Ein Beatmungsgerät für Rojava
Hart getroffen von der Corona-Pandemie sind die kurdischen Autonomieprojekte im Norden Syriens. Die in einer Föderation zusammengeschlossenen Rojava-Kommunen müssen sich seit Jahren türkischen Staatsterrors ebenso erwehren wie Ränkespielen von Regional- und Großmächten. Dazu kommt jetzt die Pandemie, die den Aufbau des Gesundheitswesens vor eine große Belastungsprobe stellt. Anlass für das Konstanzer Solidaritätsbündnis, eine Spendenkampagne zu starten. Ziel: Ein Beatmungsgerät für Rojava.
Das Corona-Virus hat unser Leben verändert, müssen wir tagtäglich meist schmerzlich feststellen. Es sind nicht nur die Einschränkungen durch Maskenpflicht, Kneipenschließungen oder Kontaktbeschränkungen, die unser Leben gehörig durcheinanderwirbeln. Für viele kommt dazu noch die Angst vor dem sozialen Absturz durch Kurzarbeit, Jobverlust oder Insolvenz. Die medizinische Versorgung immerhin scheint in unseren Gefilden noch leidlich gesichert – auch wenn des kaputtgesparten Gesundheitswesens wegen jetzt vereinzelt schon die Alarmglocken schrillen.
Doch nehmen sich unsere berechtigten Sorgen gering aus, vergleicht man sie mit der Situation von in Gegenden beheimateten Menschen, die im globalen Wettbewerb um Profite regelmäßig den Kürzeren ziehen. Besonders übel sind diejenigen dran, in deren Heimat das noch mit dem Balgen lokaler oder überregionaler Akteure um Macht und Einfluss einhergeht, vielerorts ausgetragen mit militärischer oder terroristischer Gewalt. In solchen Regionen, wo es – siehe oben – oft ohnehin am Nötigsten mangelt, macht sich in Corona-Zeiten das Fehlen einer funktionierenden medizinischen Infrastruktur besonders schmerzlich bemerkbar.
Neue Bedrohung für Autonomieprojekte
Rojava ist so ein Fall. In der mehrheitlich von KurdInnen bewohnten Region im Nordosten Syriens bauen Einheimische seit 2013 basisdemokratische, multiethnische und geschlechtergerechte Selbstverwaltungsprojekte auf. Trotz widrigster Bedingungen nach neun Jahren Krieg und IS-Terror haben sie beachtliche Fortschritte vorzuweisen. In Dörfern und Städten wurden Häuser wiederaufgebaut und Straßen repariert, Schulen und sogar Universitäten eingerichtet, die Erzeugung von Agrar- und Gebrauchsgütern in Angriff genommen. Leistungen, die umso schwerer wiegen, weil sie auch rund 1,3 Millionen Binnenvertriebenen aus anderen Teilen Syriens und des Irak zugutekommen. Trotz der schwierigen Lage und fehlender internationaler Hilfen hat die Selbstverwaltung die Geflüchteten mit offenen Armen empfangen und Mitmenschlichkeit gezeigt.
Erschwert wird die Aufbauarbeit zudem durch völkerrechtswidrige Militärinterventionen des türkischen Staats. Die Angriffe etwa auf Afrin, Serê Kaniyê und Girê Spî haben die humanitäre Lage weiter verschärft. Die Drecksarbeit lässt das Erdogan-Regime dabei meist die von ihm finanzierte „Nationale Syrische Armee“ (SNA) besorgen: Islamistische Fanatiker in türkischer Uniform, die in den okkupierten Gebieten Einheimische vertreiben, entführen, vergewaltigen, foltern und morden. Seit diesem Jahr setzt die Türkei nun sogar Wasser als Waffe ein. So hat sie im März fast einer halben Million Menschen in der Region Hasaka den Wasserhahn zugedreht. Die Versorgung der Region mit dem lebensnotwendigen Nass hängt am Wasserwerk von Serê Kaniyê, wo die türkischen Besatzer den Fluss nach Belieben auf- und zudrehen. Verbrecherisch nicht zuletzt deshalb, weil damit auch fundamentale Corona-Hygienemaßnahmen wie Händewaschen unterbunden werden.
Marodes Gesundheitswesen
Dabei liegt das Gesundheitssystem nach neun Jahren Krieg in ganz Syrien ohnehin am Boden. Die vor Ort präsente Hilfsorganisation IRC (International Rescue Committee) berichtet, im gesamten Nordosten des Landes sei nur eines von 16 Krankenhäuser überhaupt voll funktionsfähig. Demnach stehen mehreren Millionen Menschen gerade mal 28 Betten auf Intensivstationen zur Verfügung. Jetzt fehlen zusätzlich besonders Schutzausrüstung für das Personal, Masken, Handschuhe, Testmöglichkeiten, Medikamente und – Beatmungsgeräte.
