Theater und Philharmonie: Neue Spielzeit mit Einschränkungen
Bei einer gemeinsamen Medienkonferenz präsentierten Philharmonie und Theater am Donnerstag ihre Pläne für die nächste Spielzeit und zogen eine erste Bilanz der Pandemiefolgen. Das Fazit ist ernüchternd: Genau weiß niemand, wie es nach der Sommerpause mit der Großkultur weitergehen kann. Bürgermeister Andreas Osner versicherte allerdings, dass die Stadt auf keinen Fall an ihrer kulturellen und sozialen Infrastruktur zu sparen gedenke, sondern in den nächsten Jahren Schulden machen werde.
Natürlich sind Kulturinstitutionen wie ein Theater und ein Orchester auf viel Publikum angewiesen, bei ihnen geht es um viele zehntausend Besucher pro Jahr. Aber mit der Zahl der Besucher steigt auch die Ansteckungsgefahr, und solange das Coronavirus nicht verschwunden oder ein wirksamer Impfstoff gefunden ist, wird es keine Rückkehr zu den aus der Zeit vor der Krise gewohnten Verhältnissen geben, das wurde bei der Konferenz deutlich.
Hygiene und Abstand
Für Orchester und Theater heißt das, auf unbestimmte Zeit mit massiven Einschränkungen für sämtliche MitarbeiterInnen einschließlich der KünstlerInnen sowie das Publikum zu planen. Es bedarf ausgeklügelter Sicherheitskonzepte für sämtliche Räume vom Probenraum über den großen Saal bis hin zu Türklinken und Kassenbereich. Aber auch die Kunst wird sich auf Neuerungen einstellen müssen: Romeo und Julia dürfen sich nicht umarmen, sondern müssen ihre Liebe mit anderthalb Metern Sicherheitsabstand glaubhaft rüberbringen, und seinem Nächsten einen Dolch in den Leib zu rammen ist aus Hygienegründen ebenso strikt verboten wie ihm eine Flasche Wasser zu reichen.
Konkret heißt das: Bis mindestens Mitte Oktober gibt es erheblich weniger Plätze für das Publikum. Im Theater etwa hat man, so berichtete Intendantin Karin Becker, das Große Haus so umgebaut, dass statt 400 noch 97 Sitze verkauft werden können, in der Spiegelhalle 55 statt bisher 160 – und so weiter. Insgesamt rechnen Theater wie Philharmonie mit nur noch 25-33 Prozent der bisherigen Sitzplatzkapazitäten. Außerdem erfordert das alles ganz erhebliche logistische Anstrengungen an der Kasse: Personen aus demselben Haushalt dürfen zusammensitzen, Einzelpersonen müssen separate Plätze erhalten, und Abonnenten kann ihr Wunschtag nicht mehr garantiert werden. Natürlich wollen auch Details wie die Desinfektion der Toiletten während der Vorstellung oder die Ausgabe von Handschuhen für bestimmte Veranstaltungen organisiert werden.
Neue Wege
Ähnliche Probleme berichtete Intendantin Insa Pijanka aus ihrem Orchester, wo neulich erstmals bei einem Konzert im Rosgartenmuseum ein Kontrafagott live desinfiziert werden musste. Ihr Orchester ist seit dem 13. März nicht mehr in voller Kampfstärke zusammengekommen, stattdessen haben sich viele kleine Ensembles gebildet, in denen sich die KünstlerInnen weiterbetätigen und fithalten können. Für die Südwestdeutsche Philharmonie wird die Lage dadurch erschwert, dass sie keine feste Spielstätte hat, die sie einfach umstuhlen kann, sondern dass sie eigene Sicherheitskonzepte für jede ihrer Spielstätten und selbst für ihre Busreisen erarbeiten muss. Wie viele MusikerInnen passen überhaupt im nötigen Abstand auf welche Bühne, welche Wege müssen sie zu ihrem Platz nehmen? Was ist, wenn sich ein Musiker beim nächsten Stück in anderer Besetzung auf den Platz einer Kollegen setzen muss, muss da noch mal desinfiziert werden oder nicht? Besondere Bedingungen gelten außerdem für Bläser, die ja oft so kräftig ins Horn stoßen, dass eventuelle Viren über weite Strecken katapultiert werden. Auch das Geschäft der herbstlichen und vorweihnachtlichen Chorkonzerte in großer Besetzung, bei denen die Philharmonie als Begleitorchester angeheuert wird, dürfte wegbrechen, denn Chorsänger müssten nach vorne sechs und zur Seite zwei Meter Abstand voneinander halten, was praktisch nicht zu schaffen sei.
