Im Gemeinderat ging’s hoch her
Mit außergewöhnlicher Gründlichkeit und Leidenschaft nahm sich der Gemeinderat einer jener Fragen an, die den Konstanzer BürgerInnen täglich unter den Nägeln brennen. Eine davon war besonders knifflig: Soll das Seniorentaxi für Menschen ab 60 in der bisherigen Form weitergeführt (und vor allem auch weiter bezuschusst) werden? Wenn ja: Wer hat das Taxi bisher überhaupt benutzt, und wer soll es in Zukunft nutzen dürfen, ohne den Kreis der Anspruchsberechtigten zu weit oder zu eng zu ziehen?
Die Tagesordnung der bereits zweiten Sitzung des Gemeinderates innerhalb von 14 Tagen war ungewohnt kurz, und eine kurze Sitzung gibt den Rätinnen und Räten immer wieder einmal die seltene Gelegenheit, sich ausführlicher mit Themen zu befassen, die bei einer proppevollen Tagesordnung vermutlich eher beiläufig abgehandelt würden. Dass dabei mancher Redebeitrag auch mal etwas länger dauert, gehört einfach zu den demokratischen Gepflogenheiten an (voraussichtlich) entspannten Sitzungstagen …
Das Seniorentaxi kostet Geld
Viel Hirnschmalz hatten die Stadtmütter und -väter sichtlich bereits in der Sitzungsvorbereitung auf das Konstanzer Seniorentaxi verwendet, das seit 11. Januar Menschen über 60 zwischen zwei Bushaltestellen zum Preis einer Busfahrkarte benutzen können, um der (tatsächlichen oder vermeintlichen) Infektionsgefahr in den Stadtbussen auszuweichen. Der Gemeinderat hatte dafür im Dezember erst einmal 30.000 Euro bereitgestellt. Bisher wird das Taxi, so sagte es die Verwaltung, rund 45 mal pro Tag genutzt, und die Fahrten müssen durch die Stadt im Schnitt mit 14,- Euro bezuschusst werden. Bei gleichbleibender Nutzung reichen die bewilligten 30.000 Euro noch bis Anfang März. Um den Taxidienst bis Ende März zu verlängern, seien zusätzliche 10.000 Euro nötig.
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Ziemlich genau wollte es Alfred Reichle für seine SPD wissen. Er beklagte, dass außer ihrem Alter von 60+ nichts über die Nutzer des Taxidienstes bekannt sei: Wer also lässt sich eigentlich umherkutschieren, statt in den Bus zu steigen? In welchem Alter genau waren die Fahrgäste, und in welchen Stadtgebieten entstand die Nachfrage? Reichle monierte nicht nur, dass der Zugang ab 60 eine zu geringe Einstiegshürde sei, sondern auch, dass zusätzlich Menschen jedes Alters, die einen Behindertenausweis besitzen, damit fahren dürfen. Er hätte sich wohl eine stärkere Zugangsregelung nach der Art der Behinderung gewünscht, denn es sei nicht einzusehen, dass einfach nur gehbehinderte Menschen das Taxi benutzen dürfen, obwohl sie im Bus kein höheres Infektionsrisiko als andere Menschen hätten.
Reichle plädierte – auch angesichts der geringen Corona-Zahlen – im Namen der SPD dafür, den Taxidienst einzustellen, sowie die genehmigten 30.000 Euro irgendwann in den nächsten Wochen verbraucht sind. Außerdem war ihm auch noch ein Dorn im Auge, dass gleich ein Privatunternehmen mit dem Fahrdienst beauftragt wurde, statt erst einmal bei Sozialverbänden wie AWO, DRK und Maltesern nachzuforschen, ob die nicht diesen Dienst übernehmen können. Der intensive Vortrag des Sozialdemokraten hörte sich jedenfalls ein bisschen so an, als wolle die SPD ein eigenes „Amt für Seniorentaxistatistik und Anspruchsberechtigtenmodellverwaltung“ gründen, vielleicht aus der ursozialdemokratischen Erfahrung heraus, dass öffentlich Bedienstete besonders anfällig fürs SPD-Wählen sind.
