Hölderlin zum 250.: „Pallaksch, Pallaksch“
Ganz einfach hatte es Hölderlin nicht mit seinen Mitmenschen, aber einfach hat er es ihnen auch nie gemacht, weder als Mensch noch als Lyriker. Von ihm, der vor 250 Jahren in Lauffen am Neckar geboren wurde und 1843 in Tübingen starb, wurden zu Lebzeiten beileibe nicht alle Werke gedruckt, und breitere Anerkennung erfuhr sein Schaffen erst ab dem frühen 20. Jahrhundert, als auch sein Spätwerk gelesen wurde, das zuvor oft als Gebrabbel eines Schizophrenen abgewertet worden war.
Die Gelehrten- und Dichterrepublik war auch zu Hölderlins Zeiten schon eher ein Dorf, in dem so ziemlich jeder jeden kannte. Im Studium in Tübingen freundete sich Hölderlin mit den angehenden Philosophen Hegel und Schelling an, deren Sprache viele damalige und heutige Leser genau wie die Hölderlins manchmal vor Rätsel stellt. Später lernte er dann auch Novalis, Goethe und den von ihm besonders bewunderten Schiller kennen. Hölderlin orientierte sich in seiner Lyrik – für die damalige Zeit bis noch hin zu Nietzsche nicht ganz untypisch – auch an antiken Vorbildern und übersetzte selbst einige Klassiker. Vor allem Pindar, einem Griechen der ersten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts, fühlte er sich verbunden.
1806 wurde Hölderlin dann als komplett wahnsinnig weggesperrt und von Justinus Kerner (der, nach dem später der Wein benannt wurde, von dem man so sicher Sodbrennen bekommt) erfolglos behandelt. Den Rest seines Lebens verbrachte er im Tübinger Hölderlinturm mit Anschluss an die Familie eines seiner wenigen Fans. Er erlebte immer wieder kreative Phasen, und so gilt Hölderlins Spätwerk heute als ein Höhepunkt der deutschen Poesie. Das heißt nicht, dass es leicht zu lesen wäre, denn für den heutigen Geschmack tauchen dort ziemlich viele Götter auf, und der „hohe“ hymnische Ton ist nicht jedermanns Sache.
Hölderlin in Concert
Die Bedeutung und Rezeptionsgeschichte eines Dichters spiegeln sich gerade im sangesfreudigen 19. Jahrhundert auch in den Vertonungen durch angesehene Komponisten wider. Während etwa Heine-Gedichte oft schon vertont wurden, ehe die Tinte richtig trocken war, sieht es da bei Hölderlin äußerst mau aus. Der Strom der auf Hölderlin bezogenen Kompositionen wird erst ab den 1970er Jahren breiter und erreicht mit Luigi Nonos Streichquartett „Fragmente – Stille, An Diotima“ 1979 einen künstlerischen Höhepunkt, ehe dann in den neunziger Jahren in der komponierenden Zunft eine Art Hölderlin-Manie losbrach, die mittlerweile wieder abgeflaut ist.
Neben wenigen anderen (vergessenen) Tonsetzern hat Brahms, der zumeist ein gutes Händchen für Texte bewies, im 19. Jahrhundert ein Hölderlin-Gedicht vertont, nämlich als sein noch heute geschätztes „Schicksalslied“ op. 54. Nachdem er zwei Strophen lang das unbelastete, „schicksallose“ Leben der Götter besungen hat, kommt Hölderlin darin zum Schluss auf das eher bittere Dasein des Menschen zu sprechen, und hatte damit natürlich den gelegentlich etwas bärbeißigen Brahms sofort an seiner Angel:
Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn;
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahrlang ins Ungewisse hinab.
Und was hat es mit dem berühmten „Pallaksch, Pallaksch“ auf sich, auf das Paul Celan später in seinem Gedicht „Tübingen, Jänner“ Bezug nahm? Es war eine Wortschöpfung Hölderlins und konnte sowohl „ja“ als auch „nein“ bedeuten, was einer Unterhaltung mit ihm vermutlich immer wieder überraschende Wendungen zu verleihen vermochte.
Short-Message Hölderlin
Hölderlin ist ganz eindeutig eine herausragende Größe der schwäbischen und damit auch der baden-württembergischen Literaturgeschichte. So ist es denn nur logisch, 2020 als Jahr seines 250. Geburtstages im Südwesten zum Hölderlin-Jahr auszurufen (es ist übrigens auch Beethoven-Jahr, der ist nämlich derselbe Jahrgang wie Hölderlin). Aus diesem Anlass hat sich die Konstanzer Autorin Judith Zwick mit Hölderlin befasst und zusammen mit der Radiojournalistin Bettina Mittelstraß eine achtteilige Reihe von Podcasts eingespielt.
