Der feine Unterschied: Firmen helfen, nicht Besitzern

Wie sehen sich Unternehmer, Manager und Banker? Im Prinzip für klasse: innovativ, intelligent, effektiv, mutig — und in Politikern sehen sie im Prinzip ihr Gegenteil. Allerdings: Kommt eine veritable Krise, dann sind sie nur Opfer, tragen nie Mit-Schuld, klagen: Krise, Krise … und halten die Hand auf — beim gerade noch denunzierten Staat. Diese Inszenierung, erstmals groß aufgeführt anlässlich der Finanzmarkt-Krise 2008/2009, wird gerade wiederholt.

Dieses Mal geht es um bis zu 1,9 Billionen Euro, veranschlagte jüngst die Deutsche Bank; ob Bürgschaften, Kredite oder Zuschüsse. Fünf Mal der Bundeshaushalt 2019. Welche Kredite verloren gehen, welche Bürgschaften fällig werden, das ist alles offen. Weil es um so viel Geld geht, deshalb sollte von Anfang an nur genau dosiert geholfen werden. Moritz Schularick, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bonn, weist deshalb auf diesen feinen, aber entscheidenden Unterschied hin: Den Unternehmen solle geholfen werden, auf keinen Fall deren Besitzern.

Natürlich können die Manager nichts für das Virus, klar, abgesehen davon, dass sie sich bewusst und aktiv an einer Wirtschaftsweise der Hyper-Globalisierung beteiligen: Wälder werden abgeholzt, der Lebensraum für Tiere schwindet, Mensch und Tier, beispielsweise Fledermäuse, rücken sich näher, die Mobilität ist global und hochtourig, Barrieren schwinden. Weshalb Covid-19 auch nicht die letzte Pandemie gewesen sein wird.

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Aber welche Mit-Verantwortung tragen Unternehmer und Manager für die wirtschaftlichen Folgen der heutigen Gesundheitskrise? Die ist bereits etwas direkter nachzuvollziehen. Der Grund: Viele Unternehmen, vor allem Konzerne und große Mittelständler, haben in den letzten zwei Jahrzehnten mit höchster Intensität und Rücksichtslosigkeit: alle Lager abgebaut, Just-in-time-Produktionen installiert, kreuz und quer durch Europa und über die Welt komplexeste, fragilste Liefer- und Fertigungsketten konstruiert — alle Puffer wurden als reine Kostenfaktoren identifiziert und eliminiert. Zahllose Vor-Produkte und Materialien werden täglich quasi auf den letzten Drücker per Schiff, Flugzeug, Lastwagen in den jeweiligen Hauptwerken angeliefert; in diesem Sinne gibt es noch Lager, allerdings nur mobile.

Die Unternehmen taten so alles, um ihre Kosten zu drücken — und sie der Allgemeinheit, dem Steuerzahler aufzuhalsen. Denn wegen dieses flächendeckenden Konzeptes der Just-in-Time-Produktionen explodierte in den vergangenen Jahren weltweiter Verkehr, mit all den Folgen: höchste Schäden für Klima und Luft, höchste Beanspruchung der öffentlichen Infrastruktur, um diese Logistik-Welt 24/7 am Laufen zu halten.

Eine Produktion, ebenso vernetzt wie verletzlich

Heute wird auch der allgemeinen Öffentlichkeit offenbar, was die Verantwortlichen in den Unternehmen immer wussten: Diese Produktion verlangt Krisen- und Fehlerlosigkeit, es darf nirgendwo auf diesen elendlangen Wegen geschlossene Grenzen, Konflikte oder anhaltende Strom- und Energieausfälle geben. Weil die Wirtschaft aus Kostengründen sich so organisiert hat, auch deshalb sind die ökonomischen und sozialen Folgen heute so immens. Ein weltweit umgesetztes Konzept: weltfremd, hochriskant, fahrlässig. Gerald Podobnik, bei der Deutschen Bank verantwortlich für den Bereich nachhaltige Finanzen, sagte Anfang Mai: Die Krise zeige, wie gering die Widerstandsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sei. Die Lieferketten mit geringer Lagerhaltung und eng an die Produktion geknüpfte Belieferungen hätten sich als zu anfällig und sehr komplex erwiesen. Podobnik: „Das muss überdacht werden …“

Auch für diese Fehler soll nun der Steuerzahler blechen. Warum? Zuvor wurde mit diesem Konzept von den Unternehmen ja viel Geld gespart und damit verdient.

