„Konstanz hat kein verbindliches Klimaziel 2035“
Die Wogen gingen hoch an jenem 23. Juli, als der Gemeinderat im Bodenseeforum über die lokale Klimapolitik debattierte. Knapp abgelehnt wurde damals bekanntlich ein von Klima-AktivistInnen initiierter und von FGL, LLK und JFK unterstützter Antrag, der die Stadt darauf festgenagelt hätte, bis 2030 Klimaneutralität zu erreichen. Doch was hat das Gremium an diesem denkwürdigen Julitag nun eigentlich stattdessen beschlossen? Darüber gehen die Meinungen auseinander.
Anlass für die Konstanzer AktivistInnen von Fridays for Future, den damaligen Beschluss noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Das Fazit ihrer Stellungnahme fällt ernüchternd aus:
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Glaubt man der Stadtverwaltung und dem Oberbürgermeister, hat Konstanz sich am 23. Juli 2020 das Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu werden. Doch wie der Südkurier berichtete, ist der tatsächliche Beschluss weit weniger konkret: In Beschlusspunkt 1 des Antrags heißt es, man wolle „schnellstmöglich“ klimaneutral werden. Diese Formulierung ist wenig aussagekräftig: Denn was möglich ist, hängt vor allem davon ab, wie viel Handlungsbereitschaft die Verantwortlichen zeigen. „Daher klingt die Formulierung eher wie eine Ausrede, um unzureichende Klimaschutzanstrengungen zu rechtfertigen, als wie ein Erfolg für den Klimaschutz.“, so Ben Brockmann. Die endgültige Entscheidung über ein Zieljahr für die Klimaneutralität wurde unter Punkt 3 des Beschlusses um ein weiteres Jahr vertagt. Dabei hätte es durchaus mehrfach bei den Verhandlungen über den Antrag die Möglichkeit gegeben, den Beschluss zu konkretisieren.
So äußerte der Klimaschutzmanager der Stadtverwaltung, Lorenz Heublein, in der Sitzung wie folgt: „insofern kann man sich ja darauf einigen, spätestens 2035 als anzustrebendes Ziel aufzunehmen“ (einsehbar im Gemeinderats-Podcast der Stadt, TOP 30-32, Teil 11, Minute 10:30). Dieser Vorschlag wurde vom OB kommentarlos übergangen, hätte aber doch zur Klarheit des Beschlusses beitragen können – auch auf Seiten der Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, die sich im Laufe der Sitzung zunehmend verwirrt zeigten. Das zeigt, dass der Oberbürgermeister nicht an einer Konkretisierung des Beschlusses interessiert war.
Die Vermutung wird auch dadurch bestärkt, dass er in der Sitzung gemeinsam mit 20 Stadträt*innen gegen einen Änderungsantrag des Jungen Forums Konstanz stimmte: Dieser hatte beinhaltet, in den Beschluss eine Härtefallregelung mitaufzunehmen: Konstanz solle sich das Ziel setzen, bis 2030 klimapositiv zu werden, allerdings mit der Möglichkeit, dass einzelne Sektoren bei Schwierigkeiten erst 2035 klimapositiv werden müssten. Dieser Vorschlag wäre ein Kompromiss zwischen der Verwaltungsvorlage und dem Antrag der FGL, LLK und JFK gewesen und hätte im Gegensatz zum jetzt beschlossenen Antrag eine klare Zielsetzung enthalten. Insbesondere der OB, der sich in seinem Wahlkampfauftakt-Video über die Polarisierung und die Kompromisslosigkeit im Wahlkampf beschwert, hätte einen solchen Kompromiss also der Kampfabstimmung vorziehen können und müssen.
