Was ist eigentlich „Zweckentfremdung“ von Wohnraum?
Spätestens seit dem staatlicherseits rüde beendeten Versuch, ein leerstehendes Haus in der Markgrafenstraße wieder seinem Zweck zuzuführen, ist das Verbot solcher Zweckentfremdung wieder in aller Munde. Leere Behausungen sind wegen ihrer Knappheit in Konstanz untragbar, und doch gibt es sie in allen Stadtquartieren. Diesem Umstand soll durch das Zweckentfremdungsverbot entgegengesteuert werden. Aber was ist das eigentlich genau? Welche Folgen haben Verstöße dagegen? Und: Wo greift dieses Verbot nicht? Unser Gastautor, Jurist und Stadtrat, bringt Licht ins Paragrafen-Dunkel und zeigt auf, warum nachgebessert werden muss.
Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz
2013 erließ das Land Baden-Württemberg das verfassungsgemäße[1] Zweckentfremdungsverbotsgesetz (abgekürzt ZwEWG). Laut Paragraf 1 dieses Gesetzes gilt es für „Gemeinden, in denen die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Eine Gemeinde fällt also nicht schon dann unter das Gesetz, wenn für die Bevölkerung kein ausreichender Wohnraum vorhanden ist, weil die Nachfrage das Angebot längerfristig übersteigt[2], sondern, wenn die Nachfrage besonders stark über dem Angebot liegt. In teuren Städten wie Konstanz, Mannheim, Stuttgart oder Karlsruhe reicht es aber nicht aus, lauter Luxusbauten zu errichten. „Angemessene Bedingungen“ müssen her. Konstanz fällt mit seinen zahlreichen Härtefällen auf der Warteliste der WOBAK eindeutig unter den Anwendungsbereich des Gesetzes[3].
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Diese Gemeinden mit Wohnraummangel können gemäß Paragraf 2 eine Satzung erlassen, die Zweckentfremdung genehmigungspflichtig macht. Zweckentfremdung liegt vor, wenn Wohnraum „überwiegend anderen als Wohnzwecken zugeführt“ wird –wenn also aus einer Wohnung etwas anderes als eine Wohnung gemacht wird. Das Gesetz zählt dazu spezifische Fälle auf, die Zweckentfremdungen darstellen. Dazu gehört, eine Wohnung in einen Gewerberaum umzuwandeln oder eine Ferienwohnung daraus zu machen. Insbesondere liegt aber eine Zweckentfremdung vor, wenn Wohnraum länger als sechs Monate leer steht. Eine Wohnung herunterkommen zu lassen, kann damit genehmigungspflichtig werden.
Die Stadt Konstanz hat eine solche Zweckentfremdungsverbotssatzung erlassen[4]. Deswegen ist es im Grundsatz nur erlaubt, Wohnraum umzuwandeln oder leer stehen zu lassen, wenn dafür eine Genehmigung vorliegt. Diese kann nur in engen Grenzen erteilt werden, beispielsweise, wenn der Antragssteller Ersatzwohnraum schafft, ein in Konstanz rein hypothetischer Fall. Wohnungsleerstand kann darüber hinaus durch besondere persönliche Umstände gerechtfertigt sein – damit sollen Sonderkonstellationen abgefedert werden; man denke beispielsweise an eine alte Person, die zunächst vorübergehend in ein Pflegeheim umzieht, deren Aufenthalt dort sich aber unerwartet verlängert.
Konsequenzen eines Verstoßes
Wer Wohnraum zweckentfremdet, ohne dafür eine Genehmigung zu haben, der verhält sich ordnungswidrig. Gem. Paragraf 5 Absatz 2 ZwEG kann diese Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro geahndet werden. Das klingt für sich genommen erst einmal wenig – wir reden ja schließlich über Immobilienbesitzer*innen. Allerdings kann, wenn die Zweckentfremdung fortgesetzt wird, die Geldbuße immer wieder verhängt werden – solange, bis es wehtut.
