Dicke Brocken
Ein Mammutprogramm erwartet am heutigen Donnerstag die StadträtInnen, wenn sie im Bodenseeforum zur letzten Sitzung des Gemeinderats vor der Sommerpause zusammenkommen. Darunter befinden sich gewichtige Themen, die richtungsweisend für die Stadtentwicklung sein könnten. So geht es etwa um die Umsetzung der Klimaziele, deren Dringlichkeit Fridays for Future gestern schon mit einer Aktion am Ort des Geschehens anmahnte.
Sage und schreibe 41 Punkte umfasst die Tagesordnung, über die die RätInnen bereits ab 11 Uhr in einer öffentlichen Sitzung debattieren und entscheiden sollen. Zu diesem Zeitpunkt werden sie indes schon über etliche Themen im nichtöffentlichen Teil des Treffens befunden haben.
Haushaltsmalaise
Öffentlich entschieden wird unter anderem über Steuerungsmaßnahmen für den städtischen Haushalt 2020, dessen Planzahlen die Corona-Pandemie gehörig durcheinandergebracht hat. Die vom Rathaus vorsorglich verfügte Haushaltssperre läuft am 31. Juli aus. Nun will die Verwaltung das Votum des Gremiums, für den Rest des laufenden Haushaltsjahrs „bei den kurzfristig beeinflussbaren Aufwendungen im Ergebnishaushalt mindestens 3,2 Mio. € einzusparen“. Zusätzlich will man für dieses und die Folgejahre bei den Investitionen auf die Bremse treten. Die dazu vorgelegte Liste umfasst Maßnahmen mit einem Volumen von insgesamt rund 14 Millionen Euro, die entweder auf 2021 oder die Jahre danach verschoben werden könnten.
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Nicht leichter werden die Beratungen dadurch, dass noch immer unklar ist, mit welchen Finanzhilfen von Bund und Land die Stadt rechnen kann. Auf Bundesebene hat sich der Koalitionsausschuss schon am 3.6. auf ein Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket geeinigt, das auch verschiedene finanzielle Hilfsmaßnahmen für die Kommunen vorsieht. So ist etwa geplant, zusammen mit den Ländern den Kommunen den coronabedingten Gewerbesteuerausfall zu erstatten. Details über die konkrete Höhe, den Verteilungsmechanismus und dergleichen mehr sind dem Rathaus aber bis dato nicht bekannt, beklagt die Verwaltung. Ähnliches gilt für das Land: Das habe den Kommunen zwar 200 Millionen Euro für ein „Hilfsnetz für Familien“ sowie 500 Millionen für Liquiditätshilfen in Aussicht gestellt. Aber „auch hier ist aktuell noch nicht geklärt, welchen Zweckbindungen diese Mittel unterliegen, ob das Land die Förderungen auf den Landesanteil der o.g. Bundesförderung anrechnet und ob die Liquiditätshilfen zurückzuerstatten sind.“ Abrufen konnte man inzwischen einige Förderprogramme, so etwa rund 700.000 Euro zur Unterstützung von Schulen „ohne digitale Lerngeräte und Online-Lernangebote“.
Die Prognosen, die der Verwaltungsvorlage zugrunde liegen, sind deshalb weiter alles andere als belastbar. Nach dem von der Kämmerei unterstellten „Middle-Case-Szenario“ rechnet die Verwaltung mit einer Fördersumme von 12 Millionen Euro, die dem Stadtsäckel gutgeschrieben werden könnte. Bei aktuell geschätzten Einbußen von 30 Millionen sei immer noch mit einem Defizit von um die 14 Millionen Euro zu rechnen. Berücksichtige man die Investitionspause, „könnte das Haushaltsjahr 2020 mit einer Netto-Neuverschuldung von 7,2 Mio. € finanziert werden“, aus Sicht der Verwaltung „vor dem Hintergrund der aktuellen Krise ein vertretbares Ergebnis“. Ob das die StadträtInnen auch so sehen, bleibt abzuwarten. Kritik verlautete aus einigen Fraktionen schon an den Kürzungen, die in Form einer globalen Minderausgabe nach dem Rasenmäher-Prinzip vorgenommen werden sollen.
