Wertschätzung ist mehr als billiger Applaus
Als HeldInnen hat die Politik sie in der Corona-Krise gefeiert, kaum ein Medium, das nicht überschwänglich von der systemrelevanten Arbeit berichtete, die von ihnen geleistet wird. Doch davon ist in der Tarifrunde, die für die rund 2,3 Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst am 1. September begonnen hat, nun nicht mehr die Rede. Die Gewerkschaftsforderung nach 4,8 Prozent mehr Lohn haben die Arbeitgeber als „völlig überzogen“ zurückgewiesen. Bahnt sich ein erster Großkonflikt an, wer die Kosten der Krise schultern soll? In Konstanz machten vergangenen Dienstag schon mal Beschäftigte deutlich, dass sie sich nicht mit billigem Applaus abspeisen lassen wollen.
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Um die 30 ArbeiterInnen und Angestellte aus Dienststellen in Konstanz und der näheren Umgebung hatten sich kurz vor 20 Uhr zu einer Kundgebung auf der Marktstätte eingefunden, um den Tarifforderungen von Verdi Nachdruck zu verleihen. Ursula Hansel, stellvertretende Personalratsvorsitzende der Stadt Singen, und Johannes Hänssler, Betriebsrat im Klinikum Konstanz, unterstrichen die Berechtigung der Gewerkschaftsforderungen. Verdi verlangt für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen, deren Einkommen seit Jahren der allgemeinen Entwicklung hinterherhinken, 4,8 Prozent mehr Lohn, mindestens jedoch ein Plus von 150 Euro monatlich. Für die in der Corona-Krise besonders geforderten Pflegekräfte will die Gewerkschaft gesonderte Verhandlungen. Zudem soll 30 Jahre nach der „Wende“ endlich die Arbeitszeit im Osten an die im Westen angeglichen werden.
Der Öffentliche Dienst habe sich in der aktuellen Krise als „leuchtendes Beispiel für Kollegialität, Solidarität und Loyalität gezeigt“, sagt Reiner Geis, Verdi-Geschäftsführer für Südbaden und den Schwarzwald. Ohne das herausragende Engagement der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst „wäre das gesamte Land nicht so glimpflich durch die Pandemie gekommen“. Die ablehnende Reaktion der Arbeitgeberverbände bezeichnet Geis ebenfalls als leuchtendes Beispiel: für die „fehlende Bereitschaft, diese Leistung auch tatsächlich zu honorieren“. Gegenüber seemoz kritisiert auch der Konstanzer Verdi-Gewerkschaftssekretär Thomas Weisz, „am Anfang der Pandemie wurde für die Beschäftigten in den Krankenhäusern, der Ver- und Entsorgung, dem Öffentlichen Nahverkehr und allen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst noch geklatscht.“ Vom Klatschen indes können niemand seine Miete bezahlen. „Während der Pandemie an vorderster Front, beim Verteilen der Gelder dann plötzlich ganz weit hinten.“ Dagegen gelte es jetzt, „Gesicht zu zeigen“, zeigt sich Weisz kämpferisch.
Die Gewerkschafter spielen auf die Haltung der öffentlichen Arbeitgeber an – vertreten durch die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und das Innenministerium –, die die Forderungen, von ihnen auf ein Volumen von 5,7 Milliarden Euro beziffert, umgehend als „unbezahlbar“ bezeichneten. Die öffentlichen Kassen seien leer, klagen sie. Den knauserigen staatlichen Dienstherren halten KritikerInnen entgegen, dass noch im Juni aus diesen Kassen mal eben 130 Milliarden Euro Corona-Hilfe für die Unternehmen gezahlt worden sind. 20 Milliarden Euro habe sich die Bundesregierung allein die zeitweise Absenkung der Mehrwertsteuer kosten lassen, um (mäßig erfolgreich) die Konjunktur anzukurbeln.
Die nächsten Verhandlungsrunden sind für den 19. und 20. September geplant. Schon jetzt deutet sich ein harter Konflikt an, dessen Ausgang über den öffentlichen Sektor hinaus Bedeutung haben wird. Denn es geht auch um die Frage, wer für die Kosten der Krise zahlen soll.