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Darüber hinaus ist ein Verstoß gegen eine Zweckentfremdungssatzung ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit im Sinne des Polizeigesetzes. Das heißt: Die Polizei, konkret die Ortspolizeibehörde[5], kann anordnen, eine Zweckentfremdung von Wohnraum zu beenden und diese Anordnung erzwingen. Damit können zum Beispiel illegale Ferienwohnungen von den einschlägigen Internetseiten (AirBnB, Booking.com etc.) gelöscht oder in besonderen Fällen Personen in leerstehende Räume eingewiesen und der Eigentümer zur Duldung dieser Einweisung verpflichtet werden. In anderen Bundesländern gibt es dafür genauere Vorschriften – leider hat Stuttgart sich hierzu noch nicht durchringen können.
Stärken des Zweckentfremdungsverbots
Wir können also festhalten: Eine Wohnung ihrem Zweck zu entfremden wird teuer und eröffnet der Ortspolizeibehörde weitgehende Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Das Gesetz bietet damit eine der wenigen Handlungsmöglichkeiten, Leerstand und Wohnungsmissbrauch entgegenzuwirken. Damit kann Spekulation bekämpft werden – in Städten wie Konstanz dringend nötig! Darüber hinaus bietet es den Kommunen eigene Entscheidungsfreiheit. Will ich eine Zweckentfremdungssatzung? Verlasse ich mich auf die Wirkung von Bußgeldern oder gehe ich als Ortspolizeibehörde direkt gegen einzelnen Wohnungsleerstand vor? Damit können im Einzelfall verhältnismäßige, aber effektive Lösungen gefunden werden.
Schwächen des Zweckentfremdungsverbots
Aber ich muss ein wenig Wasser in den Wein schütten: Das Zweckentfremdungsverbot hat auch Nachteile. Leider regelt das ZwEWG, anders als in anderen Bundesländern, keine konkreten Handlungsmöglichkeiten. Wenn sich etwa eine Kommune entscheidet, eine betroffene Wohnung direkt dem Wohnungsmarkt zuzuführen, eröffnen sich erhebliche Streitpotentiale. Darüber hinaus ist es schwierig, überhaupt erst einmal zu ermitteln, ob eine Wohnung zweckentfremdet wird. Dabei ist AirBnB eine besondere Nuss für die Verwaltung: Obwohl hunderte Wohnungen in Konstanz vorübergehend und kurzfristig als Ferienwohnungen auf der Plattform angeboten werden, kann die Stadtverwaltung nicht einfach die Einträge auf dem Portal als Beleg verwenden. Wo die Ferienwohnung ist, teilt AirBnB immer erst nach der Buchung mit. Darüber hinaus muss eine Wohnung jedenfalls eine gewisse Zeit beziehungsweise wiederholt als Ferienwohnung genutzt werden, um im Sinne des Gesetzes das Kriterium einer gewerbliche Beherbergung zu erfüllen. Leider muss AirBnB diese Daten auch nicht herausgeben[6].
Größtes Manko jedoch: Nirgendwo steht, was genau „Wohnraum“ ist. Jetzt wird jeder vernünftige Mensch sagen: Ist doch klar – eine Wohnung eben. Doch wir wären keine Jurist*innen, wenn uns dazu keine Probleme einfielen. Tatsächlich ist die Frage, wann eine Wohnung eine Wohnung ist, eines der größten Schwierigkeiten rund um das Zweckentfremdungsverbot.