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Zusammengefasst: Es scheint, als hätte die Stadtverwaltung und besonders OB Burchardt während der Gemeinderatssitzung bewusst versucht, eine Einigung auf eine konkrete Klimazielsetzung zu vermeiden. Trotzdem kommuniziert der Oberbürgermeister nach außen, Konstanz hätte sich das Klimaziel 2035 bereits verbindlich gesetzt. Dies scheint angesichts des tatsächlichen Beschlusses mehr Wahlkampf und weniger ernsthafter Klimaschutz zu sein. Frida Mühlhoff sieht darin auch eine unehrliche Kommunikation gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern: „Obwohl man nur einen maximal unkonkreten Beschluss gefasst hat, wird hier versucht der Eindruck zu erwecken, man habe entschlossen gehandelt – wenn man schon eine Luftnummer als Ziel beschließt, die aus klimawissenschaftlicher Sicht völlig unzureichend ist, sollte man auch dazu stehen!“
Dazu passt auch, dass die Entscheidung über die endgültige Klimazielsetzung auf nächstes Jahr – nach der OB-Wahl! – vertagt wurde. „Das Verschieben von ernsthaftem Klimaschutz hat in Konstanz leider nicht erst seit der Ausrufung des Klimanotstandes System“, findet Jannis Krüßmann, „es ist doch ein Unding, dass die Verwaltung wieder erst auf Initiative von Fridays for Future aktiv geworden ist und das ifeu-Institut an Bord geholt hat – das wäre eigentlich schon vor über einem Jahr notwendig gewesen.“
Übrigens: Dass Konstanz bis 2030 klimapositiv werden muss, ist realistischerweise nicht verhandelbar, wenn wir unseren Beitrag dafür leisten wollen, die 1,5° Grenze einzuhalten. Dass wir diese Grenze unbedingt einhalten müssen, da die Folgen sonst ungleich schlimmer werden, ist spätestens seit dem Sonderbericht des IPCC von 2018 klar. Dass die Einhaltung von 1,5° weltweite Klimaneutralität bis spätestens 2030 bedeutet ergibt sich, wenn man das CO2-Budget für die Einhaltung der 1,5° Grenze aus dem IPCC von 2018 zugrunde legt und 100 Gigatonnen CO2 auf Grund des schneller tauenden Permafrosts abzieht (bei linearer Reduktion der Emissionen). Dieses Model ist sehr ungerecht, da es die historischen Emissionen der Länder im globalen Norden und deren höheren CO2 Ausstoß nicht miteinbezieht und so die Ländern im globalen Süden benachteiligt. Würde man das CO2 Budget gerecht verteilen, müsste Deutschland und Konstanz sogar deutlich früher klimaneutral sein. Daher ist es sowohl aus klimawissenschaftlicher Sicht als auch wegen der Verantwortung gegenüber den Menschen im globalen Süden indiskutabel, dass Konstanz bis spätestens 2030 klimaneutral wird. Insofern ist „Klimaneutralität 2035“ keine verantwortbare Zielsetzung und dass man mit selbiger die 1,5 ° Grenze überschreitet, ist auch der Stadtverwaltung bewusst, da sie in ihrer Vorlage folgende Grafik abbildet:
Sowohl Fridays for Future als auch Linke-Liste-Stadtrat Simon Pschorr wiesen in der Sitzung darauf hin, dass obige Grafik, die die Verwaltung zur Begründung des Zieljahres 2035 nutzt, einen Absenkpfad zur Einhaltung der 1,75° Grenze zeigt, womit implizit Abstand von der überlebenswichtigen 1,5° Grenze genommen wird. Diese Information hatte die Verwaltung in der Vorstellung der Vorlage durch den Klimaschutzmanager Herrn Heublein allerdings wegfallen lassen und die Grafik gezeigt, ohne darauf hinzuweisen, dass dieser Absenkpfad für die Einhaltung von 1,75° und nicht 1,5° Grad Grenze sei. Damit wurde dem Gemeinderat eine Datengrundlage an die Hand gegeben, welche die Dringlichkeit schnellen Handelns kleiner erschienen ließ, als sie tatsächlich ist. Der ganze Artikel zur obigen Grafik ist hier zu finden: https://scilogs.spektrum.de/klimalounge/wie-viel-co2-kann-deutschland-noch-ausstossen/.
MM/red (Foto und Grafik: Fridays for Future Konstanz)
Ich muss mir dazu eine kleine Korrektur erlauben: In der entsprechenden Beschlussvorlage (2020-0585/1) steht schwarz auf weiß:
„Der Klimawissenschaftler Stephan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat daher dargestellt, wie eine
lineare Absenkung unserer Treibhausgasemissionen in Deutschland aussehen müsste, um mit 67 % Wahrscheinlichkeit unter 1,75 Grad Erwärmung zu bleiben:“
Danach folgt die angesprochene Grafik. Alle Informationen waren also transparent und die Schwierigkeiten, angesichts der weltweiten Entwicklungen 1,5 Grad noch zu erreichen, wurden mündlich dargelegt.
Eine andere Frage ist übrigens, inwieweit man überhaupt von einer linearen Absenkung ausgehen kann – eigentlich gibt es kaum Prozesse die linear ablaufen und ein letzter Teil der Reduktionen dürfte rein lokal betrachtet schwierig bis unmöglich zu erreichen sein. Auf Null kann man daher letztlich nur kommen, wenn man über das Stadtgebiet hinaus in einem gewissen Rahmen Maßnahmen zur Bindung von CO2 „anrechnet“.