Antisemitismus und Judenhass auch in der Schweiz

Eine aktuelle Untersuchung in unserem Nachbarland zeigt erschreckend deutlich: Die Diskriminierung von Jüdinnen und Juden nimmt auch in der Schweiz zu. Viele fühlen sich bedroht, in der Eidgenossenschaft offenbar sogar mehr als in anderen europäischen Staaten. Was läuft hier schief? Der Publizist und Buchautor Hugo Stamm geht der Sache auf den Grund und bietet Erklärungsmuster.

Konkret: Rund die Hälfte der befragten Jüdinnen und Juden gaben an, in den letzten fünf Jahren im Alltag oder online auf Grund ihres Glaubens belästigt oder diskriminiert worden zu sein. Fast drei Viertel von ihnen sagten, dass der Antisemitismus ein zunehmendes Problem darstelle.

Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft

Dirk Baier, Leiter des ZHAW-Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention, dazu: „Diese Zahlen zeigen deutlich, dass Antisemitismus in der Schweiz existiert und den Alltag der hier lebenden Jüdinnen und Juden prägt“. Sein Institut hat die Studie durchgeführt und befragte 487 Personen.

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Der Antisemitismus grassiert vor allem im Internet wie nie zuvor. Fast 90 Prozent der befragten Juden gaben an, dass vorwiegend in den sozialen Medien gegen sie gehetzt werde. Es geht vor allem um Bedrohungen und Beleidigungen. Physische Gewalt erlebten aber die wenigsten. Tätliche Übergriffe bekamen ausschließlich Vertreter des strengen orthodoxen Glaubens zu spüren, die anhand ihrer Kleider zu erkennen sind.

Diskriminierung erfuhren die befragten Personen besonders an Schulen und Hochschulen, am Arbeitsplatz und bei der Wohnungssuche. „Der Antisemitismus kommt offenbar aus der Mitte der Gesellschaft“, sagt Kriminologe Baier laut Tages-Anzeiger. Das sei anders als in Deutschland oder Frankreich, wo viele Täter einen muslimischen beziehungsweise rechts- oder linksextremen Hintergrund hätten.

Eine andere Studie, die kürzlich veröffentlicht wurde, bestätigt diese Resultate indirekt. Sie ergab, dass während der Corona-Pandemie eine Welle des Antisemitismus über die Welt hereingebrochen ist.

Die Studie des Kantor-Zentrums für das Studium zeitgenössischen europäischen Judentums der Universität Tel Aviv stützt sich auf Hunderte von Berichten aus aller Welt, wie das Onlineportal Audiatur schreibt. Die Untersuchung zeigt ebenfalls, dass die Coronapandemie den Antisemitismus vor allem in sozialen Mediennetzwerken verschärft hat.

Stereotyp: Juden haben Jesus gekreuzigt

Der Tenor dabei: Juden hätten die Krankheit entweder verursacht oder profitierten davon. In christlich geprägten Milieus kursiert dagegen die antisemitische Ansicht, Juden hätten sich mit dem Virus infiziert, weil sie Jesus nicht als Sohn Gottes anerkennen würden und ihn gekreuzigt hätten. Ein weiteres Stereotyp: Sie würden das Virus verbreiten und damit versuchen, die Welt zu erobern.

Der Antisemitismus hat vor allem religiöse Wurzeln und geht unter anderem auf  den ApostelPaulus zurück: „Die Juden haben sogar Jesus, den Herrn, und die Propheten getötet; auch uns haben sie verfolgt. Sie missfallen Gott und sind Feinde aller Menschen; sie hindern uns daran, den Heiden das Evangelium zu verkünden und ihnen das Heil zu bringen. Dadurch machen sie unablässig das Maß ihrer Sünden voll. Aber der ganze Zorn ist schon über sie gekommen.“ (1 Thess. 2; 14-16).

Im Lauf der Geschichte lösten aber politische Motive die religiösen weitgehend ab. In den letzten rund 100 Jahren nährten und nutzten Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker den Antisemitismus, um Juden zu stigmatisieren und attackieren.

Juden als angebliche Drahtzieher der geheimen Weltregierung

Diese behaupten, Juden wären Drahtzieher bei der Bildung einer geheimen Weltregierung, um die Menschheit zu unterjochen. Höhepunkt dieser hirnrissigen Behauptung war die Ermordung von sechs Millionen Juden im Zweiten Weltkrieg.

Der Antisemitismus blüht regelmäßig in Krisenzeiten auf. Wenn die Leute verunsichert sind und Angst haben, kriechen die Antisemiten aus den braunen Löchern, wittern Morgenluft und starten den Propaganda-Feldzug.

Dass dieses Phänomen auch heute noch so reibungslos funktioniert, ist ein trauriges Zeichen für den geistigen Zustand breiter Bevölkerungskreise. Nicht nur in der Schweiz

Hugo Stamm (Bild: wal_172619 auf Pixabay)

Hugo Stamm

Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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Der Text erschien zuerst auf www.watson.ch