Die Zweckentfremdungssatzung in Konstanz regelt dazu in Paragraf 3 Absatz 1 Folgendes: „Wohnraum im Sinne der Satzung sind sämtliche Räume, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Satzung zur dauerhaften Wohnnutzung objektiv geeignet und subjektiv durch die/den Verfügungsberechtigte(n) dazu bestimmt sind.“ Das heißt: Eine Wohnung ist, was objektiv zum Wohnen geeignet ist (1), von dem der Eigentümer auch will, dass man darin wohnt (2) und das schon so war, als die Satzung erlassen wurde (3). Nach Paragraf 3 Absatz 3 Satz 2 der Konstanzer Satzung ist kein Wohnraum, „der Raum [der] bereits vor dem Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes und seitdem ohne Unterbrechung in genehmigter Weise[7] anderen als Wohnzwecken diente“.
Diese Lösung ist kein Konstanzer Einzelfall, sondern wird in vielen baden-württembergischen Städten so praktiziert[8]. Die Formulierung geht zurück auf eine Definition des Landesgesetzgebers. Der führte in seiner Gesetzesbegründung aus: „Wohnraum im Sinne von Absatz 1 Satz 1 erfasst Wohnungen, die bei Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbots dem Wohnungsmarkt für dauerhaftes Wohnen zur Verfügung standen.“[9] Will sagen: Wohnung ist (nur), was dem Markt als Wohnung zur Verfügung stand, nicht mehr und nicht weniger.
Damit scheiden alle Altfälle aus dem Anwendungsbereich der Zweckentfremdungssatzung aus. Also: Ist der Leerstand älter als die Zweckentfremdungssatzung selbst – das heißt, stand die Wohnung schon beim Erlass der Zweckentfremdungssatzung leer – so ist es keine Wohnung im rechtlichen Sinne und damit liegt auch keine Zweckentfremdung vor. Blöd ist insbesondere, dass die Satzung maximal fünf Jahre gelten darf (Paragraf 2 Absatz 1 Satz 1 ZwEWG) und damit alle fünf Jahre neu erlassen werden muss. D.h. alles, was zu diesem (neuen) Zeitpunkt nach dem Willen des Eigentümers keine Wohnung ist, ist dann für die Zukunft keine Wohnung mehr.
Komisch? Absolut. Zwingend? Keinesfalls. Die Berliner Gesetzesfassung hat das Problem klüger gelöst: Dort ist jede Räumlichkeit, die zur dauernden Wohnnutzung geeignet ist, Wohnraum, wenn sie nicht explizit zu anderen Zwecken errichtet und bei Inkrafttreten der Satzung genutzt wurde.[10] So eine Regelung bräuchten wir meines Erachtens auch in Baden-Württemberg, dringend. Denn ehrlich gesagt: Wer ist schon so doof und fängt spontan an, seine Wohnung leer stehen zu lassen, wenn nicht schon zu Spekulationszwecken gebaut wird? Ist Wohnungsspekulation etwa weniger schlimm, wenn sie schon ganz lang erfolgte? Ich sage: Stuttgart, nachbessern.
Simon Pschorr
Fußnoten
[1] Discher, Die Rechtsprechung zum Zweckentfremdungsrecht im Jahr 2016 – Teil 1, ZfIR 2017, 433, 434; a.A. Heinemann, Die Verfassungswidrigkeit der Zweckentfremdungsverbotsgesetze der Länder, NVwZ 2019, 1070.
[2] VGH Mannheim NVwZ-RR 2018, 511 Rn. 12 zu § 56 LBO.
[3] Wobei den Kommunen da ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht LT-Drs. 15/4277, S. 9.
[4] Zu finden unter: https://www.konstanz.de/site/Konstanz/get/documents_E1720419761/konstanz/Dateien/Service/Ortsrecht/VI%20Bauwesen/VI_09%20Satzung%20der%20Stadt%20Konstanz%20über%20das%20Verbot%20der%20Zweckentfremdung%20von%20Wohnraum%20in%20der%20Stadt%20Konstanz.pdf.
[5] VG Freiburg, Beschluss vom 17. April 2020 – 4 K 4710/19 –, juris, dort insb. Rn. 63 ff. mwN.
[6] BayVGH ZD-Aktuell 2019, 06755.
