Was Franz Josef Strauß mit Voodoo zu tun hat

„Lomé – Der Aufstand“ heißt Christoph Nix‘ neuester literarischer Streich, dem die Pandemie die verdiente Aufmerksamkeit geklaut hat. Der Krimi erschien bereits im März und kann als Lektüre für den Urlaub daheim und anderswo nur wärmstens empfohlen werden. In kurzen und prägnanten Kapiteln beschreibt der Autor die aktuellen gesellschaftspolitischen Zustände und deren koloniale Hintergründe in Togo. Dabei kombiniert er geschickt eine spannende Kriminalgeschichte mit seinen eigenen Erlebnissen.

Menz und Nix

Nix‘ Hauptfigur trägt schlicht den Namen Menz, der einigen bereits aus seinem autobiografischen 68er-Roman „Junge Hunde“ bekannt sein mag. Die Rezensentin kann nicht umhin, auch in diesem Buch die eine oder andere Parallele zum Autor selbst zu entdecken. Allerdings ist der Menz in „Lomé“ wesentlich älter als der Mao-Fan im Teenager-Alter. Er ist von Beruf – Überraschung – Theaterintendant und reist in Togos Hauptstadt Lomé, um den Mord an einem Schauspieler seines deutschen Ensembles aufzuklären, der sich dort im Rahmen einer deutsch-afrikanischen Theaterproduktion aufgehalten hatte. Mit Menz einen Nix vor Augen zu haben, tut dem Lesevergnügen aber keinen Abbruch. Im Gegenteil: In einem taz-Artikel aus dem Jahr 2014 bezeichnet Christoph Nix seine Reise nach Burundi zusammen mit einer baden-württembergischen Politikerdelegation als „eine Spritztour durch die Armut“. Und so beschreibt er auch, meist aus der Perspektive seiner Hauptfigur Menz, kurzweilig und lebhaft die Eindrücke, die ein im wohlhabenden und demokratischen Deutschland „bürgerlich“ lebender, offener Mensch von einem Land bekommt, das auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen Platz 167 von 189 belegt.

Wo Fantasie und Wirklichkeit verschwimmen

Viele Figuren helfen Menz bei der Suche nach dem Motiv für die Ermordung des Schauspielers Hans, darunter SystemkritikerInnen und eine Journalistin aus Bayern; andere versuchen, die Aufklärung des Falls zu verhindern, wie etwa der junge Präsident Felix Nanguibe. Diese Figuren, zwischen denen der Blickwinkel des Erzählers zeitweise wechselt, sind frei erfunden. Historische Personen und Gegebenheiten, wie jene um den früheren CDU-Politiker und Bundespräsidenten Heinrich Lübke, der Entwicklungshilfe zu einem seiner Hauptanliegen erklärt hatte, werden mit fiktiven Charakteren und Ereignissen so verwoben, dass man gerne mehr über die Hintergründe dieses Buchs erfahren möchte. Wohin gelangen die Entwicklungshilfegelder aus Europa nach Afrika konkret? Ist es tatsächlich so, dass ein Staatsoberhaupt dieses Geld lieber in eine Trabrennbahn investiert als in das Gesundheitssystem? Welche Rolle spielen dabei die europäischen DiplomatInnen? Die Vielfalt der Figuren in Nix‘ Krimi lässt die LeserInnen komplexe außenpolitische Zusammenhänge erahnen. Die Schilderung hingegen verwirrt nicht, sondern gibt Einblick in Machtverhältnisse und personelle Zusammenhänge, die man so auch in der Realität für möglich halten würde.

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„Togo ist Afrika für Anfänger“

„Togo ist Afrika für Anfänger“, beruhigt die Frau eines togoischen Freundes Menz, „es droht kein Krieg, die Islamisten bleiben im Norden, das meiste Großwild ist abgeschossen und die Epidemien haben uns im Wesentlichen verschont.“ Dennoch kommt es immer wieder zu Militärgewalt und Unruhen aufgrund eines korrupten Regimes, in dem Lehrkräfte inhaftiert werden, wenn sie Politikerkindern schlechte Noten geben. Die Tabuisierung von Homosexualität ist ebenso Thema wie das allgegenwärtige Voodoo, das böse Geister austreiben soll. In geradlinigem Stil und ohne um den heißen Brei herumzuschreiben, setzt der Autor dieses Bild von Togo in Kontrast zu einem fortschrittlichen, an den Problemen des Landes desinteressierten Europa, das die Regierung unterstützt, weil diese wirtschaftliche Ausbeutung ermöglicht.

„Er war gewappnet gewesen auf unbequeme Fragen, auf menschelndes Mitleid, auf Vorwürfe wegen der Menschenrechtsverletzungen oder gar wegen der Korruption in Togo“, heisst es im Buch. „Aber zu seinem Erstaunen: Niemand interessierte sich dafür. Die Kanzlerin redete über Flüchtlinge, der Präsident über die Toten an der deutschen Mauer während der DDR-Zeit und Felix hörte zu.“

Nix zögert dabei nicht, den Diktatoren-Bewunderer Franz Josef Strauß und dessen Bayerisch-Togoische Gesellschaft sowie die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung für die Perpetuierung der undemokratischen und ärmlichen Zustände in Togo verantwortlich zu machen. Wenn das Afrika für Anfänger ist …

Weiterdenken, weiterlesen

Zunächst gehen Menz und die Ermittler davon aus, Hans sei aufgrund seiner Homosexualität einer schwulenfeindlichen Attacke des Militärs zum Opfer gefallen. Doch warum wird Menz auf seinen Streifzügen durch Togo verfolgt, seine Koffer im Hotelzimmer durchwühlt und seine Mitarbeiterin am Strand angegriffen? Christoph Nix bringt die Fäden seiner vielschichtigen Erzählung in überraschender, aber sinniger Weise zusammen. „Lomé“ gibt zu denken, und zwar nicht nur, weil die Spannung bis zum Schluss erhalten bleibt. Man will auch mehr wissen – über das Land, dessen Geschichte und den Postkolonialismus, der Togo bis heute prägt. Wenn uns der Autor eines klar machen möchte, dann dass unsere Konsumentscheidungen, unsere Wahlentscheidungen und nicht zuletzt unsere Haltung gegenüber Afrika an diesem Kontinent nicht spurlos vorübergehen. Dies ist ihm gelungen.

F. Spanner (Coverbild: Transit Buchverlag)

Christoph Nix, Jahrgang 1954, ist Intendant des Stadttheaters Konstanz. Er pflegt langjährige Kooperationen mit Theatern in Uganda, Togo, Malawi, Burundi und Ruanda, die ihm als Inspirationsquelle dienen. Die Bühnenfassung seines ersten Romans „Junge Hunde“ (2008) feierte im vergangenen Jahr Premiere. „Muzungu“ (2018) heißt sein erster Krimi, der sich mit politischen Verwicklungen in Uganda beschäftigt. Mit „Lomé – Der Aufstand“ ist ihm eine kürzere und präziser erzählte Geschichte gelungen. Erschienen ist das Buch im Berliner Transit Buchverlag. 160 Seiten, 18 Euro.