Nicht (nur) für Elise
Bis mindestens 31. März wird es keine „echten“ Konzerte der Südwestdeutschen Philharmonie geben. Musikalisch warmhalten will das Orchester sein wertes Publikum aber mit gestreamten Konzerten. Auch auf SWR 2 gibt es demnächst wieder ein neues Format akustisch zu bestaunen: Das Gesprächskonzert, in diesem Monat gar mit der Stargeigerin Patricia Kopatchinskaja. Also auf ins Internet, Anzug und Krawatte sind erlaubt, und die Herren dürfen endlich auch mal fürs Konzert ins kleine Schwarze schlüpfen.
Ein Freund berichtete mir einst, es gehe ihm derzeit so schlecht, dass er zum Trost (!) Beethovens Streichquartett op. 95 höre. Zum Trost?!? An diesem Werk ist nun ganz und gar nichts Tröstliches, und wer sich daran innerlich aufrichten kann, muss schon echte Höllenqualen leiden und ist ein klarer Fall für eine Psychotherapie gegen Schwermut und Trunksucht. Wie meistens war auch Beethoven, als er sich 1810/11 an diese Komposition machte, ein solch schwerer Fall. In seinem rätselhaften „Brief an die unsterbliche Geliebte“ formulierte er es später so: „… warum dieser tiefe Gram, wo die Nothwendigkeit spricht.“
Liebesfolter
Damals war Wien französisch besetzt, Napoleon stand auf dem Gipfel seiner Macht und ließ Österreich zahlen – „Kontribution“ nannte man das damals, und es war nichts anderes als die Ablösung des klassischen Plünderns und Brandschatzens durch Geldzahlungen. Das wäre für ihn durchaus noch zu verschmerzen gewesen, aber Beethoven litt (wieder einmal) unter heftigem Liebeskummer, und den an seinem tiefinnerlichen Begehren sterbenden Schwan hatte er besonders gut drauf. Mit 40 war er noch immer Junggeselle und kannte alle Torturen verschmähter Liebe: „Nichts als Wunden hat die Freundschaft und ihr ähnliche Gefühle für mich. So sei es denn, für Dich armer Beethoven gibt es kein Glück von außen, Du musst Dir alles in Dir selbst erschaffen, nur in der idealen Welt findest du Freunde“. Der Mann wusste wirklich, wie leiden geht.
Auch das Konzertpublikum hat mittlerweile zu leiden gelernt, denn weiterhin sind alle öffentlichen Konzerte abgesagt. Aber es gibt mittlerweile immer mehr Trostpflaster: Am kommenden Sonntag, 07. Februar, um 18.00 Uhr laden die Südwestdeutsche Philharmonie und der Cellist Marcus Hagemann zu „Shared Ludwig“ ein. Das Circolo Quartett und Hagemann spielen Sätze aus Beethovens Quartett op. 95 und Schuberts Streichquintett sowie Carl Vines „Inner World“ für Cello und Elektronik. Carl Vine ist ein 1954 geborener australischer Komponist, sein Werk entstand 1994 und hat hohen Unterhaltungswert.
LvB gehört uns allen
Eigentlich sollte „Shared Ludwig“ bereits im Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 stattfinden. Ludwig van wurde ja am 17.12.1770 getauft und wahrscheinlich einen Tag zuvor geboren, so dass man mit Schroeder aus den „Peanuts“ inzwischen ganz allgemein den 16.12.1770 als seinen Geburtstag annimmt. Mit verschiedenen Partnern, Förderern und Schulkooperationen hatte das Orchester bereits für den November Kammerkonzerte sowie Workshops geplant. Nachdem nun auch die geplante „250+1 Geburtstagsparty“ nicht live stattfinden kann, werden Auszüge aus den geplanten Konzerten vom K9 aus gestreamt.
Interessierte finden den Zugangslink zu „Zoom“ sowie eine „Gebrauchsanweisung“ ab sofort auf der Homepage der SWP oder können den Link per E-Mail über das Abo- und Kartenbüro erhalten. Das Abo- und Kartenbüro am Fischmarkt 2 ist für Besucher geschlossen, jedoch telefonisch erreichbar: Mo bis Fr 9.00–12.30 Uhr, Tel. 07531 900 2816. Eine brauchbare Einführung in Beethovens op. 95 gibt es übrigens hier. Zu Schuberts grandiosem Streichquintett findet sich ein brauchbarer Text hier.
Weiterspielen!
„Weiterspielen!“ heißt die neue Studio-Konzertreihe von SWR2, eine Verbindung von Live-Musik und Talk. Einmal im Monat geben freiberufliche MusikerInnen im Funkstudio des SWR in Stuttgart ein Live-Konzert, dazu stoßen Gäste aus dem Kulturleben zum Gespräch. „Sehnsüchte“ ist der rote Faden der Reihe. Auch die HörerInnen können per Mail Fragen an die Gäste stellen. Einfach mal wieder das Radio eingeschaltet, ein paar Rundfunksender existieren noch! Die Konzerte und Gespräche gibt es online zum Nachhören auch auf SWR2.de und in der SWR2 App.
Samstag, 27.02.2021, 20 Uhr, SWR2 Abendkonzert: Sehnsucht nach dem Absoluten mit Patricia Kopatchinskaja (Violine) und Polina Leschenko (Klavier), Gesprächsgast ist Michael von Brück, Religionswissenschaftler, Zen- und Yogalehrer.
Aber brauchen wir in Zeiten wie diesen tatsächlich noch Religion? War es wirklich ein höheres Wesen, das all die kleinen Viren über die Welt ausgestreut hat, um den Maskenabsatz anzukurbeln – und nicht vielmehr ganz irdischer menschlicher Unverstand? Wahrscheinlich sollten wir es doch besser mit Beethoven halten: „Hier und da freudig, dann wieder traurig, vom Schicksaale abwartend, ob es unß erhört.“
Harald Borges (Bild: Marcus Hagemann, fotografiert von Yannick Delez)