Die Verkehrswende schleicht sich an

Der Technische und Umweltausschuss (TUA) des Konstanzer Gemeinderates tritt am Mittwoch zu einer öffentlichen Groß­kampf­sitzung an. Auf dem Programm steht nichts Geringeres als die Zukunft des Konstanzer Verkehrswesens, und es ist damit zu rechnen, dass die Debatten sich bis tief in die Nacht hinziehen werden. Die Verwaltung jedenfalls will den Spagat zwischen zwar ungebremster, aber anderer Mobilität, Klimaschutz, Lebens­qualität in der Innenstadt und einem zufriedenen Einzelhandel versuchen.

Die Aufgabe, die der TUA schultern soll, klingt in den Worten der Sitzungsvorlage nach dem Klonen einer eierlegenden Wollmilchsau für vegane Bratwürste, und das in einer Zeit, in der nur allzu klar ist, dass selbst die bescheidenen Klimaziele, die sich die Bunderegierung gesetzt hatte, nicht zu erreichen sind: „Ziel der Bundesregierung ist eine Minderung der deutschen Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 40% gegenüber 1990. Die Reduktion betrug 2018 allerdings nur 27,5%, vor allem wegen gestiegener Emissionen im Verkehrssektor, u.a. bedingt durch den gewachsenen Straßengüterverkehr. Der Rückgang der CO2-Emissionen des Pkw-Verkehrs betrug seit 1995 nur 10%. Die Emissionen im Verkehrssektor sind im Vergleich zu 1990 bis 2016 um 2,2% angestiegen. Dies unterstreicht, dass eine Mobilitätswende notwendig ist.“ So die Grundüberlegung der Konstanzer Stadtverwaltung, die sich in einer Vorreiterrolle sieht und am Mittwoch in einer dem Verkehr in Konstanz und Umgebung gewidmeten Sondersitzung einige Pflöcke einschlagen will.

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Uneingeschränkte Mobilität

Die Mobilität wird von der Verwaltung mit Recht als einer der zentralen Aufgabenbereiche auf dem Weg zur Klimaneutralität bezeichnet. Das Ziel klingt ambitioniert: „Mit einer Mobilitätswende soll die Senkung des Energieverbrauchs ohne Einschränkung der Mobilität erreicht werden.“ Den meisten Beteiligten dürfte klar sein, dass ein geringerer Energieverbrauch und damit geringere Schadstoffemissionen mit dem hergebrachten Individualverkehr und den bisherigen Antriebsformen nicht zu schaffen sein werden. Die Verwaltung gibt sich jedenfalls einsichtig: „Dabei geht es nicht nur um die Klärung, wie und mit welchen Verkehrsmitteln wir uns zukünftig bewegen. Es geht auch darum, wie der knappe Raum in der Stadt genutzt wird. Wie können wir den urbanen Verkehrsraum als Aufenthaltsraum zurückerobern, ohne Erreichbarkeiten zu schwächen und Mobilität einzuschränken?“

Man beachte dabei, wie sehr in dieser Vorlage immer wieder betont wird, dass die Mobilität auf keinen Fall eingeschränkt werden darf, es geht also nicht um eine Verkehrswende durch weniger Verkehr, sondern vor allem um andere Mobilitätssysteme. Die Mobilität von Menschen hat auch in diesem Konzept einen höheren Stellenwert als deren Aufenthalts- und Lebensqualität. Ausdrücklich erwähnt werden zwar „neue Antriebsformen, Digitalisierung, autonomes Fahren und Sharing“, nicht aber die Reduktion von Verkehrsströmen.

Konstanz liegt zwar bei der Nutzung von Füßen, Fahrrad und öffentlichem Verkehr über dem bundesdeutschen Durchschnitt, aber etwa der Einkaufstourismus nach Konstanz (nicht nur) aus der Schweiz findet weiterhin zu 85 Prozent im Auto statt. Auch wir KonstanzerInnen nutzen zu 63 Prozent das Auto, wenn wir die Stadtgrenzen überschreiten, und nur zu 22 Prozent öffentliche Verkehrsmittel – was ein wenig auch an der weiterhin abschreckenden Wirkung des Konstanzer Hauptbahnhofs liegen mag.

