Kommunen im Krisenmodus

In der Krise schlägt sprichwörtlich die Stunde der Exekutive. Bundes- und Landesregierungen, aber auch LandrätInnen und (Ober-)BürgermeisterInnen schreiten beherzt zur Lösung der Probleme, leiten Krisenstäbe, treffen schwere Entscheidungen und haben – so sagen bitterböse Zungen – eine einmalige Gelegenheit, mal ohne die Parlamente zu regieren. Doch nutzen sie diese auch (aus)?

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Wie die meisten Rechtstexte ist die Gemeindeordnung in Baden-Württemberg ein Kind ihrer Zeit und in erster Linie nicht für den Krisenfall geschrieben. Wenn Gemeinderatssitzungen aufgrund des Infektionsschutzes ausfallen müssen und das Regelwerk keine (inzwischen nicht mehr ganz unüblichen) Videokonferenzen kennt, muss also nachgebessert werden. Seit mehreren Wochen ist diese Nachbesserung von Innenminister Thomas Strobl angekündigt, nach langem Warten konnte sein Ministerium Ende letzter Woche endlich Teilvollzug melden: Die Vorlage sei inzwischen im Kabinett angekommen.

Doch wie haben die Kommunen in Baden-Württemberg im vergangenen Monat die Krise gemanagt? Haben die Stadtoberen durchregiert oder fanden sich informelle Formen der Beteiligung für die Kommunalparlamente? Seemoz hat mit sieben StadträtInnen aus Konstanz, Singen und weiteren Groß- und Mittelstädten aus dem Rest des Landes gesprochen und nach ihren Eindrücken gefragt. Im Gespräch haben sie berichtet, was im Vergangenen Monat in den Rathäusern in Baden-Württemberg passiert ist.

Konstanz

Kommunikation zwischen Stadtspitze und Gemeinderat habe es zunächst eine ganze Weile nicht gegeben, so Simon Pschorr, Stadtrat für die Linke Liste Konstanz. Oberbürgermeister Burchardt habe im vergangenen Monat mit Krisenstab durchregiert und sich mit dem zügigen Ausbau der medialen Außendarstellung der Stadt schnell in Szene gesetzt. Zufriedener stimmt Pschorr der Kontakt mit den Fachämtern, die ihm mit verhältnismäßig schnellen Rückmeldungen zumindest die aktive Informationsbeschaffung erlaubt habe, wo passive versäumt worden sei.

Im Krisenmanagement habe vor allem die Umzäunung einer Flüchtlingsunterkunft für starke Irritationen in Teilen des Gemeinderats gesorgt. Deren variierenden Begründungen deuteten auf hohe Nervosität im Rathaus hin. Bis dahin habe sich die Stadt mit den Maßnahmen zur Eindämmung weitestgehend auf Linie von Land und Bund bewegt. Etwa mit Versammlungsverboten und der Aussetzung von Kita-Gebühren.

Nach anfänglicher Funkstille seien Anfang April, also nach rund drei Wochen, erstmals die Ratsfraktionen kontaktiert worden. Eine Sitzung des Gemeinderats fand am 21. April in verringerter Besetzung und unter verstärkten Hygienemaßnahmen statt. Behandelt worden seien nur die dringendsten Themen. Der Ausschussbetrieb ruhe derzeit noch.

Singen

Wesentlich zufriedener zeigt sich die Singener Stadträtin Birgit Kloos (Singen Ökologisch Sozial). Der Informationsfluss zwischen Rathaus und Gemeinderat sei vom ersten Tag an vorzeigbar gewesen. Oberbürgermeister Bernd Häusler habe sein Vorgehen bei der Pandemieeindämmung mit dem Ältestenrat diskutiert. Auch seine bisher einzige Eilentscheidung habe er zunächst mit den Fraktionen besprochen.

Im April ruhe der Sitzungsbetrieb zwar, die nächste Gemeinderatssitzung sei aber, mit besonderen Vorkehrungen, für Anfang Mai geplant und werde aus Sicherheitsgründen in der geräumigeren Stadthalle stattfinden. Unklar sei derzeit zwar noch die Wiederaufnahme des Sitzungsbetriebs, für den Kloos aber die Nutzung von größeren Räumlichkeiten zur Wahrung von Mindestabständen für eine denkbare Maßnahme hält.