Wir wissen nicht, was kommt
Eine ganz andere Perspektive nahm Daniel Groß (CDU) ein. er berichtete von Klagen aus der Bevölkerung, dass der Taxidienst oft nicht zu erreichen und offenkundig überlastet gewesen sei, weshalb er anregte, zusätzlich zum bisher beauftragten Taxiunternehmen weitere Firmen mit ins Boot zu holen. Auch ans Klima, das derzeit vielbeschworene, erinnerte Verena Faustein (JFK): Ihre Jugendbewegten seien zu dem Schluss gekommen, dass Einzelfahrten mit dem Taxi nur schwer mit dem Klimanotstand zu vereinbaren seien, und in den derzeit meist schwach frequentierten Bussen müsse man ohnehin kein erhöhtes Infektionsrisiko befürchten.
Die Vielfalt der Argumente in dieser Diskussion war erfrischend, denn Holger Reile vertrat für die LLK flugs die Gegenposition zu seinen VorrednerInnen. „Wir sollten uns nicht in falscher Sicherheit wiegen, denn wir wissen nicht, was wirklich auf uns zukommt“, rief er von der Leinwand mahnend in den Saal. „Die Zahlen können sich innerhalb weniger Tage verdoppeln oder verdreifachen, und die Wirkung der Mutationen des Virus kennen wir auch noch nicht. Darum müssen wir vorsichtig sein und an diesem Angebot erst einmal weiter festhalten.“
Der Stein der Weisen
Die Verwaltung machte abschließend deutlich, dass es schwerfallen dürfte, die genaue Nutzerstruktur der Seniorentaxifahrten zu ermitteln und diese nach Stadtgebieten, Alter usw. aufzuschlüsseln. Stadtkämmerer Ulrich Schwarz ergänzte, dass es auch nicht möglich sei, ein weiteres Unternehmen hinzuziehen, da es in Konstanz nur zwei Firmen mit der dafür nötigen Einsatzzentrale gebe. Eine der beiden Firmen habe damals gleich abgewinkt, so dass überhaupt nur ein qualifizierter Anbieter übriggeblieben sei. Mit der AWO etc. habe man zwar nicht gesprochen, es sei aber zweifelhaft, ob dort überhaupt ausreichend freie Transportkapazitäten vorhanden seien, denn die hätten wohl auch nur so viele Fahrzeuge, wie sie wirklich benötigen. Er verwies darauf, dass die Lösung mit Taxi Dornheim sich auch deshalb so schnell umsetzen ließ, weil dieses Unternehmen der Vertragspartner der Stadtwerke für das Ruftaxi in Staad ist und damit ein vertrauter Geschäftspartner.
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Der städtische Schatzmeister erinnerte zudem daran, dass eine Grenze von 60 Jahren ja auch viele Berufstätige mit einschließe, die so mit dem Taxi zur Arbeit fahren könnten. Deshalb habe man überlegt, ob es nicht sinnvoll sei, die Altersgrenze auf 70 Jahre hochzusetzen. Dadurch könne man sogar die Priorisierung aus dem Impfplan des Landes Baden-Württemberg für das Seniorentaxi übernehmen. „Damit wird der Kreis der Anspruchsberechtigten deutlich geringer, und ich denke, dass Menschen ab 70 auch ein erhöhtes Risiko haben. Die Erfahrungen in den Kliniken belegen ja auch, dass in dieser Altersgruppe der Verlauf oft schwerer ist. Wenn wir die Altersgrenze auf 70 festlegen, kann ich mir auch vorstellen, dass wir mit den veranschlagten 30.000 € sogar bis Ende März hinkommen, ohne die Mittel aufstocken zu müssen.“
Am Ende fand man also den Stein der Weisen: Das Anspruchsalter für das Seniorentaxi wird am 1. März auf 70 Jahre erhöht, und dann langt das bereits bewilligte Geld auch bis Ende März. Koscht nix kommt immer gut. Wenn Ende März immer noch Corona ist, will der Gemeinderat dann weitersehen.
Ach ja: Wer ein Seniorentaxi braucht, ruft spätestens 45 Minuten vorher die Telefonnummer 07531/803-5080 an und wird dann an der nächsten Bushaltestelle abgeholt.
O. Pugliese (Bild: Michael Gaida, Pixabay)