[7] Diese Formulierung steht m.E. im Widerspruch zu § 3 Abs. 1 der Satzung: Wenn es bei Inkrafttreten der Satzung schon keine Widmung als Wohnraum gab, so bestand zu keinem Zeitpunkt eine Genehmigungspflicht und auch keine Genehmigungsmöglichkeit. Ich denke, da sollte ein „oder“ stehen.
[8] Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Januar 2017 – 5 S 1791/16 –, juris, Rn. 23; VG Freiburg, Beschluss vom 11. Juli 2016 – 4 K 1586/16 –, juris, Rn. 23; VG Freiburg, Beschluss vom 17. April 2020 – 4 K 4710/19 –, juris, Rn. 67.
[9] LT-Drs. 15/4277, S. 10.
[10] Discher, Die Rechtsprechung zum Zweckentfremdungsrecht im Jahr 2016 – Teil 1, ZfIR 2017, 433, 439.
Ich verstehe das ganze blabla um das Zweckentfremdungsverbot nicht. Für mich ist das eine akademische Diskussion die nicht zum Ziel führt. Für die Wohnraummisere gibt es m.E. zwei Gründe. Erstens die immer weiter steigenden Ansprüche der Mieter sowohl was Quantität sprich qm als auch Qualität angeht. Zweitens der Ausstieg der Kommunen und Körperschaften wie der Bahn aus dem Wohnungsmarkt in den 90 er und 2000er Jahren. Dieses Feld haben dann nachvollziehbarer Weise Vovonia, deutsche Wohnen und hinten dran Blackrock (war da nicht was mit der Riesterente?) übernommen. Auch die norwegische Rentenkasse investiert fleissig in deutschen Wohnraum. Ein knappes Gut ist halt gut für Kapitalvermehrung. Der einzige Weg derl angfristig helfen würde ist, wenn man diesen Wohnraum wieder dem Markt entziehen würde sprich die Kommunen müssten kaufen und enteignen. Wenn man in Konstanz in den letzten Jahren, also an der Laube in der Bücklestrasse, am Hafner bemi HP Wohnen usw. konsequent die Investoren raus gehalten hätte, müsste wahrscheinlich niemand enteignet werden. Allein mit der Menge an Wohnraum hätte die Stadt (also Wobak und vieleicht ne zweite Geselkschaft) die Mieten für alle dauerhaft dämpfen können. Nun können wir uns freuen wenn die Preisgebundenen Wohnungen aus dem HP Wohnen in zwanzig Jahren auf den freien Markt kommen und die Mieten weiter anheizen. Aber wer weiß schon was in zwanzig Jahren ist….das dachte man sich auch schon beim Verkauf in den 90 ern;-) Soll ja Metropolregionen in Europa geben wo dieses Model bis heute funktioniert.
@Merit Stocker
Die Unterstellung, dass alle der Besetzerinnen ein Dach über dem Kopf haben und teilweise bei den Eltern wohnen spekuliere ich nicht mit, ich denke die Antwort kennt keiner von uns beiden. Jedoch musste ich über die Absurdität der Aussage, dass es quasi kein Recht auf Demonstration, nicht direkt betroffener Menschen gibt, schon sehr den Kopf schütteln.
Demnach sollten also auch ausschließlich Menschen gegen rechte Gewalt demonstrieren dürfen, die direkt davon betroffen sind? Ist es „Weißen Menschen“ nicht gestattet an einer Demo gegen die Unterdrückung von „Nicht Weißen“ teilzunehmen, da diese nicht direkt betroffen sind? Sollten sich Männer demnach auch nicht für die Gleichbehandlung von Frauen einsetzen dürfen? Da sie selbst ja davon nicht betroffen sind?
Um nicht ganz ohne Spekulation zu verbleiben – spekuliere ich nun mal, dass zwischen uns beiden mindestens eine Generation liegt. Und nach dem Lesen des Beitrages wundert es mich immer weniger, dass wir heute so in der Scheiße stecken.
