Bahnhof: Barrierefreies Ein- und Aussteigen

An den miserablen Zustand des Konstanzer Bahnhofs erinnerte dieser Tage wieder einmal eine Presseerklärung der Stadt. Bis „voraussichtlich“ Ende 2021 sollen die beiden Bahnsteige erhöht werden, damit auch mobilitätseingeschränkte Menschen einfacher in die Züge klettern können, deren Einstiege jetzt noch für viele viel zu hoch liegen. Die Stadt Konstanz lässt sich ihren Anteil 1,5 Millionen Euro kosten (wenn’s denn bei diesem Projekt mal langt). Eigentlich ist das alles ja ein Trauerspiel.

Man kennt sie, die Engelszungen all der VerkehrspolitikerInnen, die landauf, landab verkünden, jetzt werde es endlich, endlich und ganz gewiss und unverzüglich Vorfahrt für die Bahn geben. Nicht erst seit den Erfolgen von Fridays for Future wird das hohe Lied des in Wirklichkeit meist verlotterten Schienenverkehrs gesungen, den es mancherorts schon lange auch gar nicht mehr gibt.

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Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur klopft sich und seinem Ministerwunderkind Andreas Scheuer im Internet gerade einmal wieder selbst begeistert auf die Schulter: „Attraktive Bahnhöfe, starkes Handwerk, sichere Arbeitsplätze. Das ist der Kern unseres Sofortprogramms. Wir fördern an bundesweit 167 Stationen kleine Maßnahmen mit großer Wirkung. Maler, Gerüstbauer, Elektroinstallateure und weitere heimische Handwerksbetriebe können sofort loslegen: zum Beispiel mit neuen Treppenbelägen, besserer Barrierefreiheit, komfortableren Wartebereichen, neuen Informationssystemen oder effizienteren Heizungs- und Beleuchtungsanlagen. Gewinner sind unser Mittelstand und die Bahnkunden.“[1] Dass die Bahnkunden erst im allerletzten Wort des Textes gerade soeben noch auftauchen, dürfte kein Zufall sein, denn an sie wird seitens der Bahn meist zuletzt gedacht. Auch dass die 40 Millionen Euro für 167 Bahnhöfe bestenfalls ein propagandistisch aufgemotztes Nasenwasser sind, erschließt sich unschwer, das sind nämlich 239.520,96 Euro pro Bahnhof, und dafür kriegt man ja kaum mehr als drei vergoldete Minister-Büsten für den Schalterbereich (wo es den überhaupt noch gibt).

Bahnhöfe zu Einkaufszentren

Der Bahnhof Konstanz taucht in dieser Liste nicht auf, aber hier soll trotzdem der nächste Schritt zu etwas menschenwürdigeren Verhältnissen getan werden, was ja höchst lobenswert ist. Man muss nur mal einen kurzen Gang über die Konstanzer Bahnsteige tun, um sich davon zu überzeugen, dass die Wirklichkeit sehr, sehr traurig ist, und dass das jahrzehntelange Gerede von der Vorfahrt für die Bahn nichts als finsterste Augenwischerei für besonders Leichtgläubige war. An wenigen anderen Orten lässt sich die planmäßige Rückentwicklung der Infrastruktur für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr auf ein mittleres Drittwelt-Desaster-Niveau derart mit Händen fassen wie hier: Müll, Taubenscheiße, viel zu schmale Bahnsteige, abgebrochene Sitzgelegenheiten, die selbst in heilem Zustand eine Zumutung sind.

Zu investieren scheint die Bahn am liebsten in Großstädten, in denen Knotenpunkte zu bunten Shopping Malls „entwickelt“ werden und der Bahnkunde im Durchlaufen auch sonst noch kräftig Umsatz machen soll. In der Fläche, auf dem Lande gar und in der sonstigen Provinz herrschen zumeist Not, Elend und Verfall, und die Kommunen und Landkreise müssen oft selbst sehen, wo sie bleiben. Die von Landkreisen und anderen kommunalen Einrichtungen gegründeten Verkehrsverbünde mit ihren untereinander kaum kompatiblen und zudem meist recht unverständlichen Tarifsystemen sind Ausgeburten der Hölle, die der Rückbau der Bahn hervorgebracht hat. Das sind hinderliche Kirchturmspolitik und Kleinstaaterei in einem System, das national und international angelegt sein muss, um effektiv zu funktionieren – vom kleinsten Kaff bis zur Metropole, und das am besten im Takt.

