Rommel und unsere demokratische Erinnerungskultur (Teil II)
Inwiefern ist Hitlers Lieblings-General Erwin Rommel wirklich „unser“ Rommel – und wie gehen wir mit dem Gedenken an seine Opfer um? Darum entbrannte in Heidenheim an der Brenz, Rommels Geburtsstadt, ein jahrelanger Streit, der jetzt durch das Aufstellen eines „Gegen“denkmals zumindest vorläufig beigelegt wurde. Aus diesem Anlass hielt der profilierte Historiker Wolfram Wette eine lesenswerte Rede von grundsätzlicher Bedeutung, die wir hier ungekürzt in drei Teilen wiedergeben.
Zweite Phase: Rommel und die Legende von der „sauberen Wehrmacht“
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gingen Generäle der Wehrmacht gezielt daran, die Legende von der angeblich „sauber“ gebliebenen Wehrmacht in die Welt zu setzen. Die Wehrmacht habe, behaupteten sie, einen rein militärischen, dazu völkerrechtskonformen Krieg geführt und sei an Kriegs- und NS-Verbrechen nicht beteiligt gewesen. Konstruiert wurde dieses Bild bereits im November 1945 von einer Gruppe hochrangiger Ex-Wehrmachtgeneräle. Zu ihnen gehörte auch der General Siegfried Westphal, der später als einer der Initiatoren des Rommel-Ehrenmals in Heidenheim von 1961 agieren sollte.[i] Während des Afrika-Feldzuges war Westphal der engste Vertraute Rommels gewesen. Die von besagten Wehrmachtgenerälen verfasste Denkschrift beschönigte und verharmloste die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Sie sollte für Jahrzehnte das Bild der Wehrmacht in der Öffentlichkeit prägen. Es ist – pointiert – gesagt worden, die Wehrmacht habe 1945 zwar den Krieg verloren, aber den sich anschließenden Kampf um das Bild der Wehrmacht in der Öffentlichkeit habe sie gewonnen.[ii]
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Der prominente Name Rommel wurde jetzt als „Gesicht“ des angeblich „sauberen“ Krieges der Wehrmacht präsentiert. Es ist interessant zu beobachten, wie die Behauptung, Rommel habe irgendetwas mit dem Widerstand des 20. Juli 1944 zu tun gehabt, nach und nach in die Legende von der „sauberen“ Wehrmacht eingebaut wurde. Besonders sein vormaliger Stabschef, der spätere Nato-General Hans Speidel, rückte ihn in die Nähe des Widerstandes.[iii] Diese Indienstnahme des angeblich widerständigen Rommel stieß besonders nach dem von Fritz Bauer geführten Remer-Prozess von 1952 auf wachsende Zustimmung.[iv] Generalstaatsanwalt Bauer argumentierte damals – unter anderem mit dem Blick auf ehemalige Wehrmachtsoldaten –, dass die Widerständler eben keine Verräter und Eidbrecher gewesen seien, sondern dass es legitim und moralisch geboten war, gegen den Diktator und den NS-Unrechtsstaat gewaltsam vorzugehen.
Die alliierten Siegermächte vermieden es, die erneute Instrumentalisierung Rommels für die Wehrmachtlegende zu unterbinden. Stattdessen trieben die Briten und die Amerikaner ihre Rommel-Verehrung in Biographien und populären Kinofilmen zu erneuter Blüte.[v] Der Zweck blieb der gleiche wie zuvor: Der britisch-amerikanische Sieg über den legendären Panzergeneral Rommel, den „Wüstenfuchs“, sollte den Sieg der alliierten Streitkräfte in Nordafrika in einem umso helleren Lichte erstrahlen lassen.[vi]
Diese zweite Phase der Heroisierung von Rommel fiel nicht zufällig in die Zeit der Wiederbewaffnung Westdeutschlands und der Integration der westdeutschen Streitkräfte in die Nato. Diese Entwicklung bildete auch den historisch-politischen Kontext für die Einweihung des Heidenheimer Rommel-Ehrenmals im Jahre 1961. Es zog eine direkte und vollständig unkritische Kontinuitätslinie zur NS-Zeit.