„Von Hölderlin kannte ich – wie die meisten Leute – eigentlich nur ein paar Gedichte, einzelne biographische Anekdoten.“ Acht Wochen lang las sich Judith Zwick durch Hölderlins Werk, führte Gespräche, befragte Schriftsteller und Lyriker, stöberte im Archiv, traf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und besuchte verschiedene Orte, an denen der Dichter gelebt und gearbeitet hat. „Wir haben beispielsweise gemeinsam mit der Leiterin Eva Ehrenfeld Hölderlins Geburtshaus in Lauffen besucht. Wir haben mit dem Schriftsteller Karl-Heinz Ott über die Epoche gesprochen, in die Hölderlin da hineingeboren wurde und die ja komplett im Umbruch war. Der Lyriker Mikael Vogel hat unseren Rundgang durch das Hölderlin-Archiv in Stuttgart per WhatsApp poetisch begleitet und natürlich waren wir auch im berühmten Hölderlinturm. Wir haben von acht verschiedenen Orten aus und aus acht Perspektiven einen Blick auf Hölderlins Leben und Arbeiten geworfen.“
MM/Harald Borges (Bild: Franz Karl Hiemer / Public domain)
Ab dem 15. Mai 2020 ist der erste Podcast zu hören.
Im Internet gibt es jeden Freitag hier eine neue Folge.
Zu den Sendungen, die dann wöchentlich folgen, erscheint jeweils auch eine Postkarte mit einem QR-Code, über den ebenfalls ein Zugriff auf die jeweils aktuelle Folge möglich ist. „Zum Abschluss der Reihe werden ab dem 3. Juli 2020 alle acht Hölderlin-Postkarten als große Plakate die Stadt Konstanz für vier Wochen in einen Hölderlin-Ort verwandeln“, notieren die VeranstalterInnen.
Die Folgen
#1 Heimat & Herkunft – 15. Mai 2020
#2 Philosophie & Politik – 22. Mai 2020
#3 Beruf & Berufung – 29. Mai 2020
#4 Liebe & Schönheit – 5. Juni 2020
#5 Sprache & Poesie – 12. Juni 2020
#6 Scheitern & Flucht – 19. Juni 2020
#7 Wahnsinn & Rückzug – 26. Juni 2020
#8 Tod & Nachleben – 3. Juli 2020
Das Ganze ist ein Projekt des Literatursommers 2020 der Baden-Württemberg Stiftung in Kooperation mit dem Kulturamt Konstanz und im Auftrag des Literaturbüros Konstanz e.V.
Hölderlin hat ein paar Monate ganz in der Nähe von Konstanz gelebt – nämlich von Januar bis April 1801 im thurgauischen Hauptwil. Dort war er Hauslehrer der jüngeren Töchter des Textilfabrikanten und Kaufherrn Anton von Gonzenbach und seiner Frau Ursula. Obwohl er nur vier Monate in Hauptwil war, war er sehr produktiv in dieser Zeit. Er schrieb oder vollendete acht Oden, die Elegien «Menons Klagen um Diotima» und «Stuttgart. An Siegfried Schmid», entwarf die Gesänge «Friedensfeier», «Der Rhein» und «Die Wanderung». Dass er so schnell wieder aus Hauptwil weg musste, war wohl einerseits finanziellen Problemen Gonzenbachs geschuldet, andererseits aber auch Gonzenbachs Widerstand gegen Hölderlins Bestrebungen seine Schülerinnen zur Selbständigkeit zu erziehen. Vor allem aber gerietn Gonzenbachs und Hölderlin wohl aus religiösen Gründen aneinander. Aufklärer, Pietisten und Calvinisten rund um die Textilbarone waren gegen Hölderlins ontologisch fundierte Theologie (Gibt es einen Gott? was ist der Mensch?Hat die welt einen Anfang? etc.). Diese religiöse Frage scheint auch der unmittelbare Grund für die Entlassung gewesen zu sein, wie vor allem ein Brief an Siegfried Schmid belegt. (Nachzulesen in dem Buch „Unter den Alpen gesungen. Hölderlin als Hauslehrer in Hauptwil“ des Konstanzer Literaturwissenschaftlers Ulrich Gaier, 2008)