Lieber Herr Nabholz,
aus meiner Sicht sind Sie, resp. die Vereinigten Konstanzer Narrengesellschaften als Organisator des Fasnachtsumzuges, zum Opfer dieser maskierten Neonazis geworden. Weil der Umzug instrumentalisiert und dadurch zum Aufmarschplatz jener wurde, die ihn für den Aufruf zu blindwütigem Fremdenhass missbrauchen konnten.
Die Frage der Linken Liste Konstanz, wie es dazu kommen konnte, dass bei mehreren tausend Augenzeugen „niemand protestierte, als sich eine Gruppe maskierter Neonazis vergangenes Wochenende in den großen Fasnachtsumzug einreihte, ein Transparent entrollte und rechtsextremistisches Gedankengut unters närrische Volk brachte“, und wie es weiterhin dazu kommen konnte, „dass die Rechtsradikalen unbemerkt und offensichtlich ungehindert für sich Werbung machen konnten“, lässt sich leicht beantworten – weswegen ich diese Frage persönlich auch für wenig zielführend halte: Wir alle sind mit dieser neuen Organisationsform der Neonazis (noch?) nicht vertraut. Kannten bisher auch deren krude Web-Auftritte nicht.
Ich zweifle nicht einen Moment an Ihrer Aussage, dass die Narrenvereine sehr viel Zeit und auch Geld investieren, um die Fasnacht nicht nur politisch sauber zu halten. Ich weiß auch, dass es an anderen Orten viel größere Probleme gibt. Wie wenig aber Konstanz eine „Insel der Glückseligen“ ist, in denen die Bürger die Augen vor dem anwachsenden Rechtsextremismus verschließen können, hat zuletzt diese Attacke der „Freien Kräfte Hegau Bodensee“ gezeigt.
Man kann darüber streiten, und sollte es sogar, ob es richtig ist, die Webadressen der Nazis zu veröffentlichen. Aber sachlich, und ohne Unterstellungen. Ich persönlich begrüße außerordentlich, dass die Macher von seemoz sich für die Veröffentlichung entschieden haben (natürlich ohne Verlinkung!). Nur so – und nicht durch Wegsehen – können wir alle uns darüber informieren, was wirklich hinter dem Auftreten dieser „Unsterblichen“ steckt. Welche fremdenfeindlichen und auf die Zerstörung der von ihnen so verhassten Demokratie ausgelegten Ziele sie vertreten und die Atmosphäre auf uns wirken lassen, die etwa ein nächtlicher „Fackelmarsch“ in Stolpen ausübt. Um zu verhindern, dass über kurz oder lang bei uns ähnliche Zustände herrschen.
Denn wir dürfen uns ja nichts vormachen: Keineswegs geht es bei dem Auftreten dieser Truppe lediglich um einen Verstoß gegen das Versammlungs- und Vermummungsverbot. Ich jedenfalls war sehr erstaunt darüber, dass die Staatsanwaltschaft Konstanz nicht auch wegen Volksverhetzung (§130 StGB) ermittelt. Jeder Smartphone-Besitzer konnte sich schließlich ad hoc – also noch direkt während des Umzugs – über deren rassistische Ansichten informieren. Was ja auch das definierte und auf deren Homepage veröffentlichte Ziel war.
Erst vor wenigen Tagen fand die Gedenkstunde für die Opfer der Zwickauer Terrorzelle statt. Und wenn ich den Tenor dieser Veranstaltung richtig verstanden habe, wurde dort unisono und über alle Parteigrenzen hinweg bedauert, dass viel zu lange „weggeschaut“ wurde. Unter diesem Aspekt bedauere ich Ihre Aussage: „Je mehr Aufhebens man um solche Ignoranten macht, umso mehr fühlen sich diese bestärkt und auch akzeptiert.“
Weil es sich eben nicht um „Ignoranten“ handelt – sondern um Neo-Nazis, deren Ziel die Zerstörung der Demokratie ist – geht es im Gegenteil darum, ganz bewusst hinzuschauen. Hinschauen muss man auch darauf, dass sich diese Truppe im Netz höhnisch darüber lustig macht, wie sie in Konstanz am 16.03.2007 eine unter der Schirmherrschaft von OB Frank stehende Podiumsdiskussion versuchte zu sprengen. Und bereits heute ganz konkret ankündigt, „weitere Aktionen“ folgen zu lassen: Bei der aus Anlass des 5. Jahrestages dieser Podiumsdiskussion stattfindenden Demonstation am 16.3.2012.
Und gerade weil die Vereinigten Konstanzer Narrengesellschaften zum Opfer dieser Verfassungsfeinde geworden sind, würde ich mir wünschen, dass Sie und viele Ihrer Fasnachtskollegen an dieser Demonstration teilnehmen.
Wie ich natürlich auch von allen Mitgliedern des Konstanzer Gemeinderats erwarte, dass sie klare Konsequenzen dieses Übergriffs einfordern. „Links“ und „Rechts“ oder „Oben“ und „Unten“ sollte dabei nun wirklich keine Rolle spielen. Genau wie am 23.2. Regierung, Bundestag, Bundesrat und Verfassungsgericht Entschlossenheit im Kampf gegen Rechtsextremisten demonstrierten. Es kann ja nicht angehen, dass wir so lange wegschauen, bis wir gezwungen sind, uns wie Frau Merkel nachträglich bei den Opfern der Rassisten entschuldigen zu müssen.
Autorin: Sabine Bade
Ein kleiner Hinweis zu dem guten Beitrag von Frau Bade:
Man sollte im Zusammhang mit der NPD und anderen Nazis den Begriff „Verfassungsfeinde“ meiden. Dieser Ausdruck wurde in den 70er Jahren bei den Berufsverbotsverfahren gegen Linke oder solche, die man dafür hielt, strapaziert. Die Behörden wollten mit diesem juristisch gar nicht definierten Begriff vermeiden, daß sie eigentlich die „Verfassungswidrigkeit“ hätten nachweisen müssen, was ihnen, bzw. dem Bundesverfassungsgericht, wohl kaum gelungen wäre. Deshalb erfanden sie den unklaren Begriff der „Verfassungsfeinde“, was im damaligen politischen Klima ausreichte, um Berufsverbote auszusprechen.
Was heute bei den Nazi-Gruppierungen aber ganz klar ist: Sie sind nicht nur Verfassungsfeinde, sondern sie sind verfassungswidrig (ein passendes Substantiv müßte noch erfunden werden), also deswegen auch vom Verfassungsgericht zu verbieten, das über die Verfassungswidrigkeit zu entscheiden hat!