Dritte Phase: Der Abschied von der Wehrmacht-Legende und von Rommel
In der dritten Phase vollzog sich – nicht auf einen Schlag, sondern in mehreren Etappen – die Destruktion der Wehrmacht-Legende durch die militärgeschichtliche Forschung. Ende der 1960er Jahre erschienen die ersten kritischen Forschungsarbeiten von Historikern des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. Hier möchte ich zwei Kollegen namentlich nennen: Manfred Messerschmidt und Klaus-Jürgen Müller. Den Höhepunkt der öffentlichen Aufklärung bildeten die beiden Wehrmacht-Ausstellungen, die in den Jahren 1995 bis 2004 große Beachtung fanden.[vii] Man zählte mehr als eine Million Besucher. Allgemein kann man sagen: Je tiefer die historische Forschung in die Geschichte der Wehrmacht eindrang, desto deutlicher wurde, dass sie nicht nur völkerrechtswidrige Kriege geführt hatte, sondern auch an vielen Verbrechen beteiligt war, eingeschlossen den Mord an den europäischen Juden.
Rommel, ein wichtiger Akteur in den Kriegen Nazi-Deutschlands, war nun in diesen Kontext einzuordnen, obwohl er während seines Einsatzes in Nordafrika nichts mit der systematischen Ermordung von Juden zu tun hatte. Während dieses Feldzuges wurden allerdings andere Formen der Judenverfolgung praktiziert, etwa der Einsatz jüdischer Zwangsarbeiter zum Stellungsbau. Näheres kann man in den verdienstvollen Arbeiten von Wolfgang Proske nachlesen.[viii] Man muss weiterhin wissen, dass der Holocaust nach dem Willen der politischen Führung in Berlin auch auf die Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens ausgedehnt werden sollte. Das SS-Einsatzkommando Ägypten unter Walter Rauff[ix] hatte bereits organisatorische Vorbereitungen zur Ermordung der etwa 700.000 Juden Nordafrikas getroffen. Sie kamen nur wegen des – für die Achsenmächte Deutschland und Italien negativen – Kriegsverlaufs nicht zur Ausführung.[x] In seiner späteren Verwendung als Befehlshaber auf dem italienischen Kriegsschauplatz gab Rommel völkerrechtswidrige Befehle, die in ihrer Diktion an die verbrecherischen Befehle der Ostgeneräle erinnern.[xi] Sie atmen den Geist der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.
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Die dritte Phase war also von der historisch-kritischen Aufklärung geprägt. Jetzt verloren die Rommel-Verehrer weiter an gesellschaftlicher Akzeptanz. Der Einfluss der Afrika-Veteranen nahm ab. Im lokalen Bereich der Zivilgesellschaft wurden die kritischen Stimmen lauter, auch in Heidenheim. Seit den 1990er Jahren verabschiedete sich die zivile deutsche Gesellschaft von der Geschichtspolitik der Nachkriegszeit, die man mit dem unglücklichen Begriff „Vergangenheitsbewältigung“ belegt hatte. Stattdessen entwickelte sich jetzt Schritt für Schritt eine demokratische Erinnerungskultur, in der für die Heroisierung von Krieg und Militär kein Platz mehr war und ist. Manche Wissenschaftler bezeichnen die neue Orientierung als „postheroisch“. Für die gegenwärtig agierenden Generationen gibt die demokratische Erinnerungskultur den Orientierungsrahmen vor, der auch die Maßstäbe zur Bewertung Rommels bereitstellt.
„Hitlers Lieblings-General Rommel und unsere demokratische Erinnerungskultur“, Vortrag von Prof. Dr. Wolfram Wette, Historisches Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., gehalten in Heidenheim am 23. Juli 2020 anlässlich der Einweihung des Gegen-Kunstwerks von Rainer Jooß zum Rommel-Denkmal, veranstaltet von der Stadt Heidenheim.