Beispiele für höchstliquide Unternehmen gibt es zuhauf. Die Autoindustrie will Hilfen vom Steuerzahler, zugleich Dividenden an die Aktionäre und Boni an die Manager zahlen, und sie schwimmt im Geld: So ist es dem VW-Finanzvorstand wichtig, öffentlich festzuhalten, sein Unternehmen sei „finanziell weiter robust aufgestellt.“ Und sein Daimler-Finanzvorstandskollege weist stolz auf seine über 68 Milliarden Euro verfügbare Finanzmittel hin. Da schwillt sogar einem Branchenkollegen öffentlich der Kamm: „Wer in der Not finanzielle Hilfen vom Staat bekommt, kann nicht zugleich Dividenden bezahlen“, sagte Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender des Spezialchemie-Konzerns Evonik, dem Magazin „Spiegel“; Kullmann ist zugleich Sprecher des Verbandes der Chemischen Industrie.

Der Deal: Hilfe gegen Macht

Zu diesem Thema, wie wem am wirksamsten geholfen werden kann, gab Moritz Schularick, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn, jüngst in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung beste Orientierung: Es gehe darum, die Unternehmen zu schützen, nicht die Eigentümer. Denn: Wenn heute Kapitalgesellschaften mit günstigen Darlehen, Bürgschaften, Kurzarbeitergeld oder sogar verlorenen Zuschüssen gerettet werden, dann „profitieren erst einmal deren Eigentümer, die Aktionäre und Gesellschafter“. Der Volkswirt fragt: „Ist das gerecht?“ Und gibt einen Hinweis, der in der aktuellen öffentlichen Debatte selten zu hören ist: Die Besitzer verdienten in guten Zeiten ja ordentlich Geld. Und diese Rendite entschädige sie für alle Risiken. So seien die Unternehmen, in vorderster Reihe die Kapitalgesellschaften, nach der Finanzmarktkrise „sehr profitabel gewachsen“. Die Eigenkapitalquoten stiegen. Schularick: „Das deutsche Betriebsvermögen hat sich zwischen 2008 und 2018 von gut 2 Billionen Euro auf 4 Billionen Euro verdoppelt.“

Warum nutzen die Unternehmen nicht zuerst diese großen Finanzpolster, um die Folgen der Krise abzufedern, fragt Schularick. Auch verteilungspolitisch seien Hilfen für Eigentümer von Kapitalgesellschaften problematisch. Schularick: „Den reichsten 10 Prozent der Haushalte gehören rund 90 Prozent des Aktien- und Betriebsvermögens.“ Auch diese Zahl könnte häufiger in die alltägliche Medien-Berichterstattung einfließen, damit sie in möglichst vielen Köpfen ‚abrufbar‘ ist. Um also die Unternehmen zu zwingen, erst alle eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen, schlägt Schularick für das tägliche Krisenmanagement im Sinne öffentlicher Interessen ein ebenso einfaches wie einleuchtendes Geschäft vor: Hilfe gegen Macht. Der Wirtschaftswissenschaftler: „Wenn ein Unternehmen Steuergelder in Anspruch nimmt, muss dies auch zu Veränderungen in der Kapitalstruktur führen, etwa indem die Anteile auf den Staat übergehen.“

Wolfgang Storz (Bild: 3D Animation Production Company auf Pixabay)

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