SPD und Grüne können nur bluffen. Mehr nicht.
Nach der qualvollen Wahl des Merkel-Kandidaten Christian Wulff (CDU) zum Bundespräsidenten sieht die öffentliche Meinung die Regierung von Angela Merkel näher am Abgrund, und die Opposition steht gut da. Eine nähere Betrachtung zeigt: Es ist genau umgekehrt. Die Bundespräsidentenwahl hat die Regierung nicht geschwächt.
Zunächst zum Regierungslager. Was haben die Medien nicht hyperventiliert – sie sahen Kanzlerdämmerung, Desaster, Abgründe. Ein dritter Wahlgang und mindestens die Regierung, wenn nicht gar das halbe Vaterland, schienen unterzugehen (als wären nicht zwei frühere Bundespräsidenten erst im dritten Wahlgang gewählt worden). Nach seriösen Meinungsumfragen gehen inzwischen zwei Drittel der Bevölkerung davon aus, dass diese schwarz-gelbe Regierung bald aufgibt; dabei regiert erst seit einem dreiviertel Jahr und hat eine sehr deutliche Mehrheit im Bundestag. Soweit die öffentliche Meinung.
Business as usual
Und was tut die Regierung? Sie sucht einerseits immer noch nach den AbweichlerInnen: Wer hat Wulff nicht gewählt und warum? Waren es Stimmen gegen Merkel, gegen Wulff oder – aus dem FDP-Lager kommend – gegen FDP-Chef und Vizekanzler Guido Westerwelle? Alles ist möglich. Andererseits versucht sich die Koalition in «business as usual» und geht ihren Konflikten nach. Steuersenkungen ja oder nein, Steuererhöhungen ja oder nein, Kopfpauschale im Gesundheitssystem ja oder nein, Berufsarmee ja oder nein? Es gibt erste Anzeichen, als strenge sich die Regierung unter dem Eindruck der Wahlblamage an, zügiger als bisher Kompromisse zu finden: So einigte sich die Koalition zwei Tage nach der Wahl auf eine Erhöhung der Beiträge zur Gesundheitsversorgung, um die Defizite der Krankenkassen zu mindern. Der Protest, der sofort anhob, regte sich zu Recht – und doch darf man zwei zentrale Punkte nicht übersehen: Erstens ist mit dieser Entscheidung die von der FDP favorisierte einkommensunabhängige Kopfpauschale à la Schweiz so gut wie vom Tisch. Und zweitens werden die Beiträge dieses Mal für die Beschäftigten und die Unternehmen gleichermassen erhöht; bisher wollte die Regierung Merkel einseitig die Firmen mit Beitragserhöhungen verschonen.
Die Fehleinschätzung der Medien
Ein bisschen mehr Misstrauen und ein bisschen mehr Entscheidungsdruck – mehr ist da nicht. Die weit verbreitete These von der Regierung am Abgrund klingt entsprechend absurd. Die Kanzlerin hat ihren Kandidaten in einer heiklen Situation durchgesetzt, im letzten Wahlgang sogar mit einer absoluten Mehrheit der Stimmen. Und der neue Präsident wird – jedenfalls laut Umfragen – bereits auf Händen getragen. Es sei gut gewesen, endlich einen Jüngeren zu wählen, sagen annähernd achtzig Prozent der Bevölkerung.
Anders das Bild von der Opposition. Die stand – so sahen es vor allem die Medien – vor der Wahl gut da und danach auch. Daran stimmt, dass es SPD und Grünen gelungen war, die Kanzlerin mit ihrem Kandidaten Joachim Gauck in Bedrängnis zu bringen. Die Medien halfen in einer Einheitsfront mit, den DDR-Bürgerrechtler Gauck zu einem Messias hochzujubeln und den Eindruck zu erzeugen, die Bevölkerung sähe dies auch so (nach der Wahl vertraten jedoch nur noch 35 Prozent die Meinung, Gauck wäre der Bessere gewesen). Aber warum haben Grüne und SPD die Kanzlerin in Verlegenheit bringen können? Weil Gauck im Kern ein Konservativer reinsten Wassers ist. Das ist in etwa so, als hätten SPD und Grüne das SPD-Urgestein Franz Müntefering aufgestellt und die Union dagegen den politisch linksorientierten Schriftsteller Günter Grass ins Feld geführt, allein um im Lager der anderen Verwirrung zu stiften. Gauck passt zu denen, die ihn aufgestellt haben, wie die Faust aufs Auge: Die ungerechte Agenda 2010 findet er uneingeschränkt gut und den Krieg in Afghanistan verteidigenswert. Angela Merkel hätte mit einem Bundespräsidenten Gauck keine Probleme gehabt. SPD und Grüne haben mit ihrem Vorgehen bewiesen, dass sie bluffen können. Mehr aber nicht.
Die Linke als Prügelknabe
Und was tun diese beiden Parteien nun, nach der Wahl? Sie prügeln weiter auf die dritte Oppositionspartei ein. Die Linke habe den Bürgerrechtler nur nicht gewählt, weil sie immer noch an der diktatorischen DDR hänge. Und: Weil Die Linke sich so verhielt, habe sie eine Niederlage für Merkel verhindert. Ach. Wäre Merkel etwa zurückgetreten und hätte sie Neuwahlen ausschreiben lassen, trotz ihrer komfortablen Mehrheit? Ein geradezu absurder Gedanke. So lange Schwarz-gelb über eine Mehrheit im Bundestag verfügt, hat die Kanzlerin nicht nur das Recht, sondern von der Verfassung her auch die Pflicht zu regieren.
So gebärden sich die SPD und die Grünen als gedankenflache SpielerInnen, die offensichtlich das Vorhaben noch nicht aufgegeben haben, die Linke kleinzumachen statt mit ihr zu kooperieren. Nach dieser Operation von SPD-Chef Sigmar Gabriel und dem grünen Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin ist die Opposition tiefer gespalten als zuvor. Und diese Spaltung ist der stärkste Pfeiler im Machtgebäude von Angela Merkel.
Autor: Wolfgang Storz