Mogelpackung Mobilitätswende?
Ein ganzes Bündel von Maßnahmen soll laut Verwaltung beschlossen werden, um Konstanz auf den Weg „zu einer nachhaltigen Mobilitätsentwicklung“ zu bringen. So werden sich die StadträtInnen mit Verwaltungsanträgen etwa zur Parkraummanagementstrategie und zu einem digitalen Verkehrsmanagement beschäftigen. Auch will sich die Stadt ein Papier über „die Mobilitätsstrategie autofreie Innenstadt“ absegnen lassen. Der Klimawandel erfordere, heißt es darin, ein „konsequentes Handeln auch in der Entwicklung der Innenstadt. Konstanz will sich in die Reihe der Städte einreihen, die ihre Zentren autofrei umbauen und dem Rad- und Fußverkehr mehr Raum geben und die Aufenthaltsqualität stärken.“
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Was erst einmal nach einem gewaltigen Fortschritt in Richtung ökologische Verkehrswende klingt, ist für nicht wenige KritikerInnen vor allem aus dem links-grünen Spektrum allerdings eine gewaltige Mogelpackung. Zwar greift das Rathaus nun auch die seit Jahren im Gemeinderat von der Linken Liste erhobene Forderung auf, die Innenstadt autofrei zu machen. Doch entpuppt sich die Vorlage bei näherem Hinsehen weitgehend als Ansammlung unverbindlicher Absichtserklärungen.
Konkrete Maßnahmen, wie etwa den zügigen Ausbau des ÖPNV-Sektors oder der Fußgänger- und Radinfrastruktur, sucht man vergebens. Mit Blick auf den Busverkehr beispielsweise beklagt man, dass das schon vor Jahren im „Masterplan Mobilität“ formulierte Ziel, der Steigerung des Verkehrsanteils auf 15 Prozent immer noch nicht erreicht sei (er stagniert seit langem bei 11 Prozent). Statt bekannte Verbesserungsvorschläge zu Tarifen, Netz- und Taktdichte auf die Tagesordnung zu setzen, belässt man es bei zögerlichen Nachbesserungen. Auf Grundlage der Studie eines Ingenieurbüros will die Verwaltung einen von drei „Planfällen“ ins Auge fassen. Der konzentriert sich auf die „verbesserte Erreichbarkeit“ und sieht unter anderem Quartiersbusse für Dingelsdorf, Wallhausen, Dettingen und Litzelstetten, eine Park+Ride-Linie sowie eine Rundlinie Kernstadt vor. Auch soll die Anbindung der Uni und die an den Bahnhof Allensbach verbessert werden. Das sind zwar nur Trippelschritte, noch nicht einmal die stehen indes zur Abstimmung. Die Vorlage: „Wird Planfall 3 als Grundlage für den NVP beschlossen, ist vom Ingenieurbüro eine Umsetzung in Stufen mit jeweiligem Kostenplan darzustellen, denn die vorgeschlagenen Maßnahmen werden sich nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt alle umsetzen lassen … Zu späterem Zeitpunkt wird zu diskutieren sein, in welchen Stufen die Optimierung des Stadtbussystems erfolgen soll bzw. kann.“ Ein nachhaltiger und überfälliger Befreiungsschlag sieht wahrlich anders aus.
Alles klimapositiv oder was?
