Mit voller Kraft zurück
Am letzten Sonntag ist in Stuttgart Frank Nopper zum neuen Oberbürgermeister gewählt worden. Der CDU-Politiker ist ein Mann der Vergangenheit, sein schwarzer Fanclub eine Retro-Runde, die den Schuss nicht gehört hat, meint unser Gastkommentator Josef-Otto Freudenreich.
Hurra, die schwarze Nomenklatura ist wieder da. Vorneweg Günther Oettinger, der gerade 13 Jobs von der EU-Kommission für die Anschlusskarriere genehmigt bekommen hat. Unter anderem beim Tunnelbohrer Herrenknecht. Der andere S-21-Freund, Wolfgang Schuster, früherer Oberbürgermeister, lebt auch noch. Genauso wie die graue Eminenz der schwäbischen Wirtschaft, Hans-Peter Stihl, mit dessen Sägen gut Bäumefällen ist, die Ex-Verlegerin der „Esslinger Zeitung“, Christine Bechtle-Kobarg, die noch rechtzeitig Kasse gemacht hat, der Vorsitzende von Haus und Grund, Klaus Lang, der sich aufopferungsvoll den Anliegen der Immobranche widmet, der Ex-Chef von Porsche und Volkswagen, Matthias Müller, dem eine tägliche Betriebsrente von 2.900 Euro nachgesagt wird, und Ulrich Ferber, der sich um sein Erlebnishotel Sonnenhof, das Wohlergehen von Profikickern und seiner Gattin, der Schlagersängerin Andrea Berg („Schwerelos durch Raum und Zeit“), kümmert. Sie kommt gern im Hubschrauber zurück ins heimelige Zuhause in Aspach.
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Alle sind sie für Frank Nopper, den bekennenden Friedrich-Merz-Fan. Er sei ein „Oberbürgermeister für Alle“. So steht es in den Anzeigen, mit denen die illustre Runde für den Backnanger Schultes geworben hat. Irgendwie erinnert das stark an die Annoncen für den unterirdischen Bahnhof, die sogenannte Volksabstimmung und den Brezelwahlkampf von OB-Kandidat Sebastian Turner anno 2012. Alles keine Leuchttürme, aber jedes Mal als solche verkauft.
Wer ist wohl mit „Alle“ gemeint?
Nun weiß man nicht, wen genau die (einst) herrschende Klasse mit „Alle“ meint. In aller Regel ist ihr Blickwinkel ein verengter, einer, dem das Gemeinwohl nicht sofort ins Auge springt. Ihre Berührungspunkte mit Hartz-IV-Empfängern sind selten, wenngleich Nopper auch schon die Obdachlosen-Zeitung „Trott-war“ verkauft hat. Aber das ist dann eher „Charity“, wie man in diesen Kreisen zu sagen pflegt. Die historische Erfahrung lehrt, dass sie zunächst an sich denkt.
Das so zu sagen, wäre doof, was Nopper nicht ist. Der Spross der Eisenwaren-Dynastie Zahn und Nopper sagt, er wolle Brücken bauen, den sozialen Wohnungsbau fördern, eine „ganzheitliche Verkehrspolitik“, generell Ökonomie und Ökologie versöhnen sowie die Stadt zu einem leuchtenden Stern machen. Das klingt gut, könnte aber leicht in den Verdacht der Politlyrik geraten, die das Blaue vom Himmel verspricht und sich an Dreck, Lärm und Gestank nicht stört. Besonders, wenn man aus Backnang kommt.
Nopper hat dort 18 Jahre lang regiert. Getragen von einem pflegeleichten Gemeinderat, einem Netz von Gewerbetreibenden (Auto, Betten, Immobilien) und Bankern, wie man das aus kleinen Städten eben so kennt. Filz & Kumpanei. Wenige sind es, wie etwa der Unternehmer Hermann Püttmer, der den Schultes kritisiert, ihn für einen Dilettanten hält und boshaft-notorisch „Nopperle“ nennt. Oder der BUND-Vorsitzende Andreas Brunold, der ihm fortlaufende Umweltsünden vorwirft. Menschen, die Nopper gut kennen, sagen über ihn, er könne nur ein Alphatierchen ertragen. Sich selbst.
Ein Sternchen ist Backnang, die Stadt mit ihren 37.000 Einwohnern, tatsächlich nicht geworden. Es gibt keine Manufaktur wie in Schorndorf, keine Freilichtspiele wie in Schwäbisch Hall, kein Kärcher wie in Winnenden. Die „Murr-Metropole“, wie Nopper sie rühmt, ist verschuldet, erstickt im Verkehr, liegt im Stickoxid-Ranking an dritter Stelle in Deutschland, bei den Mietsteigerungen ebenso. Nopper liebt die Privatisierung, hat die Stadtwerke zu 49 Prozent an die EnBW verkauft, die Volksbank zieht mit privaten Investoren die 30 Millionen teuren Kronenhöfe hoch, um hochpreisigen Wohnraum zu schaffen.
Was für ein Bild: die Blechkiste im Fluss
Die Nummer eins aber, sagt der OB, sei man beim Feiern. Wechselweise tritt der Festlesheimer als Napoleon, Robin Hood, Gänsehirt oder Mönch auf, erfreut das Publikum mit Freibier, und einer Bühne im Fluss – auf der ein Auto steht. Und diese Blechkiste im Wasser ist wie der ganze Mann: voll rückwärts. So einer findet auch Gendersterne „hysterisch korrekt“.