Aber auch innerstädtisch ist noch Luft nach oben: Nach Angaben der Verwaltung werden hier ca. 30 Prozent der Wege zu Fuß und 34 Prozent mit dem Fahrrad absolviert. Angesichts der sich immer wieder auf den Straßen stauenden Autos, die zudem ganze Wohngebiete zustellen, reibt man sich über derart hohe Werte zwar verwundert die Augen, aber der persönliche Eindruck täuscht ja nur zu oft, und Konstanz lädt aufgrund seiner bauartbedingt kurzen Wege ja auch zum Laufen und Radeln ein.

Multimodalität soll’s richten

Die Verwaltung setzt auf Multimodalität, also „die Möglichkeit, ein Angebot verschiedener Verkehrsmittel nutzen zu können: z.B. mit dem Fahrrad ins Büro, zum Einkaufen mit einem Carsharingauto und mit der Familie mit dem Bus in die Innenstadt.“ Mobilität soll auch ohne das Auto bequem bleiben, und dies dank „Bike-Sharing, Car-Sharing, ÖPNV, digitalen Buchungssystemen, intelligenter Ladeinfrastruktur und Smart Parking.“ Ist Klimaschutz also vor allem eine Frage der technischen Weiterentwicklung?

Kritiker bezweifeln allerdings, dass etwa das Elektroauto eine grundlegende Verbesserung gegenüber dem bisherigen Auto darstellt, da wesentliche Parameter wie das hohe Gewicht oder der immense Platzverbrauch eher gegen diese Form der individuellen Mobilität sprechen, bei der zweieinhalb Tonnen bewegt werden müssen, um meist unter 200 kg Nutzlast zu transportieren. Attraktive, kostengünstige oder kostenlose und daher gut frequentierte öffentliche Verkehrssysteme in Verbindung mit dem Fahrrad und den Füßen als Fortbewegungsmittel dürften zu einem wesentlich besseren Klima in der Stadt führen und brauchen wesentlich weniger Parkfläche als wie auch immer betriebene Autos. „Das Stadtbussystem ist mit 15 Linien, 231 km Busnetz und 209 Haltestellen, die in den Hauptverkehrszeiten im 15-Minuten-Takt angedient werden, im Städtevergleich gut. Die Stadtwerke haben das Stadtbussystem so optimiert, dass heute bis zu 41.000 Fahrgäste an einem Tag Bus fahren.“ Wenn man allerdings das Verhältnis zwischen Bussen und Autos betrachtet, wie sie etwa auf der Reichenaustraße an einem vorbeirauschen, wird sofort klar, dass das kaum mehr als der Tropfen auf dem heißen Klimastein sein dürfte.

Es stellt sich natürlich auch die Frage, welche politisch wirkungsmächtigen Akteure überhaupt bereit sind, eine eventuelle echte Verkehrswende mitzutragen. Teile des Handels und der IHK betonen zwar den Charme einer emissionsarmen Innenstadt, stellen aber deren leichte Erreichbarkeit (im Zweifelsfall auch mit dem Auto, wenn die Kundschaft es so wünscht) über alles. Die Wünsche anderer Interessengruppen – etwa von BahnnutzerInnen, mobilitätseingeschränkten Menschen, ArbeitnehmerInnen oder Umweltverbänden – werden in der Vorlage 2020-0675 bezeichnenderweise nicht erwähnt. Immerhin weiß auch die Verwaltung bei aller Liebe zur Verkehrswende sogar in Vorwahlzeiten nur allzu gut, wo Barthel den Most holt – und wo der Hammer hängt.

O. Pugliese (Text und Bild)


Was: Öffentliche Sondersitzung des Technischen und Umweltausschusses, die Sitzungsunterlagen finden Sie hierWann: Mittwoch, 08.07.2020, 16:00 Uhr. Wo: Bodenseeforum, Reichenaustraße 21, 78467 Konstanz.