Zwei Drittel Plätze weniger
Auch Insa Pijanka rechnet mit nur noch einem Viertel bis zu einem Drittel der üblichen Einnahmen, denn beispielsweise im Konzil dürfte es nur noch 144 statt der üblichen 700 Plätze geben. Darauf reagiert das Orchester mit einem neuen Konzept: Es soll weiterhin am Mittwoch, Freitag und Sonntag gespielt werden, dafür sollen die Konzerte aber doppelt – um 18.00 und um 20.30 Uhr – stattfinden. Außerdem wird ein anderes Repertoire aufgeführt: Es werden mehr Streicher als Bläser eingesetzt, und statt der großen Schinken der klassischen und romantischen Periode werden kleiner besetzte Werke wie etwa Beethovens 2. Sinfonie das Programm prägen. Sollte es doch zu einer Infektion im Orchester kommen, werden sämtliche Beteiligten zwei Wochen in Quarantäne gehen. Das Orchester, das eine große Zahl an Abonnenten hat, vertreibt derzeit keine neuen Abos, sondern bietet seinen Abonnenten ab 07. September Karten im Freiverkauf an. Ab 15. September können dann auch Nichtabonnenten Karten für die nächsten Konzerte erwerben. Alles Weitere wird sich weisen.
Allerdings hatte Insa Pijanka auch einen Lichtblick zu verkünden: Die jetzige Saison schließt mit zwei großen Galas am 1. und 2. August im Bodenseestadion. Dabei kann das gesamte Orchester antreten, und eine Biotech-Firma stellt Corona-Schnelltests für die Ausführenden bereit, um (fast) jedes Risiko auszuschließen.
Weniger Einnahmen
Die finanziellen Folgen des reduzierten Spielbetriebs sind bisher noch nicht abzuschätzen: Das Theater etwa rechnet grob mit Einnahmeausfällen von 790.000 Euro im Kalenderjahr, denen aber auf der anderen Seite auch deutliche Einsparungen gegenüberstehen. Es gab in einigen Fällen Kurzarbeit, und eine ausgefallene Produktion oder ein abgesagter Abend spart natürlich ebenfalls Kosten. Was am Ende unter dem Strich dabei tatsächlich herauskommt, ist unklar.
Andreas Osner hob an dieser Stelle hervor, dass die Stadt nicht an globale Minderausgaben der Art „Ihr gebt jetzt alle 15 Prozent weniger aus“ denke. Er geht davon aus, dass auch der Gemeinderat in den nächsten Jahren eine Politik wachsender städtischer Schulden mittragen wird, so dass Schulen, Kitas und Kultur auch weiterhin irgendwie finanziert werden können. Wie genau das alles aussehen werde, stehe noch in den Sternen, denn es sei noch immer nicht klar, welche Landes- und Bundeshilfen zu erwarten seien und wie sich die Steuereinnahmen der Stadt entwickeln werden. Er hofft, dass Konstanz auf diese Weise noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen wird.
Darauf, dass das blaue Auge für Konstanz noch ziemlich mild ausfallen dürfte, verwies Karin Becker, als sie an die Lage der Menschen in den Flüchtlingslagern und in Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten erinnerte, deren Situation durch Corona nur noch verheerender werde. Sie zeigte sich auch skeptisch, dass wir gesellschaftliche Lehren aus der Pandemie ziehen werden, sondern fürchtet, dass es nach einer Phase der Nachbarschaftshilfe und Rücksichtnahme während der Krise schnell wieder zum früheren Zustand des Egoismus und des Ellenbogenchecks zurückgehen wird. Dass hierzulande manche Menschen bereits jetzt unter die Räder zu kommen drohen, schilderte sie am Beispiel einer Konstanzer Familie, die aufgrund der Kurzarbeit in derartige finanzielle Schwierigkeiten geraten ist, dass sie ihr Theater-Abo, wohl ihr einziger Luxus, kündigen musste.
Da schien im idyllischen Ratssaal, in dem die Medienkonferenz stattfand, für einen Moment die bittere Realität auf: Das Leben ist für viele Menschen weitaus schwieriger, als wir uns das auch nur vorstellen mögen, und das Virus hat das Potenzial, für wirtschaftlich Schwächere auch in Deutschland zu einer Katastrophe zu werden, die deutlich über ein paar abgesagte Aufführungen hinausgehen wird.
Harald Borges (Foto: Theater Konstanz/Ilja Mess)