Was erwartet nun die CDU von ihrem neuen Hoffnungsträger? Zunächst einmal soll er der lebende Beweis sein, dass nicht von Dauer ist, was man selbst für ewig angesehen hat: die Herrschaft im Stuttgarter Rathaus und darüber hinaus. Das war so schwer nicht, nachdem der grüne Amtsinhaber Fritz Kuhn immer mehr die Flügel hängen ließ, vor allem aber nach der spektakulären Selbstzerlegung des Lagers, das als „öko-sozial“ bezeichnet, nicht erläutert wird, was etwa an der SPD „öko“ ist.
Kurzer Exkurs in repräsentativer Demokratie: Nopper reichten, weniger denn je, 42,3 Prozent der Stimmen, genau 83.812 Kreuzchen von insgesamt 198.901 Personen, die gewählt haben. 246.676 haben es vorgezogen, von ihrem Recht keinen Gebrauch zu machen. Das entspricht einer Wahlbeteiligung von 44,6 Prozent, will sagen, mehr als der Hälfte der StuttgarterInnen war es offensichtlich schnurz, wer ihr Oberbürgermeister wird. Deren Motivlage gründlich zu erforschen, wäre jetzt eine echte Aufgabe für den Kommunikationstheoretiker Frank Brettschneider („Der Wahlsieger traf auf glückliche Umstände“) von der Universität Hohenheim. Mit besten Empfehlungen an die Politik.
Der Mann mag Gaisburger Marsch
Aber bleiben wir bei denen, die den Gang zur Urne beziehungsweise zum Briefkasten nicht gescheut und für Nopper votiert haben. Was erwarten sie von ihm? Die OB-Erfahrung, die er wie eine Monstranz vor sich herträgt? Angesichts seines Wirkungsgrads in Backnang scheint das eine relative Größe zu sein, zumindest eine, die einem Faktencheck nicht stand hielte. Die Lebenserfahrung? Schon nachvollziehbarer, weil Nopper 59 ist, wesentlich älter als sein Konkurrent Marian Schreier (30), deutlich älter als Hannes Rockenbauch mit 40. Außerdem hat er eine Banklehre absolviert, in Jura promoviert, war Abteilungsleiter bei der Stuttgarter Messe sowie Geschäftsführer bei der Schreinerinnung Baden-Württemberg. Der Mann kann Billy, sein Lieblingsessen ist Gaisburger Marsch.
Darüber hinaus ist Nopper für Stabilität, Sicherheit und Sauberkeit. In Corona-Zeiten ist das für viele noch wichtiger als sonst, weshalb die Annahme der Demoskopen, die Menschen suchten Halt bei den Konservativen, wenn Unordnung droht, so verkehrt nicht scheint. Auch wenn das nicht weiter hilft, bei Wohlstand und Jahreswagen. Im Land von Daimler, Porsche und Einspritzer Bosch stehen die Zeichen auf Sturm, Arbeitsplätze sind in Gefahr; um so schwieriger ist es, weniger Klimakiller zu fordern, wie das einmal Winfried Kretschmann getan – und ganz rasch klein beigegeben hat. Da steht eine ganz breite Front der Parteien und Medien bis zu den Gewerkschaften. Und jetzt eben auch noch Nopper mit seinem Rollback-Block.
Wer hier nicht mittanzt, gar Zweifel anmeldet, womöglich im Sinne der Fridays for Future („How dare you“), die fragen, wie wir es wagen können, den Jungen die Zukunft zu stehlen, der ist ein linksradikaler Extremist, Polarisierer, Eiferer und kein Oberbürgermeister für alle. Wählbar ist das Auto in der Murr.
Josef-Otto Freudenreich (Karikatur: Oliver Stenzel)
Hinweis: Der Text ist zuerst erschienen bei der Kontext:Wochenzeitung; in der aktuellen Ausgabe gibt es hier und hier weitere Beträge zum Thema.
…auf die Gefahr hin, dass es für Konstanz ohne jeglichen Belang ist, kurz meine Sicht der Dinge:
Der scheidende OB , Kuhn, hat die Probleme Stuttgarts (das S-21 Loch ist immer noch offen, Mietspiegel 15 – 20 Euro pro m2, Klimawerte ect.) nicht in den Griff bekommen. Seine Umfrage-Werte wurden sauschlecht und er hat resigniert.
Der Wahlkampf von Frau Kienzle war übersichtlich.
Friday for Future hat allerdings Hannes Rockenbauch unterstützt!
Das Ergebnis für Frau Kienzle war nicht schlecht, ging aber von ehemals über 50 % (für Kuhn 2013) auf ca 17 % runter.
Erst nach dem 1. Wahlgang, quasi unter dem Eindruck der Niederlage, verkündete Frau Kienzle das Modell eines Sozio-Öko-Bündnisses – vorher war nie davon die Rede gewesen – und als dieses nicht funktionierte, wurde die Erzählung von der Egomanie Rockenbauchs und Schreiers gestreut , und Frau Kienzle, in der Rolle des Opfers, warf hin und gab den Weg für Nopper frei.
Danke für die engagierte und zugleich informative Analyse. Vielleicht mag der Autor noch Details zu der Frage nachreichen: Warum gelang es dem nicht-konservativen Lager nicht, für den zweiten Wahlgang ein Bündnis zu schmieden? Zu dritt oder wenigstens Grüne und SÖS? Lagen die Beteiligten inhaltlich so weit auseinander oder ging es doch, wie immer nur kurz angedeutet wird, um das Ego und kurzfristige Parteitaktik?
…aber all die genannten Damen und Herren sind doch MP Kretschmann´s beste Freunde – oder hab ich da was falsch verstanden?