Strobl, Thomas und die „Alias-Identität“

War es das? Im nun schon Jahre andauernden Kampf um das Bleiben von Harrison Chukwu hat sich der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) hinter die im Juni getroffene Entscheidung der Härtefallkommission gestellt, den seit zehn Jahren in Konstanz lebenden Nigerianer aus dem Land zu jagen. Der Hardliner reagierte auf einen an ihn gerichteten Brief der Kreisgrünen, die an den Koalitionspartner appellierten, dem Härtefallantrag zu entsprechen. Strobl ließ das kalt: Er wirft dem Asylsuchenden vor, er habe seine Identität verschleiert und eine „nachhaltige Verweigerungshaltung“ an den Tag gelegt. Das muss allen, die Harrison kennen, wie Hohn in den Ohren klingen.

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Die Strobl-Äußerungen, die Harrisons Ausschaffung nun besiegeln könnten, dürften in der Stadt Entsetzen und Empörung hervorrufen. Denn Harrison Chukwu ist längst Konstanzer, der sich in seiner neuen Heimat – nicht nur sprachlich – bestens eingelebt hat, Arbeit und Wohnung ebenso vorweisen kann wie einen großen Bekannten- und Freundeskreis, und sich durch ehrenamtliches Engagement etwa im Café Mondial überdies um den gesellschaftlichen Zusammenhalt verdient macht. Nicht verwunderlich deshalb, dass im Juli 2019 mehr als 2300 KonstanzerInnen an den Petitionsausschuss des Landtags appellierten, dem nur geduldeten und damit mit Arbeitsverbot belegten Asylsuchenden den Beginn einer Ausbildung zu ermöglichen. Nachdem die Behörden eine daraufhin erteilte Zusage nach zwei Wochen wieder kassiert hatten, blieben dem 39-Jährigen und seinem Unterstützungskreis nur noch der Anruf der Härtefallkommission des Innenministeriums. Im Juni 2020 schließlich senkte auch die den Daumen.

Doch aufgeben wollten Harrisons UnterstützerInnen nicht. Innerhalb kurzer Zeit bekundeten erneut mehr als 1500 Leute per Unterschrift Solidarität mit ihrem Mitbürger, der seit Dezember 2019 immerhin in einem Konstanzer Restaurant arbeiten kann. Darunter auch viel Lokalprominenz: Oberbürgermeister Burchardt (CDU) und Sozialdezernent Osner (SPD) machten sich ebenso für Harrison stark wie zehn Uni-ProfessorInnen, die beiden Landtagsabgeordneten Erikli (Grüne) und Keck (FDP), überdies sechs von sieben Gemeinderatsfraktionen sowie über 30 Organisationen, Unternehmen, Vereine und Initiativen.

Harrison Chukwu wuchs in Nigeria als eines von sechs Kindern einer christlichen Familie in einem Dorf der Provinz Biafra auf. Nach der Schule erlernte er den Beruf des Mechanikers für Elektrogeneratoren und gründete später seine eigene Firma. Spannungen und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen der islamischen und der christlichen Bevölkerung Nigerias prägen insbesondere die Region Biafra seit Jahrzehnten. Die christliche Bevölkerung in diesem Gebiet lebt in einer ständigen existentiellen Bedrohung. Überfälle, Massenentführungen und Massaker musste auch Harrison immer wieder miterleben. Dabei wurde er auch unmittelbarer Zeuge der Ermordung seines jüngeren Bruders und seines Arbeitgebers. Diese Erfahrungen haben ihn schwer traumatisiert und waren 2010 maßgeblicher Grund für seine Flucht. Sein Asylantrag wurde jedoch abgelehnt.

