jähriger Lehrling im Hertie. Der heutige OB war da noch nicht einmal geboren. Ich kann mir gut vorstellen, dass er beim Ableben eines ehemaligen Stadtrates diesen Nachruf vorgelegt bekommt und unterschreibt, zumal in einer solchen Krisenzeit, wo sich alles überschlägt. Des Weiteren gehe ich davon aus, dass von seinen Mitarbeitern, die dafür zuständig sind, mit dem Namen Eyermann niemand etwas anfangen konnte, denn diese Beamten, die das damals miterlebten, sind alle schon pensioniert. Wenn sich die Linke „nicht vor den Karren Burchardts spannen lassen will“, ist das schon weit hergeholt. Und wenn Herr Pantisano aus Stuttgart eine Entschuldigung des OB fordert, ist das Wahlkampf pur.
Der Sohn von Herrn Eyermann (den ich persönlich nicht gekannt habe) ist ein guter Bekannter von mir und ich finde es total daneben, dass der Tod seines Vaters durch verbohrte Linke aufgrund eines Nachrufs dazu benutzt wird, Derartiges nach FÜNFZIG Jahren wieder aufzuwärmen – da ist nun mal die Zeit wirklich darüber hinweggegangen. Und es ist mir egal, Frau Stocker, wenn Herr Stribl der „Einblick in unsere Gedankenwelt“ nicht gefällt – seine „Gedankenwelt“ ist für mich mindestens fragwürdig.
Trotzdem ist es gut, dass unsere Demokratie auch Leute wie Peter Stribl aushalten kann.
@Merit Stocker
Sie finden es „fragwürdig, ausgerechnet zu einem Todesfall“ einen Artikel vorzufinden. Selbst mit einer gehörigen Portion schlechten Willens kommt man nicht umhin, den NACHRUF des OB als Auslöser des Artikels festzustellen. Daß sich die Linke Liste Konstanz nicht vor die Karre Burchardts spannen läßt, hat gute Gründe.
Eines der zentralen Themen der 68er-Bewegung war die Aufarbeitung des Dritten Reichs, die bis dahin so gut wie nicht stattgefunden hat. Die Nazigrößen in CDU und FDP zu der Zeit sind ja wohl ein deutlicher Hinweis diesbezüglich. Wenn „die damalige Auffassung von Recht und Ordnung sehr viele Konstanzer teilten“, ist das kein Grund, das schulterzuckend hinzunehmen. In letzter Konsequenz lief das wie gesehen auf einen Mord hinaus. Wären weitere Morde von vielen Konstanzern als gerechtfertigt beurteilt worden? Oder steckt(e) dahinter die Einstufung als Hinrichtung lebensunwerter Subjekte? Wenn eine der Lesarten zutrifft, welche Lehren haben die Konstanzer aus dem Faschismus gezogen?
Ihre Worte „was Herr Eyermann zwangsläufig miterleben musste“, klingen nach Mitgefühl mit diesem Saubermann mit mörderischem Endergebnis seiner Verbalattacken. Daß Sie „dabei gemachte Fehler und Falscheinschätzungen erkennt“ mit einem Punkt beenden, wirft die Frage nach Konsequenzen auf. Wie wärs mit Reue, vielleicht sogar tätiger? Wird die in dem Fall von Ihnen als nicht erforderlich erachtet? Meines Wissens hat Eyermann seine Vorstellung von „Recht und Ordnung“ nach dieser Tat nicht hinterfragt oder gemildert.
Alles in allem wäre eigentlich Trauer für Katschker, nicht für Eyermann folgerichtig. Das hätte auch dem OB gut zu Gesicht gestanden aus dem Anlass. Der Einblick in Ihre Gedankenwelt hat aber auch was für sich.
Wenn man sich einmal die Zeiträume ansieht, Geburtsjahr 1926! Die schreckliche Tat, die er trotz Allem nicht selbst begangen hat, geschah vor 50 Jahren. Die damalige Auffassung von Recht und Ordnung teilten sehr viele Konstanzer, wenn man bedenkt, dass Herr Eyermann von ihnen gewählt und 13 Jahre lang im Stadtrat war. Abgesehen von Bürgermeister Helmle …
50 Jahre, ist es also her, in denen sich unsere Gesellschaft eklatant verändert hat, was Herr Eyermann zwangsläufig miterleben musste. Ob er am Ende seines Lebens immer noch von seiner damaligen Auffassung überzeugt war, weiß ich nicht. Ich unterstelle aber jedem Menschen, dass er seine Glaubenssätze mit dem Älterwerden zumindest überdenkt, und dabei gemachte Fehler und Falscheinschätzungen erkennt. Hier hat er keine Chance mehr sich zu äußern, warum vor seinem Tod keiner gefragt?
Damals waren die Gammler das Feindbild der Nation. Wenn man sich ein Gesamtbild der damaligen Zeit machen möchte, ist dieser Artikel vom Südkurier (2018) gut geeignet:
https://www.suedkurier.de/ueberregional/Geranien-gegen-Gammler-Als-die-Achtundsechziger-Bewegung-unsere-Region-erreichte;art1350068,9640467
Es mag einen Grund haben, warum jetzt noch ein zweiter Artikel dazu erscheint. Ich fand den ersten schon fragwürdig, ausgerechnet zu einem Todesfall. Es trifft nur noch die Familie!