Bedingt klar zur Wende

In einer aktuellen Pressemitteilung feiert sich die Stadt Konstanz für ihre Auszeichnung beim Landeswettbewerb „Wir machen Mobilitäts­wende!“. Das nach wie vor staugeplagte Konstanz wurde dabei, als eine von sieben Städten im Ländle, für sein Konzept des „autofreien Umbaus der linksrheinischen Innenstadt“ ausgezeichnet. Das darf nicht unkommentiert stehen bleiben.

Eine späte Ehrung, wurde doch das zugrundeliegende Verkehrskonzept bereits 2013 als „Masterplan Konstanz 2020+“ beschlossen und seitdem, so zumindest die Stadt, auch konsequent umgesetzt.

[the_ad id=“70230″]

Da dürfte sich mancher verwundert die Augen reiben. Seit sieben Jahren arbeitet unsere Stadtverwaltung konsequent im Sinne der Mobilitätswende? Mit Ausnahme des neuen Radweges entlang der Bahn und des rasanten Anstiegs des Lastenradaufkommens, den wir vor allem der privaten Initiative des Konstanzer Fahrradaktivisten Marco Walther und seinem TINK-Projekt zu verdanken haben, merkt man davon bisher doch recht wenig.

Eine Wende, so definiert es zumindest der Duden, ist schließlich eine „einschneidende Veränderung, ein Wandel in der Richtung eines Geschehens oder einer Entwicklung“. In Deutschland steht der Begriff „die Wende“ sogar für den kompletten politischen Umbruch eines ganzen Landes. Eine Wende ist also immer konsequent, andernfalls ist es keine Wende. Nur spürt man davon eben im Konstanzer Verkehrsgeschehen bisher recht wenig.

Der autofreie Umbau der linksrheinischen Innenstadt ist jedenfalls in den letzten Jahren wenig bis gar nicht vorangekommen und strebt auch gar nicht an, was der Name so vollmundig verspricht. Statt „autofrei“ hat man sich, zumindest auf dem Papier, gerade mal dazu durchgerungen den Bahnhofsvorplatz und einige Stichstraßen in die Altstadt vom privaten Autoverkehr zu befreien und einen Teil der Einkaufstouristen und Pendler am Brückenkopf Nord abzufangen. Aus Stuttgart oder Zürich darf man also weiterhin gerne per Auto anreisen, nur auf den letzten Metern gilt es auf den attraktiven Wasserbus umzusteigen, um immerhin die Konstanzer Innenstadt vom Stau zu befreien.

Wie ernst diese „Möchtegern-Mobilitätswende“ gemeint ist, zeigt sich nirgendwo deutlicher als am derzeitigen Ausbau der B33. Hier wird mit abermillionen von Euro die Mobilität des letzten Jahrhunderts in die einst herrliche Uferlandschaft betoniert. Und das mit freundlicher Unterstützung unserer lokalen „Spitzenpolitik“. Von den CDU Nachhaltigkeits-Männern Ulrich Burchardt und Andreas Jung bis zur grünen Abgeordneten Nese Erikli, wenn es um den Bau neuer Fernstrassen geht, herrscht parteiübergreifende Einigkeit. Dabei ist es Erstsemester-Wissen Verkehrsplanung: der Ausbau von Straßen führt nicht zu weniger Stau, sondern schlicht zu mehr Autos. Kein Wunder, wird es doch jetzt noch attraktiver, vermeintlich staufrei, schnell mal nach Konstanz zu fahren. Nun liegt die B33 als Bundestraße bekanntermaßen nicht im direkten Zuständigkeitsbereich der Stadt, wer aber eine Reduktion des Autoverkehrs in Konstanz erreichen will, der müsste sich vehement gegen den Ausbau dieses verkehrspolitischen Irrsinns aussprechen. Genau das tun Burchardt und seine Verwaltung aber nicht.