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Bahnsteige sollen erhöht werden

Dass der Konstanzer Bahnhof nach dem seit Jahrzehnten überfälligen Einbau der Aufzüge jetzt auch höhere Bahnsteige erhält, damit selbst Nicht-Bergsteiger unversehrt in die Waggons kommen, und das sogar mit Sack und Pack, ist natürlich erfreulich und wichtig.

Die Stadt Konstanz teilte dazu jüngst mit: „In einem ersten Schritt wurde Mitte 2019 der barrierefreie Zugang vom Bahnsteig bei Gleis 1 hinüber zum Gleis 2/3 hergestellt. In zweiten Schritt werden nun die beiden Bahnsteige angehoben, so dass zukünftig ein barrierefreier Ein- und Ausstieg zu den Zügen möglich sein wird. Die Baufirma hat am 3. August mit der Einrichtung der Baustelle begonnen. Die eigentlichen Arbeiten starten dann ab 17.8. und werden voraussichtlich bis Ende 2021 andauern. Die Bauarbeiten werden abschnittsweise ausgeführt, da der Zugverkehr während der gesamten Bauzeit aufrechterhalten werden muss. Begonnen wird am Bahnsteig 1a, d.h. hinter der Ladenzeile bis circa Mitte des Bahnhofsgebäudes. Dieser erste Bauabschnitt soll bis zum 12. Oktober abgeschlossen sein. Während der Bauphase ist der Bahnsteig in diesem Bereich und auch die Treppe von der Unterführung Marktstätte auf Gleis 1 komplett gesperrt. Die Bahn wird durch Beschilderungen über die Gleisbelegungen und Sperrungen informieren. Die Stadt beteiligt sich am barrierefreien Umbau des Bahnhofs mit 1.527.000 Euro.“

Gute Feen

Natürlich haben wir durch die Bauprojekte in den letzten Jahren gelernt, Fertigstellungstermine als pure PR-Lyrik und Kostenangaben als Wunschkonzerte für harthörige ZeitgenossInnen zu verstehen; man denke etwa an die Kosten für die Brücken über die Gleise am Lago und am Bahnhof Petershausen oder die Zeitverzögerungen bei der Fertigstellung des Schwaketenbades. Will sagen: Irgendwann werden wir höhere Bahnsteige haben, und dazu wird die Stadt Konstanz einen nennenswerten finanziellen Beitrag leisten müssen – warten wir’s also mit der uns eigenen Untertanen-Eselsgeduld ab, was passiert und wenn ja, wann es fertig wird.

Außerdem bleibt die Frage gänzlich unberührt, wie es mit den Bahnsteigen ansonsten weitergehen soll, denn die Barrierefreiheit kann ja nur ein erster Schritt hin zu einem attraktiveren öffentlichen Verkehrssystem sein. Es gibt ja immer noch genug abschreckende Ecken wie den Durchgang zum Bahnhofplatz zwischen deutschem und schweizerischem Bahnhof, und auch die Unterführung hat zwar durch die Aufzüge funktional gewonnen, verstrahlt aber weiterhin den ätzenden Charme eines Schandflecks.

Am Bau herrscht bekanntlich Magie, und das heißt in Deutschland zumeist: Schwarze Magie und finstere Mächte. Wer erleben will, dass bei Bahnhofsumgestaltungen auch gute Feen zu einem glücklichen Ende walten können, gehe nur einmal nach Kreuzlingen und bewundere dort den schmucken kleinen Hafenbahnhof oder den Hauptbahnhof, der schon seit vielen Jahren über Rampen zugänglich ist. Und wen einmal ein dringendes Geschäft plagt, der oder die schlage das Wasser etwa in der Toilette des schweizerischen Bahnhofs Mannenbach-Salenstein ab. So manche deutschen RadlerInnen kamen da schon mit Tränen der Dankbarkeit wieder aus dem modernistischen Klobunker, weil sie derart viel Kunden- und Menschenfreundlichkeit nur schwer ertragen können. Sie können sich aber ganz sicher sein: In Deutschland wird ihnen das nicht passieren. Niemals.

MM/O. Pugliese (Bilder: O. Pugliese)


Anmerkung
[1] https://www.bmvi.de/DE/Home/home.html