Zu den Tagesordnungspunkten, über die sich die StadträtInnen die Köpfe heißreden dürften, gehört, trotz dann schon vermutlich fortgeschrittener Stunde, der mit der Nummer 32. Gegenstand ist ein gemeinsam von FGL, JFK und LLK eingebrachter Antrag „Konstanz klimapositiv 2030“. Die zusammen mit Fridays for Future ausgearbeitete Beschlussvorlage zielt darauf, die im Mai 2019 mit dem Klimanotstandsbeschluss als „Aufgabe höchster Priorität“ beschlossene Eindämmung der Klimakrise und die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze mit konkretem Leben zu füllen. Die Absicht: „Konstanz wird ab 2030 im Bereich Energie und Bauen klimapositiv sein.“
Wie das möglich gemacht werden soll, listen die Antragsteller in neun Punkten detailliert auf. So soll die Verwaltung beauftragt werden, bis Ende 2020 die jährlichen Sektorziele in einem integrierten Klimaschutzkonzept und einem Energienutzungsplan mit der neuen Zielsetzung weiterzuentwickeln und gegebenenfalls zu ergänzen. „Zur Emissionsreduktion muss ein Absenkpfad mit einer mindestens 30-prozentigen Reduktion bis 2023 und einer mindestens 60-prozentigen Reduktion bis 2025 gegenüber den Emissionen von 2019 ausgearbeitet werden.“ Diesen jährlich zu überprüfenden Absenkpfad gelte es bei „Umsetzungsrückständen“ durch „entsprechende Steuerungsmaßnahmen“ zu korrigieren. Den Maßnahmenfahrplan soll die Verwaltung zusammen mit ExpertInnen noch 2020 ausarbeiten und im Rat zur Entscheidung vorlegen. Um das ehrgeizige Vorhaben realisieren zu können, fordern die Antragsteller, die entsprechenden personellen und finanziellen Mittel bereitzustellen.
Das Ansinnen, beim Klimaschutz jetzt Nägel mit Köpfen zu machen, ist offenbar nicht überall auf Begeisterung gestoßen. So legte die SPD mit einem eigenen Antrag nach, dessen Kernanliegen zu sein scheint, die klimapolitischen Dinge doch etwas gemächlicher angehen zu lassen. „Visionäre und idealistische Ziele“ heißt es darin mit Blick auf den FGL-JFK-LLK-Antrag, „sind Triebfedern des Fortschritts“. Um jedoch von einer solchen Wunschvorstellung zum konkreten Handeln zu kommen, brauche es „den realistischen Blick auf das Machbare“. Die SPD-Vorschläge zielen denn auch vor allem auf eine Abschwächung der Absenkpfade: Die Verwaltung soll demnach zwei davon entwickeln: Einen, der aufzeige, wie „unter den heute gegebenen Handlungsbedingungen der CO2-Ausstoss bestmöglich verringert werden kann“, der zweite, am „Wunschziel“ orientierte, solle den ersten „um dafür zusätzlich notwendige, jedoch aktuell nicht umsetzbare Maßnahmen“ ergänzen.
Ins gleiche Horn stößt die Verwaltung selbst, in deren Reihen offenbar ebenfalls die Alarmglocken geschrillt haben. Sie sträubt sich offenkundig mit Händen und Füßen gegen eine zeitliche Festlegung. Stattdessen begnügt sich die alternativ eingebrachte städtische Vorlage mit dem dehnbaren Wörtchen „schnellstmöglich“. Zudem hat Burchardts Verwaltungstruppe offenbar Gefallen an der SPD-Idee gefunden. So will man sich ebenfalls zwei „Szenarien“ absegnen lassen, wobei im „Idealszenario“ selbst über die Festlegung des Zieljahrs (2030 oder 2035 werden als Hausnummern genannt) erst irgendwann auf Grundlage einer wissenschaftlich ausgearbeiteten Klimaschutzstrategie befunden werden soll. Als ob nicht schon seit Jahren bekannt sei und sogar vielfach schriftlich festgehalten ist, was zu tun nötig wäre. Handelt endlich, möchte man den AkteurInnen zurufen, denn es gibt keinen Plan(et) B.
jüg (Foto: Fridays for Future Konstanz)