@Merit Stocker
Fahrräder, die monatelang an Laternen, Bäumen oder Fahrradstellplätzen stehen und offensichtlich nicht mehr bewegt werden bekommen einen Zettel angeklebt. Darauf eine Frist mit dem Hinweis auf Entfernen des Rades. Verstreicht die Frist, so wird das Rad entfernt und ggf. dann auch versteigert, sofern es nicht komplett Schrott ist. Dies ist eine Zwangsenteignung.
Der Grund dafür ist der, dass das Rad öffentlichen Grund belegt und dieser nicht anderweitig oder eben zum Abstellen eines anderen Rades genutzt werden kann.
Ich gehe jetzt mal davon aus, dass das jeder nachvollziehen kann.
Wieso ist dieses Vorgehen bei einem Fahrrad in Ordnung und bei einem Haus nicht?
…ja, es werden in Deutschland massenhaft Grund und Boden enteignet, z.B. Flughafen Echterdingen/Stuttgart oder die Messe/Stuttgart, alles steht auf enteignetem Boden. in Garzweiler werden ganze Dörfer enteignet und die Bewohner zwangsumgesiedelt. Nur – man nennt es in den Medien nicht so – weil das Bähbäh-Worte sind….
Danke Simon Pschorr, für die gute Sachaufklärung!
Ein Schelm, der dabei denkt, dies sei schon ein Gesetz aus dem noch zu schreibenden Handbuch „Erstellen von unbrauchbaren Normen“.
Die Kapitel dort:
1. hohe Hürden für den Geltungsbereich einer Norm (überwiegende Wohnungsnachfrage, die die Mietpreisspirale beschleunigt und Vertragsbedingungen zum Nachteil der Mieter aufgrund der Marktmacht ermöglicht, darf noch nicht ausreichen).
2. subjektive und daher nicht nachweisbare Voraussetzungen für die Einzelfallanwendung (wenn der Vermieter nicht wohnen lassen will – wer will wie das Gegenteil beweisen? – ist das Gesetz schon unbrauchbar;
auch die Mietpreisüberhöhung in § 5 Wirtschaftsstrafgesetz ist durch den Nachweiszwang, dass der Vermieter die Marktlage ausnutzen wollte, ein völlig am beabsichtigten Zweck vorbeigehendes Gesetz).
3. viele Einzelfallausnahmen (hier sind mehrere Sonderkapitel für die angebliche Mietpreisbremse erforderlich. Denn bei jeder Streichung einer Ausnahme kann man sich erneut als parlamentarischer Held und Mieterfreund feiern lassen).
4. bereits definierte Begriffe neu definieren (Wohnen wäre z.B. schon im Einwohnermeldegesetz definiert), damit
a) Rechtsunsicherheit erzeugt werden kann, weil die Rechtsprechung kein Muster hat und
b) der Begründungsaufwand der Verwaltung für Verordnungen steigt (damit konnten die meisten Mietpreisbremsverordnungen erst verlangsamt und dann unwirksam gemacht werden).
5. kurze Geltungsdauer, damit sich die Einarbeitung der Sachbearbeiter nicht lohnt,
6. Einkalkulieren der grundsätzlich vorhandene Überlastung der Sachbearbeiter. Die meist ausführenden Kommunen haben schon ausreichend Aufgaben, die sie nicht überwachen können. Daher geschieht in der Regel nichts; engagierte Kommunen werden dann an den anderen Hindernissen (1.-5. und 7.) mürbe gemacht,
7. Einfach die Ermächtigungsgrundlage nicht erwähnen (nach dem Erfinder „Andi-Scheuer-Trick“ genannt. Damit konnte die StVO mit erhöhten Bußgeldern gekippt werden und unzählige Bußgeldverfahren behördlicher- und gerichtlicherseits sinnlos gemacht werden. 7., 6. und 5.auf einen Streich – Hut ab!)
