Die Party ist vorbei
Ja, „Die Party ist vorbei“, so sagte neulich ein Schriftsteller im Deutschlandfunk in Bezug auf die Pandemie. Und ich füge hinzu: unsere Party ist vorbei, denn der globale Süden war ja gar nicht eingeladen, nie. – Ein Essay von Marianne Bäumler.
Das Corona-Virus, es ist über uns gekommen, allüberall und monströs, und obwohl ich nicht an göttliche Strafen im biblischen Ausmaß glaube – es hat etwas von einer überirdischen Macht, die sich das ganze Verderben, eine unglaublich ignorante Maßlosigkeit im hastigen Getriebe nun lange genug und mit Vorzeichen mahnend angesehen hat …
Die totalitäre Entgrenzung des Turbokapitalismus basiert auf einer systemimmanenten Eigendynamik, deren Beschleunigung läuft und läuft, und rast und rast, durchdringt als Entfremdung – siehe Marx – alle gesellschaftlichen Bereiche, wird zu einer Art zweiten Natur, die erstere geht sowieso kaputt. Alles, was irgendwie technisch und digital machbar ist, wird gemacht, man kann ja gar nicht anders, Wachstum im Sinn von Stückzahl – viel viel – ist einzig relevant im globalen Wettbewerb, man will ja gewinnen, die Fixierung auf Konkurrenz – the biggest, the greatest – ist der Botenstoff, gekoppelt ans „Gebrauchswertversprechen“.
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Im brutalen Wettstreit der Aufmerksamkeitsindustrie lassen sich die Anbieter algorithmisch allerhand einfallen: einerseits – im Sinn von „Brot und Spiele“ – das uns ja schon sattsam bekannte „junk food and flatrate“, ob nun analog oder virtuell – andererseits, um die extrem frustrierten Endverbraucher-Kunden zu calmieren, indem man sie aufpeitscht, für Sündenböcke sorgt, sie ablenkt von den Ursachen ihres Zukurzgekommen-Seins – bietet man mit reißerischen Appellen an niederste Instinkte eine Art Triebabfuhr an. Sehr lukrativ für sämtliche Anbieter im weltweiten Netz, denn es zählen in zig Millionen die Klicks des Ekelhaften, des Hässlichen, des Angsteinjagenden, des Monströsen, und die schrillen Hasskommentare, eine endlose Geldquelle.
Die fanatischen Scharfmacher*innen und andere vornehmlich ich-besoffene Herren können das blendend! Das Außen-Vor-Sein der zynisch so genannten „bildungsfernen Schichten“, die weder ein fürs Zivilleben brauchbares Wissen über reale Machtstrukturen erhalten, noch sich an einem kreativen Zugang zur Kultur – zur Vielfalt unserer Sprache, zur Ausdrucksmöglichkeit in der Kunst – erfreuen können, sie können die uns alle umgebende Entgrenzung erst recht nicht begreifen.
Umso naheliegender ist die medial aufgeladene Zuflucht in menschenfeindliche Erklärungsmuster: „die Flut der Asylanten“ wird zum bedrohlichen Symbol eines grenzenlosen Ausgeliefertseins an abgehoben erscheinende Politiker.
Schon jedoch deren erlernte sprachliche Fähigkeiten, deren Möglichkeiten, wesentliche Zusammenhänge zu erkennen, zu beschreiben, zu begreifen – genau diese privilegierten Zugänge derer „da Oben“ hat etwas im Wortsinn „Exklusives“, denn in der Tat: hier sind jene Bürger*innen fatal ausgeschlossen, denen es vor allem an wahrer Selbstachtung leider sehr mangelt, denn diese kommt in prekären Familien mangels anerkennender Perspektiven objektiv weniger vor.
Die kaum erträgliche Abwesenheit von sinnvollen humanistischen Strukturen im tagtäglichen Umgang, die für die Individuen, die keinen fairen Zugang haben zum Weltgeschehen – das ist ja graduell sehr unterschiedlich, je nachdem, in welcher Weltgegend die jeweiligen Verlierer sich aufhalten müssen – , die nicht durch gute Arbeit und nicht gestärkt durch gesunde Nahrung und nicht sicher in wärmenden vier Wänden sich irgendwie mühsam durchschlagen müssen, die sich ohnmächtig fühlen, und schon gar nicht ernst genommen – all diesen traurigen Implikationen gegenüber – da gibt man sich gerne ahnungslos „in den höheren Kreisen“.
