Abgesang auf einen Ehrenbürger
Viele Zuhörer waren nur dieses Tagesordnungspunktes wegen in die gestrige Gemeinderatssitzung gekommen: Es ging um das Historiker-Gutachten zu Bruno Helmle, das dem Ex-OB „grobe Tatsachenverdrehungen“ nachweist. Er habe seine Verstrickung in die Maschinerie der Nazi-Gewaltherrschaft an manchen Stellen geschönt und persönliche Bereicherung an jüdischem Eigentum verschwiegen. Eine überwältigende Mehrheit im Stadtrat war sich einig: Bruno Helmle darf nicht mehr Ehrenbürger der Stadt Konstanz sein.
Doch eine solche Entscheidung fällt der Gemeinderat erst im Mai. Bis dahin soll weiter recherchiert und weiter diskutiert werden. So ist am 20. März eine Podiumsveranstaltung im Konzil geplant, auf der öffentlich das Historiker-Gutachten diskutiert werden soll. Und vielleicht können bis dahin auch noch offene Fragen nach ganz oder teilweise verschwundenen Personalakten des Bruno Helmle geklärt werden, die Prof. Eberhard Roth in der gestrigen Gemeinderatssitzung aufwarf.
Einzig Wolfgang Müller-Fehrenbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion, mochte in der ansonsten qualitätsreichen Diskussion einem Abgesang auf den Ehrenbürger Helmle nicht zustimmen. Er relativierte das Verhalten des Ex-OBs mit dem Hinweis, „schließlich hätten sich Tausende in der NS-Zeit so verhalten“. Er hofft auf neue, dann wohl entlastende Zeugenaussagen und Beweise und warnte vor einer voreiligen Entscheidung über den Entzug der Ehrenbürger-Würde.
Den hatte vorab Werner Allweis für die Freie Grüne Liste gefordert, als er einen solchen Antrag seiner Fraktion ankündigte. Er warnte davor, in die Verdrängungspolitik der 50iger Jahre zurück zu fallen, würdigte die „Erinnerungsarbeit“ der Gegenwart und hob dabei besonders die Aktivitäten der Konstanzer Stolperstein-Initiative hervor. Einen Rückfall in eine Stimmung „vom braunen Hemd zur weißen Weste“ dürfe es nicht mehr geben.
Auch Jürgen Leipold (SPD) sieht wieder „Verharmloser am Werk“. Es dürfe kein „unappetitliches Fälschen und Tricksen“ geben, wenn es um die Ehrenbürger-Würde von Bruno Helmle gehe. Wobei er die grundsätzliche Frage einbrachte, ob über eine Aberkennung oder ein bei Tod automatisches Erlöschen der Ehrenbürger-Würde entschieden werden sollte.
Vor einer Verharmlosung der Rolle der „Globkes, Kiesingers und Helmles“, ohne deren Zuarbeit die Vernichtungsmaschinerie der Nazis nicht hätte funktionieren können, warnte Holger Reile von der Linken Liste Konstanz. Und er spannte den Bogen zur Jetztzeit, als er die Verantwortlichen der Narrenvereine kritisierte, die sich bislang vom Neonazi-Aufmarsch im Fasnachtsumzug nicht distanziert haben. Gleichzeitig rief er die Skeptiker auch im Gemeinderat auf, sich endlich zum Unterstützerkreis der Demonstration gegen rechte Gewalt am 16.3. in Konstanz zu bekennen.
Der sicher eindrucksvollste Debattenbeitrag kam von Anselm Venedey (FWG). Er nannte es einen Skandal, das erst jetzt die Rolle Bruno Helmles aufgedeckt worden ist. Wo waren die Mitwisser, die sich durch Helmles Verhalten entschuldet fühlen durften, fragte er und erklärte: „Ein Mann mit einer solchen feigen Lebenslüge taugt nicht zum Vorbild, taugt nicht zum Ehrenbürger“. Hier dokumentieren wir die Venedey-Rede (es gilt das gesprochene Wort):
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Fall Helmle ist keine Sensation, er ist auch nicht schockierend. Erfüllungsgehilfen, Mitläufer, Menschen, die sich schuldig machen, gibt es in jedem politischen System – nicht nur in totalitären.
Nun war Helmle kein normaler, einfacher Mitläufer. Er hob nicht nur den Arm zum Hitlergruß, sondern er profitierte vom schlimmsten deutschen Unrechtsstaat der Geschichte. Er machte aktiv mit und log sich nach dem Zusammenbruch, nach der Befreiung, eine neue Identität zusammen. Vielleicht hat er sogar seine eigenen Lügen geglaubt. Vielleicht hielt er sich wirklich für unbelastet und bewertete sein zaghaftes Aufbegehren im einen oder anderen Fall als Widerstand. Die Psychologie kennt dieses Phänomen. Erinnern wir uns nur an die Enthüllungen über SS-Mitgliedschaften einiger Schrifsteller in den letzten Jahre. Man kann sich die Unwahrheit so lange einreden, bis man sie selber glaubt.