Merit Stocker,
Ihr Vergleich hat einen Plattfuß. Es geht nicht um ein Fahrrad, das „doch seit 3 Wochen nicht mehr bewegt worden“ ist. Es geht um ein Haus, das mehr als zehn Jahre leer stand.
Auch mit dem Volkssport wird nur von der anderen Seite her ein Schuh draus. Es scheint das Vergnügen einer kleinen radikalen Minderheit zu sein, die Lächerlichkeit des Grundgesetzes zu demonstrieren. („Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“)
Es bleibt Ihnen und Ihresgleichen freigestellt, diesen Passus ausschließlich als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Kabarettisten zu deklarieren. Dann landen wir endgültig bei homerischem Gelächter.
#Merit Stocker
Ich frage mich, wie man den von Ihnen zum Ausdruck gebrachten moralischen Standpunkt erklimmen kann.
Würden Sie mir auch recht geben, dass man einen grenzwertig devoten Untertanengeist nicht „einfach so“ erwerben kann? Da heißt es sicher Übung, Übung, Übung!
Etwas einfacher ist es da sicher , komplett zu verdrängen, dass Gesetze von Menschen für Menschen gemacht werden (sollten).
Dass Reichtum, auch der an Immobilien, in der Regel nicht von denen besessen wird, die ihn erzeugen, nein in diese kommunistische Denkfalle tappen Sie sicher nicht; da bietet ihre gefestigte ideologische Ausrichtung genug an mauerdickem Schutz.
Aber das ist doch schon mal eine gute Grundlage, und dass man sich, zumindest als gemeiner Mann/gemeine Frau sich nicht um die höherwertigen politischen Grundsätze kümmern muss, erscheint dann ja so gut wie ausgemacht.
Deshalb haben wir ja auch keine Ambitionen, ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu schauen, und vermutlich wissen wir noch nicht mal, dass es eine „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen gibt. Geschafft! Und schon klingt Ihre Einlassung wie ein Stück Sonntagsrede von Captain Obvious.
Ich erinnere jetzt nur noch an den Ausspruch unseres „gütigen Landesvaters“ Hanns Filbinger: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein!“
Das war doch noch ein taffer Jurist, oder?
@Peter Groß
Was sollte denn eine Anwaltskanzlei anderes tun, als das Recht des Eigentümers zu verteidigen? Ein Rechtsstaat kann doch nicht nach Gutdünken entscheiden, das wäre das Ende. Für manche Leute scheinen Hausbesetzungen eine Art Volkssport zu sein, was weiß ich wofür – um den eigenen Mut zu beweisen, gegen das Gesetz zu verstoßen, so in der Art junge Rebellen. Natürlich auch den Hass auf „die Kapitalisten“ generell zum Ausdruck zu bringen. Das scheinen mir die wahren Gründe zu sein. Warum kommen junge Leute eigens aus Freiburg, um in Konstanz ein leerstehendes Haus zu besetzen? Haben die dort keine? Dann wäre doch alles in Butter. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Hausbesetzer alle ein Dach über dem Kopf hatten, und sei es das der Eltern. Obdachlose, die es nötiger hätten, würden so etwas nie tun. Mir ist zumindest kein Fall bekannt. Die Verklärung dieser Gesetzeswidrigkeit hier auf seemoz verstehe ich nicht. Ich möchte mal den sehen, der den Dieb mit seinem Fahrrad erwischt, ob er das lustig fände, wenn der ihm erklärt, das Rad sei doch seit 3 Wochen nicht mehr bewegt worden, insofern könne er es besser brauchen. – Im Kleinen wie im Großen.
@ Carl Otto. Ich dachte doch tatsächlich, dass Häuser errichtet werden, damit Menschen darin wohnen, die für die Gemeinschaft, Stadt, Region, das Land, ja auch die Eigentümer einen Mehrwert erarbeiten. Sonst wäre die Zivil- oder Stadtgesellschaft gezwungen durch maximale Gewinnabschöpfung einzuschreiten, allein um sich vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen oder weil Eigentum meist erst durch Steuersparmodelle und langjährige öffentliche Darlehen, besonders im sozialen Wohnungsbau, ermöglicht wurde.