Kommentar: Gute Löhne im Öffentlichen Dienst nützen allen
Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben mehr verdient als billigen Applaus. In der Corona-Krise riskierten sie vielfach ihre Gesundheit, um unser Leben am Laufen zu halten. Jetzt ist es Zeit zu zeigen, dass Wertschätzung mehr ist als heiße Luft. Schon vor Corona waren gute Arbeit, ausreichend Lohn und genügend Personal im öffentlichen Dienst oft Mangelware. Dazu kommt: Gute Löhne für das Personal in Krankenhäusern, bei der Müllabfuhr oder in den Rathäusern kommen nicht nur den unmittelbar Betroffenen zugute, sie sind auch Voraussetzung für bessere Dienstleistungen und nützen damit uns allen. Nicht zuletzt generieren sie mehr Nachfrage und kurbeln so auch die Konjunktur an.
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Lohnverzicht hilft jedenfalls nicht, sondern verschärft und verlängert die Krise. Eine bessere Zukunft für alle wird nicht auf Verzicht und Angst gebaut, sie ist nur zu haben, wenn wir Reichtum, Aufgaben, Arbeit und Zeit gerechter verteilen. Die Schere zwischen arm und reich ist unverändert groß, so manche sind in der Krise gar reicher geworden. Die in den vergangenen Jahrzehnten systematisch entlasteten Konzerne und Superreichen werden nicht freiwillig einen angemessenen Beitrag leisten. Für die Bewältigung der Corona-Krise sollten wir deshalb über Maßnahmen wie eine – einmalig zu zahlende – Abgabe auf große Vermögen nachdenken. Von wegen leere Kassen und so.
jüg (Foto: P. Wuhrer)
Die nächste Krise kommt bestimmt und die „Systemrelevanten“ werden wieder gebraucht. Wer seinen Beruf gerade im Pflegebereich ernst nimmt, ist für die Menschen da und wird sie nicht im Stich lassen. Auch das wird von „oben“ ausgenutzt. Täglich wurden die Untermüdlichen in den ersten Monaten in sämtlichen Medien gelobt und getätschelt. Zurückgegen wurde: Nix! Da unterstützt man doch lieber die großen Unternehmen, die sind wirtschaftlich wichtiger! Sind sie das?
Bevor jemand auf den Gedanken kommt, den Beschäftigten Maßlosigkeit zu unterstellen empfehle ich einen kurzen Faktencheck. Pflegekräfte, Reinigungs- oder Küchenpersonal auch PaketzustellerInnen kämpfen schon recht frühzeitig mit deutlichen Rückenproblemen. Der Blick auf Preislisten und Zuzahlungen der ChiropraktikerInnen oder MasseurInnen ließe darüber nachdenken wie es um Zuzahlungen bei Heil- oder Kurbehandlungen sowie Vorruhestandsregelungen bei Berufsunfähigkeit bestellt ist, denn auch dafür müssen die ArbeitnehmerInnen selbst „bluten“.
Der Lernprozess für das Volk war die politische Botschaft in den vergangenen Monaten: „Wir brauchen euch VerbraucherInnen eigentlich nicht, es gibt den Weg der Direkthilfen für Autobauer, Luftlinien, Urlaubsveranstalter oder Pharmaunternehmer.“
Wenn Klub- oder GaststättenbetreiberInnen ihre Miet- und Nebenkosten zur Erstattung an den Staat weiterreichen und maulen, dass über Hartz IV hinaus für den persönlichen Bedarf nicht mehr drin ist, als eine üppige Miet- und Nebenkostenregelung für das private Loft (eine Klubbetreiberin sprach von 15.000 Euro Monatsmiete für den Klub in einer Kultursendung), dann befindet sich Deutschland, wenn man es mit der Titanic vergleicht bereits in deutlicher Schräglage. Also Oberbürgermeister und Landräte, lasst nicht nur im Städte- und Gemeindebund den Ruf laut ertönen: “ Sie sind mehr Wert.“ Vergesst aber auch die Beschäftigten in kirchlichen oder karikativen Einrichtungen nicht. Auch sie sind deutlich mehr Wert.