Haben Fasnachter und Polizisten nicht richtig hingeschaut?

20 000 Zuschauer beim sonntäglichen Fasnachtsumzug in Konstanz – und nur einer hat etwas gesehen. Nennen wir den aufmerksamen Filmer P.H., dem wir Foto, Filmausschnitt und Informationen verdanken. Doch die Organisatoren von der Blätzlebuebe-Zunft sowie die wohl 100 Polizisten, die zivil oder uniformiert Streife liefen, haben wohl nicht richtig hingeschaut. Die Polizeileitung wurde offensichtlich auch überrascht und sucht jetzt Zeugen – die Staatsanwaltschaft ist eingeschaltet.

Wohl ein Dutzend forscher Neonazis der Gruppe „Freie Kräfte Hegau Bodensee“ beteiligten sich – schwarz gekleidet und mit weißen Theatermasken – am diesjährigen Faschingsumzug in der Konstanzer Innenstadt (s. Foto). Sie führten ein Transparent mit der Aufschrift „Narri Narro – Der Untergang naht, seid ihr froh ?“ und den Webadressen „www.werde-unsterblich.info“, sowie „www.fk-hb.net“ mit. Zudem wurden nach eigenen Angaben Süßigkeiten an Kinder verschenkt und 10 000 Wurfzettel mit Begriffen wie„Heimat, Volk, Leben, Arbeit oder Zukunft“ und der Webadresse fk-hb.net an die ZuschauerInnen verteilt.

Dazu nochmals P.H. „Wir haben gesehen, was Wegschauen in Sachsen und Thüringen gebracht hat. Wenn es jetzt schon so weit ist, dass diese braunen Rattenfänger tatsächlich ganz öffentlich und ungestört mitten im größten Fasnetumzug am See herumlaufen können, haben wir die Zivilcourage wirklich verpennt.“

Nazi-Video abgekupfert

Die Naivität mancher Zeitgenossen kennt offenkundig keine Grenze. Auf dem Konstanzer Blog see-online zum Beispiel wird ein Bericht über den Nazi-Auftritt illustriert mit einem Video, das ungeniert und unkommentiert von der Homepage „Freie Kräfte Hegau Bodensee“ abgekupfert wurde. Im Abspann findet man dann ein Sammelsurium rechter Filme zur freien Auswahl: So viel Werbung hatten die „Freien Kräfte“ noch nie – da fallen dann die rechtslastigen Kommentare, die ebenfalls ungeprüft (?) auf dem Blog veröffentlicht werden, schon kaum mehr ins Gewicht.

Kritik müssen sich auch die veranstaltenden Zünfte, deren Verantwortliche gestern – fasnachtsbedingt, geschenkt – nicht zu erreichen waren, gefallen lassen. Bisher war es Brauch, so auch Auskunft der Polizei, dass sich an der Lutherkirche freie Gruppen neben den Zünften in den Zug einreihen konnten. Wenn aber maskierte Neo-Nazis diese Tradition missbrauchen und die Verantwortlichen der Zünfte sie gewähren lassen, sollte schleunigst über Neuerungen in diesem Brauchtum nachgedacht werden.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Das sieht auch Joachim Felgenhauer, Revierleiter der Konstanzer Polizei, so: Er war selber im Zug mitgelaufen und hatte später als Zuschauer den Umzug beobachtet, „aber schon am Obermarkt war von Nazis nichts mehr zu sehen“. Dennoch hat er Staatsschutz und Staatsanwaltschaft eingeschaltet, die nun ermitteln. „Wir suchen dringend noch Zeugen“. Denn außer von P.H. und der „Emanzipatorische Gruppe Konstanz“ gibt es bislang keine Belege für die Nazi-Aktion.

Die „Emanzipatorische Gruppe Konstanz“, eine Antifa-Gruppierung, die sich aus „Falken“, „SDS“ und anderen linken Jugendgruppen zusammensetzt, weist noch auf einen anderen Zusammenhang hin: „Bei der Aktion handelt es sich um eine neuere Aktionsform der Neonazis, die ursprünglich von der Neonazigruppe „Spreelichter“ aus Südbrandenburg benutzt wurde. Bei den „Die Unsterblichen“ genannten Aktionen treffen sich Neonazis heimlich und maskiert, um dann mit einem Transparent ohne Polizeibegleitung und Gegenprotest durch die Ortschaften marschieren zu können… Inhaltlich bezieht sich die Aktion laut der Website der Freien Kräfte Hegau Bodensee auf eine angebliche Versklavung des „deutschen Volkes“ durch „willenlose Sklaven und Marionetten des globalen Kapitals“. Die Ähnlichkeit zum antisemitischen Bild der jüdischen Weltverschwörung, welche die deutschen Politiker kontrollieren würde, um mit ihrer Hilfe das deutsche Volk zu versklaven, ist bewusst gewählt. Neonazis können sich keine offenen antisemitischen Aussagen leisten, da sie sonst Gefahr laufen, rechtlich belangt zu werden.“

Die Neonazigruppe „Freie Kräfte Hegau Bodensee“ kündigt auf ihrer Homepage zudem weitere Aktionen an. So wollen sie eine für den 16.03 geplante und von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis organisierte Demonstration gegen rechte Gewalt „sabotieren“. Eine Drohung, die auch nach Ansicht der Konstanzer Polizei ernst zu nehmen ist.

Autor: hpk