Die MehrwerterbringerInnen sind also tätige Menschen. Sonst könnte man Spekulationsobjekte in irgend einer Wüstenei errichten, das hat man in Spanien mit touristischen Bettenburgen versucht. Die stehen inzwischen seit 20 Jahren leer.
Das war eine ganz schöne Fehlinvestition, weil allein durch eine kulturell hochwertige, lebendige Umgebung, die Spekulation Erfolge verzeichnet.
Ich weiß nicht ob Sie sich mit Leerstand auskennen? Letztlich sind unbewohnte Häuser immer ein Rückzugsgebiet für Ratten und andere Nager, für Schaben oder sonstiges Getier, das in der Umgebung beste Überlebensbedingungen findet. Vermitteln Sie ihre kruden Ideen mal einem Unternehmer, der auf Arbeitskräfte angewiesen ist, einer Kommune, Verwaltung oder Partei, die auf Einwohner oder WählerInnen hofft.
Der Artikel suggeriert: Alle sei gut, wenn nur die „richtigen“ Gesetze zur Anwendung kommen. Dabei führt der ganze Diskurs zum Zweckentfremdungsverbot an der Sache vorbei: Es wird so getan, als ob es Zweck von Grundeigentum ist, dass die Leute da drin wohnen. Dabei bedeutet Eigentum erst einmal „nur“ die Verfügungsgewalt bzw. „Herrschaft“ einer Person über eine Sache.
Denn: Mit dem Eigentumstitel ist noch gar nichts über die Verwendung gesagt. Eigentum kann zum Konsum eingesetzt werden – man kauft sich etwas zu essen. Der Haken: Nach dem Konsum ist es dann sogleich weg. Eigentum kann auch investiert werden – die Unternehmer kaufen die Arbeiter*innenschaft und Maschinerei zusammen, und am Ende steht ein Mehr zu Buche, als es dem investierten und aufgewandtem Tauschwert entspricht. Das ist dann die kapitalistische Verwertungslogik und das, was Marx Ausbeutung nennt. Eigentum muss aber nicht sogleich eingesetzt werden: Man kann es auch zunächst einmal behalten, wenngleich man es damit wie Marx im Kapital zur Schatzbildung schreibt, seiner Funktion als Zugriffsmittel auf abstrakten Reichtum beraubt.
Dies ist im Falle der Grafi10 der Fall: Das Haus wird weder vom Eigentümer selbst genutzt, also zum Konsum eingesetzt, noch wird es vermietet, d.h. so eingesetzt, dass es sich vermehrt. Allemal aber: Das Eigentum bleibt Eigentum, und wie man an der Grafi10 auch gesehen hat wird dem durch die Staatsmacht praktisch Geltung verschafft. Und: Der Wert des Grundeigentum in der Markgrafenstraße steigt mit der Zeit, weshalb der Vermieter auch durchs Nichtvermieten verdient – dies ist ein Spezifikum von der widersprüchlichen und unvernünftigen Angelegenheit ein letztendlich tatsächlich knappes Gut wie Boden zu Eigentum zu erklären.
Insofern ist der Leerstand von Wohnungen also keine Entfremdung von ihrem eigentlichen Zweck. Wohnungen sind zunächst erst einmal irgendjemandes Eigentum, der*die damit die eigenen, selbstgewählten Zwecke verfolgt. Wäre der Zweck von Wohnungen dass Leute drin wohnen, würde damit also kein Profitinteresse verfolgt, dann könnte man sich ja auch die ganze Angelegenheit der Miete sparen. Jetzt kann man spekulieren, was den Eigentümer bewogen hat, das ganze Anwesen leer stehen zu lassen – erst einmal macht er das, weil er es kann. Genauso, wie andere Vermieter*innen ihre Mieter*innen raus werfen oder wieder einmal die Miete erhöhen – ebenso, weil sie es Kraft ihres Eigentumstitel können.