Karlsruhe

Auch in Karlsruhe scheint man eine tragbare Lösung für die Einbeziehung des Kommunalparlaments gefunden zu haben. Dort gebe es ein- bis zweimal wöchentlich einen schriftlichen Bericht von Oberbürgermeister Frank Mentrup sowie seit Ende März zwei Videoschalten mit Oberbürgermeister, den AmtsleiterInnen und den Fraktionen, so Stadtrat Lukas Bimmerle (Die Linke). Im Sitzungsbetrieb des Gemeinderats habe es keine Ausfälle gegeben, die vergangene Sitzung habe man mit einer im Einvernehmen mit dem Ältestenrat auf das allernotwendigste gekürzten Tagesordnung bestritten, für die kommende diskutiere man ein zeitliches Limit, strengere Redezeitbegrenzungen und ziehe in die weitläufigere Kongresshalle um. Bis dahin treffe man Entscheidungen per Umlaufverfahren. Die Aufsichtsräte tagten per Videokonferenz. Lediglich im Ausschussbetrieb sei es zu Ausfällen gekommen, weil sachkundige BürgerInnen nicht anwesend seien konnten.

Neben den von Bund und Land erlassenen Regelungen hat Karlsruhe zudem Prostitution und Sexkauf unter Strafe gestellt und untersagt damit nicht nur den Betrieb von Bordellen, sondern zielt bei Verstoß auch auf eine Sanktionierung von Prostituierten und Freiern ab. Schnell reagiert wurde außerdem bei der Kulturförderung, indem nun auch online angebotene Veranstaltungen aus städtischen Töpfen gefördert werden können.

Heidelberg

Als etwas schleppend beurteilt Sahra Mirow, Stadträtin für die Linke, die Informationspolitik im Heidelberger Rathaus. Viel müsse erst eingefordert werden, bei Kommunikationswünschen habe es aber bisher wenig Widerstand gegeben. So halte Oberbürgermeister Eckart Würzner die Fraktionen seit Mitte März wöchentlich in einer auf Vorschlag der Grünen Ratsfraktion eingerichteten Videoschalte auf dem Laufenden.

Problematisch sieht sie zudem die vom Gemeinderat beschlossenen Ausweitung der Befugnisse für den Oberbürgermeister. In seiner letzten Sitzung Ende März übertrug dieser Würzner wesentliche Kompetenzen des Haupt- und Finanzausschusses. Allerdings zunächst bis Anfang Mai und mit einer Offenlegungspflicht verbunden. Ratssitzungen per Videokonferenz würden auch in Heidelberg angestrebt, bis zur Schaffung der rechtlichen Grundlagen durch das Land bleibe für elektronische Entscheidungen aber erstmal nur das elektronische Umlaufverfahren. Dies betreffe vor allem unstrittige Entscheidungen, kontroversere Themen würden bei Einspruch zurückgestellt, bis wieder diskutiert werden könne. Die Rückkehr zum regulären Sitzungsbetrieb ist für Ende Mai geplant.

Tübingen

Durch zwei Infektionsfälle Ende Februar sei Tübingen schon sehr früh mit dem Corona-Virus konfrontiert gewesen, erklärt Stadträtin Lea Elsemüller (AL/Grüne). Die Verwaltung habe sich gut an die Krisensituation angepasst, schnell Mietstundungen ermöglicht sowie die Kitagebühren für den April ausgesetzt und leiste insbesondere im Sozialbereich wichtige Unterstützungsarbeit für ehrenamtliche Hilfsangebote. Auch der Informationsfluss zwischen Stadtspitze und Gemeinderat funktioniere angesichts der Situation sehr gut. Oberbürgermeister Boris Palmer stoße zwar weiterhin gerne Diskussionen an, hole sich aber vor konkreten Entscheidungen Stimmungsbilder aus den Fraktionen ein.

Unter die Räder gekommen seien allerdings die Haushaltsverhandlungen, die in den vergangenen Wochen hätten stattfinden sollen. Beschlossen wurde der Etat ohne Diskussion in einer Notsitzung durch vier Stadträtinnen. Ein Vorgehen, auf das man sich zuvor einvernehmlich im Ältestenrat geeinigt habe. Die Verhandlungen seien nun in den Herbst verschoben, wo sich aufgrund der krisenbedingten Veränderungen ein Nachtragshaushalt anbahnt.