Mit der Bitte, den Härtefall anzuerkennen, wandte sich am 12. Juni schließlich der Vorstand der Kreisgrünen direkt an den Innenminister. Das schien keine schlechte Idee, immerhin regieren in Stuttgart die Grünen zusammen mit der CDU und stellen den Ministerpräsidenten. In dem auch von der grünen Jugend, der Freien Grünen Liste und dem OB-Kandidaten Luigi Pantisano mitunterzeichneten Brief verwiesen sie unter anderem auf eine von der grün-schwarzen Koalition mitgetragene Bundesratsinitiative, „gut integrierten Geflüchteten eine Bleibeperspektive“ zu ermöglichen. Doch beim Koalitionskollegen bissen sie auf Granit. Strobls Auslassungen sind dabei an Zynismus teilweise kaum zu überbieten. So hält er es für „nicht überraschend, dass Herr Chukwu aufgrund seiner fast zehnjährigen – im Wesentlichen auf seiner Verweigerungshaltung beruhenden Aufenthaltsdauer – über soziale Bindungen in Konstanz verfügt und von seinem Umfeld offenbar auch Anerkennung erfährt“. Die Kern-Behauptung indes, mit der Strobl die Ablehnung des Härtefallantrags rechtfertigt: Harrison habe sein Asylverfahren „unter einer Alias-Personalie“ betrieben, sprich vorsätzlich falsche Angaben zu seiner Identität gemacht. Der Hilfesuchende soll so offenbar zum kriminellen Betrüger gestempelt werden.

Eine Behauptung, die im UnterstützerInnenkreis nur ungläubiges Kopfschütteln auslöste, denn Harrison Chukwu, wie der grüne Kreisvorstand daraufhin in einem zweiten Schreiben an den Innenminister betonte, habe sich „nie einer Alias-Identität bedient“, was auch amtliche Dokumente belegten. „Herr Chukwu hatte bereits bei seiner Einweisung in die Aufnahmeeinrichtung Karlsruhe am 23.11.2010 seinen richtigen Namen mit Chukwu Harrison Ejike, geboren am 12.12.1980, den Daten seines Originalpasses, welchen er bei seiner Einreise vorgelegt hat, angegeben. Auch im Asylantrag vom 02.02.2011 selbst ist von Herrn Chukwu sein richtiger Name mit Chukwu Harrison Ejike, geboren am 12.12.1980, angegeben worden. Beide Dokumente des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge liegen im Original vor.“

Erst aufgrund des Nachhakens kam heraus, dass Strobl dem Asylsuchenden eine Verwechslung von Vor- und Familiennamen zum Vorwurf macht. Als er im Jahr 2010 seinen Asylantrag stellte, hatte der damals des Deutschen noch nicht mächtige Geflüchtete den Namen „Chukwu Harrisson Eijke“ eingetragen. So begründet jedenfalls ein Staatssekretär Klenk in seiner Antwort auf das briefliche Nachfassen der Kreisgrünen den von Strobl in die Welt gesetzten Verschleierungsvorwurf. Klenk muss zugleich allerdings eingestehen, dass die Behörden bereits im Jahr 2011 wussten, dass lediglich eine Vertauschung der Vor- und des Familiennamens vorlag.

In seiner Medienmitteilung zu der Korrespondenz mit dem Innenministerium weist der grüne Kreisvorstand diese Aussagen Strobls als „irreführend“ zurück. Zutreffender wäre, sie als Lügen zu bezeichnen. Dem Hardliner ist augenscheinlich kein Mittel zu schäbig, um seine rigide Abschiebungspolitik durchzusetzen. Für die ablehnende Entscheide von Petitionsausschuss und Härtefallkommission scheint jedenfalls gerade der Vorwurf der „Alias-Identität“ eine gewichtige Rolle gespielt zu haben, wie der grüne Kreisvorstand von einem Mitglied des Petitionsausschusses erfahren hat.

Zu Recht fordern deshalb jetzt die Kreisgrünen, „alle Mitglieder des Petitionsausschusses als auch alle Mitglieder der Härtefallkommission über die Details der ‚Alias-Identität'“ zu informieren, um das Verfahren womöglich neu aufzurollen. Ob das für den Konstanzer Bürger Chukwu, Harrisson Ejike, dann noch von Belang ist, bleibt offen. Um einer Abschiebung zuvor zu kommen, die ihm spätestens Ende November droht, zieht er inzwischen eine „freiwillige“ Ausreise in Betracht – in ein Land, in dem ihm große Gefahr für Leib und Leben droht.

jüg/MM (Fotos: Olaf Kosinsky / CC BY-SA 3.0 DE; Café Mondial)

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