Ich halte daher die ganze Debatte um „Zweckentfremdungsverbote“ falsch. Denn dann landet man einerseits dabei, immer irgendwelchen juristischen Nachbesserungsbedarf aufzudecken – ohne dass man den Grund weiß, warum Mietpreisbremse und Zweckentfremdungsverbot nicht greifen und dem Markt immer hinterher hängen. Andererseits landet man dann (bestenfalls!) im „Normalmietverhältnis“ und stellt sich die Frage, warum vom Lohn, der eh schon nicht zum Leben reicht, so viel für die Miete weggeht. Dabei ist doch allein ein Mietverhältnis für sich, nicht erst aufgrund von Leerstand oder der aktuellen Preisentwicklung, Skandal genug!
Zu Fordern, Stuttgart solle in Sachen „Zweckentfremdungsverboten“ nachbessern, hieße also, die Eigentümer von Wohnraum dazu zu zwingen, durch die Vermietung des Wohnraums noch mehr Gewinn zu erzielen, während ihr Grundeigentum (ob leer oder nicht) sowieso schon an Wert zu nimmt! Insofern, scheint mir diese Forderung dem Anliegen der Hausbesetzer*innen nicht gerecht zu werden, und die ganze Juristerei nichts als Donquichotterie. Statt also dauernd eine „Zweckentfremdung“ herbei zu reden, wäre es ein erster Schritt sich Klarheit über die Sache Eigentum zu verschaffen. Da man dann feststellt, dass die Beschädigung der eigenen Interessen in der Sache des Eigentums steckt, könnte es für die Mehrheit hierzulande nur darum gehen, diese Angelegenheit abzuschaffen.
Am 12. September 2018 schrieb Minh Schredle in der Kontext Wochenzeitung über das Schicksal einer jungen Stuttgarter Familie, die ihre beengten Wohnverhältnisse nach monatelanger ergebnisloser Suche mit Kind, mittels einer Wohnungsbesetzung, mit Unterstützung und unter dem Beifall der Hausgemeinschaft beenden wollte:
https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/389/in-die-enge-getrieben-5339.html .
Die Aktion endete zunächst mit einem juristischen Erfolg der britischen Hauseigentümerfamilie und Rechnung einer Anwaltskanzlei über 10.288 Euro und 26 Cent. Das Statement einer, der zu dem Zeitpunkt stellvertretenden Vorsitzenden der SPD Bundestagsfraktion und Mitarbeiterin in der Kanzlei, Ute Vogt, auf die Frage von Kontext, wie sich ihre politische Agenda mit dem Vorgehen der Kanzlei vereinen lasse, lautete: „Dr. S. vertritt einen Hauseigentümer, der sich gegen eine rechtswidrige Besetzung seines Hauses wehrt, auf der Grundlage geltenden Rechts.“ Dies sei „weder rechtlich, noch moralisch, noch politisch zu beanstanden“. Bereits seit den siebziger Jahren sprechen die Sozialwissenschaften von einem Legitimitätsschwund des Staates und der Parteien und notierten, dass die Parteien eher als Cliquen statt Parteien wahrgenommen wurden und werden. Vielleicht können Sie ebenso Sachkundig darstellen, welche Rechte verzweifelten MieterInnen, HausinstandbesitzerInnen noch zugestanden werden, wenn ihnen von Ute Vogt sogar das Recht der moralischen und politischen Empörung verweigert wird. Ich fürchte, dazu bedarf es nur weniger Worte. Wer nicht sofort geht, den räumt um 5:00 Uhr die Polizei, während die unabhängige Gerichtsbarkeit noch einmal die Schlummertaste drückt.