Empörung über Einsperren von Geflüchteten

Am Karfreitag hat die Stadt Konstanz die Geflüchteten-Unterkunft in der Luisenstraße mit einem Bauzaun abriegeln lassen. Kein Bewohner, keine Bewohnerin darf das Atrium, in dem um die 100 Menschen unterbracht sind, verlassen, niemand darf hinein. Als Grund gab die Zuständige bei der Stadt einen Covid-19-Fall an. Gegen die Zwangsmaßnahme protestiert die Konstanzer Seebrücke mit einem Offenen Brief an die Verantwortlichen bei Stadtverwaltung und Landratsamt.

Der positiv auf das Virus getestete Bewohner habe sehr viele Kontakte innerhalb des Atriums gehabt, weshalb man alle BewohnerInnen in „vorläufige Quarantäne versetzen“ habe müssen, erklärte Ordnungsamt-Leiterin Anja Risse am 11.4. schriftlich. Warum diese Maßnahme mit dem polizeilich überwachten Entzug von elementaren Grundrechten per Bauzaun durchgesetzt werden soll, begründet die deutsche Beamtin mit Verdächtigungen, die der Gedankenwelt von RassistInnen entstammen. Risse unterstellt den BewohnerInnen, die in der Massenunterkunft auf engstem Raum hausen müssen, pauschal fehlende Einsicht und zugleich „Drogen- und Alkoholprobleme“. Verschwiegen wird, dass gerade die unwürdigen Lebensbedingungen in der Anschlussunterkunft ein idealer Nährboden für die Verbreitung des Virus sind. Dass nicht längst mehr Infektionen aufgetreten sind, spricht deswegen eher für die Disziplin der BewohnerInnen.

Im Vorfeld hat es an warnenden Stimmen nicht gefehlt, die auf die Infektionsgefahr in Massenunterkünften hingewiesen hatten und für eine dezentrale Verteilung plädierten. So schlug etwa LLK-Stadtrat Simon Pschorr vor, die Betroffenen in leerstehenden Ferienwohnungen unterzubringen. Gegen den panischen Versuch der Verwaltung, die Situation durch Einsperren in den Griff zu bekommen, hat die Konstanzer Seebrücke einen Offenen Brief an die Verantwortlichen für das Einsperren der Geflüchteten geschrieben.

Die Seebrücke-Leute fordern zudem die KonstanzerInnen auf, „selbst aktiv zu werden und an die Stadt zu schreiben (unser Schreiben dürft ihr gerne als Vorlage verwenden)“. Ihr Appell: „Geht auch am Atrium vorbei und versucht, Kontakt zu den Menschen aufzunehmen, um mit Ihnen zu sprechen, dann wissen Sie, dass Sie nicht allein sind.“

Das Seebrücke-Schreiben im Wortlaut:


Offener Brief zum Vorgehen der Stadt Konstanz an der Anschlussunterkunft Atrium

Sehr geehrter Herr Landrat Danner,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Burchardt,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Osner,
sehr geehrte Frau Risse,
sehr geehrter Herr Dr. Tchakoura,

die Konstanzer Seebrücke ist empört über die rigide Abriegelung der Anschlussunterkunft Atrium am Karfreitag. Denn so wichtig der Gesundheitsschutz der Bevölkerung auch ist, so wenig nachvollziehbar ist es aus unserer Sicht, mehr als 90 Menschen zur Sicherstellung der Quarantäne-Auflagen einfach zu internieren. Hier misst die Stadt mit zweierlei Maß, denn es ist uns nicht bekannt, dass sämtliche Menschen, die bisher in Konstanz möglichen Kontakt zu Corona-Infizierten hatten, ebenso umfassend ihrer Freiheitsrechte beraubt worden wären.

Und uns überzeugt auch nicht, dass die – angebliche – Drohung mit nächtlichen Ausbrüchen oder eine unterstellte generelle Unvernunft der Bewohner dieses Vorgehen rechtfertigt. Denn wir bezweifeln, dass Sie vergleichbare Maßnahmen getroffen hätten, wenn etwa ein Studierendenwohnheim statt einer Flüchtlingsunterkunft betroffen geworden wäre – obwohl junge Menschen ebenso pauschal als unvernünftig bezeichnet werden.

Ihr Vorgehen ist deswegen von Rassismus gekennzeichnet und aus unserer Sicht eine reine Panik-Reaktion der Verwaltung, die es seit langem versäumt, die Sammelunterkünfte aufzulösen und die Geflüchteten anderweitig unterzubringen. Obwohl bekannt ist, dass dort, wo Menschen auf engstem Raum untergebracht sind, die Gefahr von Epidemien besonders groß ist. Und wer dies nicht vorausschauend verhindert, nimmt Gesundheitsrisiken für die Betroffenen bewusst in Kauf.

Gerade von Ihnen, Herr Oberbürgermeister, fordern wir deswegen,

  • dass Sie die sofortige Entfernung des Zauns am Atrium anordnen, wie Sie sich ja auch für den Wegfall des Zauns zu Kreuzlingen einsetzen.
  • eine engagierte Unterstützung der von der Quarantäne Betroffenen durch städtische Mitarbeiter, statt wie aktuell Ehrenamtliche dazu aufzufordern.
  • die zeitnahe Unterbringung nicht nur der negativ Getesteten, sondern aller Geflüchteten in Hotels und Ferienwohnungen.

Schließlich können Sie so auch die von der Krise besonders betroffenen Touristiker unterstützen und zeigen, dass Konstanz in der Lage ist, eine umfassende und allen dienende Krisenpolitik zu betreiben.

Freundliche Grüße
Konstanzer Seebrücke


MM/jüg (Fotos: Konstanzer Seebrücke)