Bild: Birgit Baumann Stadt Heidenheim; zu sehen sind der Historiker Prof. Dr. Wolfram Wette, Oberbürgermeister Bernhard Ilg, Heidenheim, Künstler Rainer Jooß, Heidenheim, vor dem monumentalen Rommel-Denkmal von 1961 und dem Gegendenkmal „Minenopfer“, das einen Schatten auf den Feldherrn wirft.
Weitere Informationen: www.rommel-denkmal.de
[i] Zur Vita von Westphal siehe Wolfgang Proske: Siegfried Westphal: „Erfüllt von der moralischen Verpflichtung, stets ‚Coleur‘ zu beweisen …“. In: ders. (Hrsg.), Täter Helfer Trittbrettfahrer, Bd. 8: NS-Belastete aus dem Norden des heutigen Baden-Württemberg, Gerstetten 2018, S. 397 – 415; vgl. auch Hendrik Rupp: Vehikel für die „saubere Wehrmacht“. Rommel-Denkmal. Beim Heidenheimer Heimat- und Altertumsverein sprach Dr. Wolfgang Proske über Siegfried Westphal, den „großen Unbekannten“ hinter dem Denkmal. In: Heidenheimer Zeitung, 3.5.2019.
[ii] Das Bild stammt von dem US-amerikanischen Historiker Omer Bartov.
[iii] Hans Speidel: Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal. Tübingen 1948. Hier wurde Rommel gezielt zum Widerstandskämpfer stilisiert und damit heroisiert. Siehe auch Elmar Krautkrämer: Generalleutnant Dr. phil. Hans Speidel. In: Gerd Ueberschär (Hrsg.), Hitlers militärische Elite, Bd. 2: Vom Kriegsbeginn bis zum Weltkriegsende. Darmstadt 1998, S. 251.
[iv] Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie. München 2009.
[v] Im Einzelnen beschrieben von Reuth, Erwin Rommel (wie Anm. 9).
[vi] So auch das Urteil des britischen Generals Sir David Fraser: Generalfeldmarschall Erwin Rommel. In: Gerd R. Ueberschär: Hitlers militärische Elite. Bd. 2: Vom Kriegsbeginn bis zum Weltkriegsende. Darmstadt 1998, S. 184-193, hier: S. 192
[vii] Hannes Heer/Klaus Naumann (Hrsg.): Hannes Heer/Klaus Naumann (Hrsg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944. Hamburg 1995.
[viii] Siehe Wolfgang Proske: Zwei Rollen für Erwin Rommel beim Aufmarsch der Wehrmacht in Libyen und Ägypten, 1941-1943. In: ders. (Hrsg.), Täter Helfer Trittbrettfahrer. Bd. 3: NS-Belastete aus dem östlichen Württemberg, Gerstetten 32016.
[ix] Siehe Martin Cüppers: Walter Rauff – in deutschen Diensten. Vom Nazi-Verbrecher zum BND-Spion. Darmstadt 2013.
[x] Siehe im Einzelnen Proske, Zwei Rollen, S. 153-176, bes. 175; sowie Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers: Halbmond und Hakenkreuz: Das Dritte Reich und Palästina. Darmstadt 2. Aufl. 2007.
[xi] Siehe besonders den berüchtigten „Gesindelbefehl“ vom 23.9.1943, den Rommel als Oberbefehlshaber Italien-Nord (Heeresgruppe B) herausgab: „Irgendwelche sentimentalen Hemmungen des deutschen Soldaten gegenüber Badoglio-hörigen Banden in der Uniform des ehemaligen Waffenkameraden sind völlig unangebracht. Wer von diesen gegen den deutschen Soldaten kämpft, hat jedes Anrecht auf Schonung verloren und ist mit der Härte zu behandeln, die dem Gesindel gebührt, das plötzlich seine Waffen gegen seinen Freund wendet.“ Zit. nach Proske, Zwei Rollen, S. 175. Zum Zusammenhang Gerhard Schreiber: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung, München 1996, S. 49-55, und Friedrich Andrae: Auch gegen Frauen und Kinder. Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943-1945, München/Zürich 1995, S. 49.