Nun sind die zahlreichen Verlierer*innen jedoch nicht nur die armen Opfer materieller Not in körperlicher Hinsicht, nein, auch charakterlich deformieren sie sich durch kaum überbrückbare gesellschaftliche Abstände, werden gemein und aggressiv, schwelgen sie missgünstig in kollektiver Trunkenheit im Ressentiment ihrer groben Feindbilder. Sie betäuben sich, verrohen und / oder werden antriebsschwach. Auch das sind Folgen von Ungerechtigkeit. Die „Angebotsdrogen“ tun ein Übriges in doppelter Funktion: sie steigern die Gewinnspannen der Konzernherren, und auch die billigen „Schnäppchen“, sie machen träge und sie stopfen den potentiell Aufbegehrenden den trostlosen Mund.
So, und um den „Lärm der Ungewollten“ möglichst nicht wahrnehmen zu müssen, weil sowas ja nur die geschäftstüchtigen Abläufe stört, praktizieren die Gewinner ein schamloses Wegsehen. Umso reibungsloser setzt sich eine toxische Profitgier durch, wie sie dem kapitalistischen Weltwirtschaftssystem eigen ist.
Was ist das bloß für eine zerstörerische Dynamik, wie potenzieren sich die Bedrohungen auf so viele Erdenbürger*innen, Tag für Tag, Nacht für Nacht, ein völlig sinnloses Überfordern von zivilen Menschen durch so genannte Innovationen, von supertödlichen Waffen, von elektronischem Schnickschnack, von krankmachenden Fertiggerichten, von giftigen Textilien.
Die Frage bleibt: Was brauchen wir wirklich?
Inwieweit billigen Politiker*innen das schleichende Elend, nehmen noch dazu den Untergang unseres Klimas rabiat in Kauf, indem sie für dieses ungesunde Wirtschaftssystem die strukturellen Rahmenbedingungen liefern und Zugänge für eine aufgeklärte Partizipation der Bürger*innen blockieren, und: wie genau kriegen sie das hin?
Eine lukrative Maßnahme bietet die routinierte Unterhaltungsindustrie fliessbandmäßig an: u. a. das öffentlich-rechtlich protegierte Fernsehen mit viel Seichtheit zum Vorabend und in der Primetime. Unsäglich dümmliche Drehbücher lassen die Programmchefs auch von ARD und ZDF zu jeder Menge immer brutaleren Filmen realisieren. Bitte, wo bleibt da die Verantwortung der öffentlichen Aufsichts-Gremien?
Na klar, die klug aufklärenden Dokumentarfilme auf 3sat, Phoenix und arte, die beanspruchen meist ein Vorwissen, worüber die „Bildungsfernen“ eben nicht verfügen, Sorry …,
und „Die Story“ im Ersten und Leschs Kosmos im ZDF z.B., die wirklich kostbaren Beiträge – sie kommen so spät, da liegen vor allem die systemrelevant erschöpften Werktätigen und die übermüdeten Pfleger*innen längst im Bett, seltsam ungetröstet vom knallbunt lähmenden Einerlei in der Glotze.
Heutzutage überschwemmen dazu die so genannten social media – Waren die Aufmerksamkeits-Märkte, und wer kann oder will da ordnungspolitisch noch kontrollierend durchblicken, geschweige denn durchgreifen, so was von too much, too many … also auch hier das unbegreifbare Phänomen der Entgrenzung.
Aufgrund solcher schleichend totalitärer Überforderungen – für die Seelen, für das Denken, für die körperliche Gesundheit – fällt es den antidemokratischen Verführern verdammt leicht, irritierbare Bürger*innen durch vermeintlich einfache Lösungen und gnadenlose Hetze anzustacheln, und so auf die schmale Spur einer fanatischen Gefolgschaft einzupeilen, nach dem Motto: „Hier ist Ordnung!“
Marianne Bäumler (Bild: Michal Jarmoluk auf Pixabay)