Der Fall ist klar: Helmle hat sich schuldig gemacht. Eine Ehrenbürgerwürde für einen solchen Menschen ist nicht aufrecht zu erhalten. Er taugt nicht zum Vorbild, sondern bestenfalls als Mahnmal.
Doch der eigentliche Skandal ist, dass wir erst heute, fast 72 Jahre nach dem Ende des NS-Staates über den Fall Helmle diskutieren. Ein Skandal, denn Helmle führte während seiner Zeit vor 1945 ja kein Leben im Untergrund. Er war Teil eines funktionierenden Systems, er hatte Mitarbeiter, Untergebene, Vorgesetzte, Freunde, Vertraute, Mitbürger. Helmle war Teil einer Maschinerie, der es gelungen war, Millionen Menschen bestialisch zu ermorden und sich an den Ermordeten zu bereichern. Helmle war kein Einzeltäter.
Insofern ist es erstaunlich, dass wir erst heute über ihn und seine Verstrickung diskutieren. Wie konnte es geschehen, dass Helmle zum Oberbürgermeister gewählt wurde und dies 21 Jahre lang blieb? Warum hat damals niemand nachgefragt? Natürlich wussten viele Konstanzer Zeitzeugen von seiner Verstrickung, natürlich wurde hinter vorgehaltener Hand über seine Vergangenheit diskutiert, natürlich hatten die wenigen Konstanzer Antifaschisten größte Vorbehalte gegen Helmle. Warum also war Helmle wählbar?
Helmle diente dazu, eines jeden eigenes, in den meisten Fällen geringeres, Versagen während der Zeit des Faschismus zu relativieren. „Wenn Helmle Oberbürgermeister werden konnte, dann können unsere Versäumnisse nicht so groß gewesen sein“ werden sich unsere Eltern und Großeltern gedacht haben. Und so entschuldete Helmle einen großen Teil der schuldig gewordenen Bevölkerung.
Dazu kamen parteipolitisches Kalkül, das kennt man bis heute, persönliche Sympathien und auch Verdienste um das Wohl der Stadt, das will ich nicht im Geringsten bestreiten. Nicht jeder, der während der Nazizeit mitgemacht hatte, hat hinterher so weiter gemacht. Beispiele für anständige Demokraten mit brauner Vergangenheit gibt es viele. Und wir müssen froh sein, dass es möglich war, seine Gesinnung nach Kriegsende zu wechseln. Sonst wäre dem demokratischen Deutschland kein Erfolg beschieden gewesen.
Insofern ist Helmles Wandlung ja zumindest in diesem Fall erfreulich. Aber ob sie aus tiefer Überzeugung kam oder ob Helmle auch in der Zeit der Bundesrepublik ein Opportunist war, das lässt sich wegen der Unfähigkeit Helmles, zu seiner Vergangenheit zu stehen, sich ihr zu stellen, nicht nachvollziehen. Eine Auseinandersetzung hat er durch seine feige Lebenslüge, seine Geschichtsverdrehung unmöglich gemacht. Selbst seine Familie scheint er belogen zu haben und macht sich nun nachträglich schuldig, weil seiner Familie ein Scherbenhaufen bleibt.
Wir stehen kopfschüttelnd da.
Nein, zum Vorbild taugt Helmle nicht und zum Ehrenbürger unserer Stadt, die sich liberal und weltoffen zeigen will, taugt Helmle nicht.
Wir werden ihm in einem weiteren Schritt diese Ehre posthum entziehen müssen. Und wir werden auch andere Ehrenbürger auf den Prüfstand stellen müssen. Aber vor allem soll dies dann ein Zeichen für die Zukunft sein: Mit solchen Lügen wird man nicht mehr durchkommen!
Autor: hpk
Weiterer Link:
Anselm Venedey macht seinem Namen alle Ehre !
Hinzuzufügen ist, dass Anselm Venedey zu dieser vortrefflichen Rede zu beglückwünschen ist.
Warum weiter „recherchieren und diskutieren“? Hier gibt es ein Gutachten von drei kompetenten Historikern. Warum eine Podiumsdiskussion? Was soll hierdurch erreicht werden? Verschwundene Personalakten können bestimmt nicht die Diskussionen herbei zaubern.
Wovon träumt eigentlich Müller-Fehrenbach? Zeugenaussagen nach 70 Jahren der Verfehlung von Helmle und entlastenden Beweisen trotz seriöser, wissenschaftlicher Recherche der Historiker? Welche Wähler schicken diesen realitätsfremden Mann in unser Stadtparlament?