Kita-Öffnungen: Kritik von allen Seiten
Besonders hart traf viele Familien die Schließung der Kitas. Kinder wurden aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen, Mütter und Väter mussten den Alltag oft komplett umkrempeln. Die Landesregierung hatte zuletzt mit Öffnungsversprechen Hoffnungen geweckt. Die seit dem 18. 5. möglichen Lockerungen gehen vielen indes nicht weit genug. Harsche Kritik erntet Stuttgart auch von gewerkschaftlicher Seite. Verdi moniert, bei den Öffnungsschritten kämen häufig die Belange des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu kurz.
Die seit dem 18. Mai gültige Corona-Verordnung der Landesregierung erlaubt es, Kindertagesstätten schrittweise wieder zu öffnen. Maximal zulässig ist danach eine Belegung mit der Hälfte der regulären Gruppengröße, die Zusammensetzung der Gruppen darf nicht verändert werden. Zudem sollen die Kriterien für die Notfallversorgung weiterhin gelten. Trotz dieser Lockerungen schlägt der zuständigen Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) vielstimmige Kritik entgegen.
Hoffnungen nicht erfüllt
So hatte vergangene Woche etwa die Bruchsaler Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick öffentlich die schlechte Informationspolitik des Kultusministeriums gerügt. Viele Träger von Betreuungseinrichtungen beklagen zudem unklare Aufnahmekriterien. Ein Beispiel: Noch am 15. Mai hatte Eisenmann ein rollierendes System in Aussicht gestellt, um möglichst viele Kinder in einer reduzierten Regelbetreuung zu berücksichtigen. Drei Tage später war diese Versprechung mit der neuen Verordnung schon wieder Makulatur. Bemängelt wurde überdies, die Aufnahmekapazitäten seien vielerorts bereits durch die praktizierte Notbetreuung ausgeschöpft.
In dieses Horn stößt auch die Stadt Konstanz. Eine Medienmitteilung der Verwaltung findet ungewohnt deutliche Worte in Richtung Landesregierung: „Die zuletzt durch Ankündigungen des Ministeriums geweckten Hoffnungen auf weitergehende Änderungen in der Tagesbetreuung für Kinder kann die neue Corona-VO nicht erfüllen.“
Ein Grund dafür: In Konstanz befinden sich gegenwärtig 1.019 Kinder in Notbetreuung. Damit sei bereits jetzt „die Mehrzahl der Einrichtungen, insbesondere in den Kleinkindgruppen, so ausgelastet, dass sie die Kapazitätsgrenze erreicht haben“, erläutert die Verwaltung. Zwar können offenbar vereinzelt noch Kapazitäten in unterschiedlicher Höhe ausgereizt werden, allerdings müsse zum einen die steigende Nachfrage nach für nach Corona-Verordnung vorrangig aufzunehmende Kinder („Systemrelevanz“) einkalkuliert werden, zum anderen die Rahmenbedingungen, die je nach Einrichtung sehr unterschiedlich ausfallen. Fazit: „Für viele Kinder bleibt die Situation schwierig“.
Da klingt es wie das Pfeifen im Wald, wenn Sozialbürgermeister Andreas Osner mit den Worten zitiert wird, den „engen Spielraum, den das Land den Städten bei der Betreuung der Kinder lässt, haben und werden die Stadt und alle beteiligten Träger weiterhin zu Gunsten der Konstanzer Eltern und Kinder voll ausnutzen – im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten und der zur Verfügung stehenden Kapazitäten“.
Taube Ohren für Beschäftigtenschutz
Dass Mütter und Väter auf eine Ausweitung der Kindertagesbetreuung dringend angewiesen sind, damit Familie und Beruf wieder vereinbar werden, stellt auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nicht in Abrede. Sie pocht jedoch darauf, dabei den Arbeits- und Gesundheitsschutz sicherzustellen, wie in jeder anderen Branche auch. „Nur, wenn ausreichend pädagogisches Fachpersonal zur Verfügung steht und die Beschäftigten und Kinder wirksam geschützt werden, kann die Erweiterung des Kita-Angebots gelingen“, betont Reiner Geis, Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Südbaden/Schwarzwald.
Damit indes hapert es gewaltig. Bereits Mitte April, berichtet Geis, habe die Gewerkschaft Forderungen formuliert, die darauf zielten, „Öffnungsschritte an den den realen Möglichkeiten der Einrichtungen zu orientieren“. So verlangt man etwa ein Ende von Kurzarbeitsregelungen, „da jetzt alle Fachkräfte für die erweiterten Öffnungen benötigt werden“. Wichtig seien zudem regelmäßige Testmöglichkeiten für Beschäftigte und Kinder. Nur so könne zeitnah und effektiv auf Corona-Ausbrüche regiert werden.
Bisher stoßen solche Beschäftigtenanliegen bei vielen politisch Verantwortlichen und Trägern auf taube Ohren. Geis beklagt Beispiele unverantwortlichen Handelns, das „Kinder, Eltern und die Beschäftigten gefährdet“. So sollen Beschäftigte, die besonders gefährdeten Risikogruppen angehörten, zum Gruppendienst herangezogen werden. Auch sei es vorgekommen, dass Trägern, die Rücksicht nehmen wollen, mit anteiliger Kürzung der Zuwendungen oder Personal mit Freistellung ohne Bezüge gedroht werde.
Eindringlich mahnt der Gewerkschafter die Verantwortlichen in Land und Bund, die Erfordernisse des Infektionsschutzes zu respektieren. Eine Politik, die gesetzliche Regelungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ignoriere, berge die Gefahr, die Erfolge bei der Eindämmung von Covid-19 leichtfertig zu verspielen.
Stuttgart eiert herum
Von welcher Warte aus man das Krisenmanagement des Kultusministeriums auch betrachtet: Es wird dem Ernst der Lage in keiner Weise gerecht. Soweit die Kinderbetreuungseinrichtungen im Land betroffen sind, eiern die Verantwortlichen nur herum. Kommunen und Träger lässt man mit der in Kraft getretenen Verordnung ebenso im Regen stehen wie die Beschäftigten. Dabei mag fehlende Kompetenz der Kultusministerin eine Rolle spielen, in der Hauptsache mangelt es aber an der Bereitschaft, für die Einrichtungen und das Personal in nötigem Umfang in die Landeskasse zu greifen.
Wer die Öffnung will, muss Sorge tragen, dass sie für alle Betroffenen nicht zum unkalkulierbaren Risiko wird. Dafür bedarf es eines schlüssigen, am Gesundheitsschutz orientierten Regelwerks. Vor allem aber braucht es mehr Geld, damit ein solches Szenario vor Ort auch umgesetzt werden kann – mit mehr Tests, angemessener Ausstattung und sicheren Arbeitsbedingungen. Der grüne Ministerpräsident indes setzt bekanntlich andere Prioritäten: Winfried Kretschmann macht sich für eine Autoprämie stark.
J. Geiger (Bild: Esther Merbt auf Pixabay)