Abgesehen von den Haushaltsverhandlungen habe es aufgrund der Osterpause jedoch keine krisenbedingten Lücken im Sitzungskalender gegeben – auch nicht in den Ausschüssen. Dort tage man verringerter Größe, knapp über der Beschlussfähigkeit, während nichtanwesende Ausschussmitglieder die Sitzung per Videoübertragung verfolgen könnten. Das dabei bereits ausgetestete Videosystem laufe und bewähre sich und man warte nun auf die Rechtsgrundlage, um es nicht nur zum Zuschauen zu verwenden, sondern auch die aktive Teilhabe aus der Distanz an Sitzungen zu ermöglichen.

Weinheim

Harmonisch scheint die Situation im nordbadischen Weinheim. „Die Fraktionen werden täglich durch Newsletter auf dem Laufenden gehalten, Fragen und Anregungen stetig per Mail ausgetauscht und zügig geprüft“, berichtet Stadtrat Dr. Carsten Labudda (Die Linke). Auch um Videokonferenzen zur Meinungsbildung habe man sich bemüht, diese scheiterten dort aber an einzelnen Ratsfraktionen und nicht etwa an Oberbürgermeister Manuel Just. Umlaufverfahren seien aufgrund der Vetomöglichkeit eines rechtsextremen Stadtrats nicht praktikabel. Die Verwaltung, die einen vertrauensvollen Umgang mit den RätInnen pflege, bemühe sich aktuell um eine Wiederaufnahme des derzeit pausierenden Sitzungsbetriebs. Die nächste Sitzung des Gemeinderats werde aktuell für Anfang Mai geplant und soll in der Stadthalle abgehalten werden, um Mindestabstände wahren zu können.

Freiburg

Auch in Freiburg gibt es positive Resonanz für das Krisenmanagement von Oberbürgermeister Martin Horn. Stadtrat Gregor Mohlberg (Eine Stadt für alle) attestiert ihm zügige und klare Kommunikation. Eine Gemeinderatssitzung zu Beginn der Krise sei in großem Einvernehmen abgesagt worden, die unstrittigen Vorlagen habe man per Umlauf abgestimmt, die strittigeren auf eine voraussichtlich zweitägige noch anzusetzende Megasitzung des Gemeinderats vertagt. Auch wenn es Zeit gedauert habe, bis der Ältestenrat habe per Videokonferenz zusammentreten können, hätten Mohlberg und seine Fraktion Kritik und Anregungen einbringen können.

So etwa bezüglich des öffentlichen Betretungsverbots, das als erstes seiner Art für den Rest des Landes als Vorbild diente. Mohlberg und seiner Fraktion hätten hier besonders darauf gedrängt, dass Gruppen ohne festen Wohnsitz, aus Wohnheimen oder mit sozial psychologischen Auffälligkeiten weder bedrängt noch kriminalisiert würden, was von der Stadtverwaltung bei der Umsetzung so auch beachtet worden sei.

Und jetzt?

Nicht überall wird eine Einbindung der KommunalparlamentarierInnen in das Krisenmanagement der Rathausspitzen gleichermaßen stark vollzogen. Fehlende formale Strukturen werden mal mehr, mal weniger stark durch informelle Entscheidungsprozesse ersetzt. Es zeigt sich besonders, dass ein zügiger Informationsfluss, gute informelle Absprachemöglichkeiten und die Einbindung von Kritik mehr Verständnis und auch eine höhere demokratische Legitimation für auch unter hohem Druck entstandene Entscheidungen schaffen.

Nichtsdestotrotz ist auch klar: Informelle Strukturen ersetzen keine juristisch festen Entscheidungsstrukturen und die aktuelle Mitbestimmung durch die Kommunalparlamente entspricht aktuell nur äußerst eingeschränkt demokratischen Standards. „Die Kommunalverfassungen und Geschäftsordnungen müssen an solche Situationen schnell angepasst werden“ fordert etwa Gregor Mohlberg. Denn derzeit funktioniere die informelle Einbindung zwar, dies basiere aber auf Wohlgefallen und nicht auf festgelegten Entscheidungsstrukturen. „Auch wenn man der Verwaltung und dem OB ein gutes Krisenzeugnis ausstellen muss, gibt es doch große demokratische Leerstellen in der aktuellen Kommunalverfassung in Bezug auf Krisenzeiten, Videokonferenzen und Notgremien.“ Es bleibt zu hoffen, dass das Warten nun wirklich bald ein Ende hat.

Übrigens: Lobende Worte gibt es von allen für die jeweiligen Verwaltungen, die trotz des Mehraufwands in der derzeitigen Situation, für die RätInnen weiterhin ansprechbar seien.

dsc