Denn längst ist das Covid-19-Virus auch in Rojava angekommen und verbreitet sich weitgehend unkontrolliert. So berichtete Sherwan Bery, Vorsitzender des Kurdischen Roten Halbmonds schon im Frühsommer von mindestens 557 positiv Getesteten, Ende November überschritt die Infizierten-Zahl dann schon die Marke von 7000. Mindestens 189 Menschen waren dem Pandemie-Lageberciht der Gesundheitskomitees der Autonomieverwaltung zufolge bis zu diesem Zeitpunkt an den Folgen der Virus-Erkrankung gestorben. Die Dunkelziffern dürften indes weitaus höher liegen. Besonders in den Gegenden mit arabischer Bevölkerung sei die Virus-Infektion noch mit Scham besetzt, erläuterte Bery. Zwar finden in allen Gebieten Aufklärungskampagnen statt, nicht immer sei es indes einfach, den Kontakt in die Gemeinden zu finden. Das IRC warnte schon im März vor einem coronabedingten Gau, befördert durch die „katastrophalen Lebensverhältnisse“: Weil die Grenze zum Irak geschlossen sei, könnten die Vereinten Nationen „keine medizinischen Hilfsgüter liefern und humanitäre Organisationen sich nur sehr eingeschränkt um Bedürftige kümmern – zum Beispiel in Flüchtlingslagern wie Al Hol, wo fast 70.000 Menschen unter extrem beengten Bedingungen leben müssen.“
In Rojava stemmen sich die demokratischen Selbstverwaltungsorgane, unterstützt von Hilfsorganisationen wie dem Kurdischen Halbmond, mit aller Kraft gegen die Pandemie. So gibt es inzwischen ein eigenes Corona-Labor in Qamişlo, das Speichelproben auswertet und Statistiken führt. Eine enorme Verbesserung im Vergleich zu den Vormonaten, als die Proben noch ins WHO-Labor nach Damaskus geschickt werden mussten und es zu Verzögerungen und Nichtweitergaben von Testergebnissen kam.
Zudem hat der Kurdische Halbmond mittlerweile überall in Rojava Einsatzteams organisiert und koordiniert alle Corona-Maßnahmen. In Hasakeh, Qamişlo, Deir ez Zor, Minbij, Kobanê, Tabqa und Rakka gibt es eigene Covid-19-Koordinationsstellen. Von dort werden Einsätze zu Betroffenen und eine öffentliche Telefonnummer betreut, Proben gesammelt und ins Labor nach Qamişlo gebracht. Auch die wenigen Krankenhäuser rüsten sich mit den zur Verfügung stehenden bescheidenen Mitteln, sodass es jetzt in jeder Region bis zu zehn Intensivbetten mit Beatmungsgeräten gibt.
Das alles ist indes längst nicht ausreichend. Die Verantwortlichen fürchten den nahenden Winter, der die oft ausgezehrten Menschen weiter schwächen wird und so dem Virus einen idealen Nährboden bietet. Besonders hoch ist das Risiko in den Lagern, wo Geflüchtete eng gedrängt und unter schlechten Hygienebedingungen hausen müssen.
100 Beatmungsgeräte
Beatmungsgeräte sind unverzichtbar, sollen schwer an Covid-19 erkrankte PatientInnen überhaupt eine Chance haben. Gerade an diesen Apparaten jedoch fehlt es in Nord- und Ostsyrien am meisten. Vor diesem Hintergrund hat jetzt der Kurdische Halbmond einen internationalen Spendenaufruf für 100 Beatmungsgeräte für Rojava gestartet. Die in Troisdorf bei Köln ansässige deutsche Sektion der Hilfsorganisation kalkuliert, dass der Preis für jedes Gerät, einschließlich der Transportkosten nach Rojava, 23.000 Euro beträgt. Für 100 Geräte werden also insgesamt 2,3 Millionen Euro benötigt.
Dabei will auch das Konstanzer Solidaritätsbündnis Rojava tatkräftig helfen. Die seit 2018 bestehende Gruppe verfolgt nicht nur das Ziel, über die hierzulande wenig beachteten Autonomieprojekte zu informieren, sondern hat in den vergangenen Jahren ganz handfest schon mehr als 10.000 Euro zur Unterstützung von fortschrittlichen Projekten in der Region gesammelt. Jetzt hat sich das Bündnis als erstes Ziel gesetzt, innerhalb der nächsten sieben Tage 1000 Euro für ein Beatmungsgerät einzusammeln. Über den Fortschritt der Kampagne will es die Öffentlichkeit auf dem Laufenden halten.
J. Geiger (Fotos: Kurdischer Halbmond e.V.)
Spendenkonto
Verwendungszweck: Rojava-Beatmungsgerät
Konto: Volksbank Konstanz-Radolfzell, Bankleitzahl: 692 910 00, Kontonummer: 214 923 700, IBAN: DE88 6929 1000 0214 9237 00, BIC GENODE61RAD