Aber auch in der Stadt passiert bisher kaum etwas, was den Namen Wende verdient hätte und auch was mit den in der Pressemitteilung genannten Großprojekten gemeint ist, die sich bereits in Planung und Umsetzung befindend sollen, bleibt ein Geheimnis. Die Umsetzung des C-Konzeptes, die Neugestaltung des Bahnhofsplatzes oder der in Prüfung befindliche autofreie Stephansplatz können damit ja nicht gemeint sein. Am ehesten hat wohl noch der geplante Fernbusbahnhof am Brückenkopf Nord die Bezeichnung „Großprojekt“ verdient. All diese Maßnahmen werden mit badischer Gründlichkeit geplant, um sie vielleicht später einmal mit hohen Kosten umzusetzen.

Andere Städte gehen da pragmatischer vor. Um den Stephansplatz vom Autoverkehr zu befreien braucht es schließlich kein Millionenbudget im corona-gebeutelten Haushalt. Brüssel macht es vor und befreit mit Mini-Aufwand vierspurige Boulevards vom Auto. Ein paar Schilder, Bäumchen im Hochbeet aus Europaletten und wo machbar ein bisschen neuer Rasen statt Asphalt. So einfach entstehen völlig neue und hochattraktive Stadträume für Menschen, wo der Verkehr vor ein paar Wochen noch Stoßstange an Stoßstange stand. Die Wende scheitert also nicht am Geld und auch nicht an den nicht verfügbaren Fachleuten, sondern an mangelndem Mut es einfach mal zu machen.

Und wo wir gerade von Mut sprechen. Wer sich traut, das Thema Verkehr, entgegen der Angstschreie einiger Einzelhändler, konsequent anzugehen und das Auto in seine Schranken zu verweisen, dem danken es am Ende meist sogar die Händler. Die Konstanzer Innenstadt wäre, wenn es nach dem Willen der Händler gegangen wäre, wahrscheinlich heute noch keine Fußgängerzone. Und es geht auch mehr: die 80.000-Einwohner-Stadt Pontevedra im Nordwesten Spaniens hat das gesamte Zentrum autofrei umgestaltet. Außerhalb der autofreien Zone gilt als Höchstgeschwindigkeit Tempo 30. Der stadtweite Verkehr ist hierdurch um über die Hälfte gesunken, ebenso die CO2-Emissionen im Verkehr. Seit 2009 hat es in der Stadt keine Verkehrstoten mehr gegeben.

Der Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) will dies nun auch. Mit Ausnahme einiger übergeordneter Straßen soll in Freiburg durchgängig Tempo 30 umgesetzt werden. Das ist nicht nur neu in Deutschland, sondern auch mutig, schließlich gibt es bisher keine rechtliche Handhabe, die der Stadt Freiburg dies erlauben würde. Horn hat also selbst die Initiative ergriffen und fordert von Bundesverkehrsminister Scheuer eine Sonderregelung der Straßenverkehrsordnung, um ein solches Modellprojekt zu ermöglichen. Auch Tübingen Oberbürgermeister Palmer geht diesen Weg, wenn es darum geht neue Ideen umzusetzen. Schließlich ändert sich nichts, wenn jeder nur auf die geltende Rechtslage verweist, um die eigene Untätigkeit zu rechtfertigen.

Wenn jede Stadt, und sei es auch nur in ein, zwei Bereichen, den Rahmen des bisher denkbaren und möglichen verschieben würde, wären wir alle ein großes Stück weiter. Statt uns für eine höchstens halbherzige Mobilitätswende zu feiern, wünsche ich Konstanz auch endlich diesen Mut.

Wenn ich aber falsch liege und Sie Herr Burchardt diesen Mut doch haben, es Ihnen nur an Ideen mangelt, dann hätte ich hier eine: Treffen Sie sich doch mal auf eine gemütliche Videokonferenz mit Ihrem Parteifreund und Bundesverkehrsminister Scheuer und fordern Sie den sofortigen Stopp des Ausbaus der B33, anders könne die Mobilitätswende in Konstanz schließlich nicht gelingen. Und wo Sie gerade schon mit ihm sprechen, loben Sie doch noch den Freiburger Vorstoß und bieten Sie an Konstanz zur zweiten Tempo-30-Modellstadt zu machen.

Felix Müller (Foto: O. Pugliese)


Die Pressemitteilung der Stadt Konstanz hier im Wortlaut.