Bürgermeister Boldt stiehlt sich aus der Verantwortung

„Reichlich überrascht“ zeigt sich Nicola Voigt, Vorsitzende des Konstanzer Gesamtelternbeirates (GEB); gar „unter Druck gesetzt“ fühlt sich Tobias Bücklein, Vertreter der Gymnasien im GEB. Aufreger ist ein Brief von Bürgermeister Boldt, in dem Eltern und Schüler aufgefordert werden, einen Trägerverein zu gründen, der die Schulverpflegung ab Schuljahr 2011 organisieren soll. Und das, bitte schön, bis zum 15.September, wohlgemerkt 2010.

Als „Verantwortungsverschiebung“ versteht Nicola Voigt dieses Ansinnen des Boldt-Briefes, der nur vier Tage vor der entscheidenden Sitzung des Gemeinderates eintraf. Immerhin seien Politik, sprich der Gemeinderat, und die Verwaltung für die Daseinsvorsorge ihrer Bürgerinnen und Bürger verantwortlich. Schließlich sei der Vorschlag, einen privaten Trägerverein mit der Organisation der Schulverpflegung zu betrauen, von den Parteien – konkret aus den Reihen von FGL und CDU im Gemeinderat – gekommen. Und Tobias Bücklein ergänzt: „Als Ehrenamtliche fühlen wir uns schlicht überfordert, eine solche Mammutaufgabe zu schaffen.“

Der Anbieter ist beleidigt und drischt die Devise: Friß oder stirb

Zur Vorgeschichte: Seit Jahren wird die Schulverpflegung der drei Konstanzer Gymnasien von Schülern und Eltern kritisiert. Das Essen des Caterers apetito sei zu wenig abwechslungsreich und häufig schlecht zubereitet, ergaben Umfragen. Zudem sei nicht einzusehen, warum das Essen regelmäßig aus dem westfälischen Rheine angekarrt werden müsse, während regionale, frischere Produkte „vor der Haustür“ zu haben seien. Mehrmals wurden solche Fragen im Gemeinderat und in öffentlichen Diskussionen erörtert – die Debatte gipfelte in dem Gemeinderatsbeschluss vom 24.6., die Probezeit des apetito-Vertrages bis zum 31.7. 2011 zu verlängern und die verbleibende Zeit für Qualitätsverbesserungen zu nutzen.

Dieses Angebot lehnte apetito ab. Begründung: „Das negative Meinungsbild… über die angeblich schlechte Qualität in der Versorgung der Konstanzer Gymnasien hat sich so verfestigt, dass eine kurz- bis mittelfristige Verbesserung nicht zu erwarten ist“. Deutlicher kann ein beleidigter Hersteller es kaum ausdrücken: Friß, Schüler, oder such‘ eine andere Lösung.

Eltern sollen Tiefkühlschränke kaufen und den Buchhalter machen

Und das tut Bürgermeister Boldt auch. Nur sieht er nicht die Verwaltung in der Pflicht, sondern wälzt die Verantwortung auf die Eltern ab. Und bürdet einem irgendwann, irgendwie zu gründenden Trägerverein das gesamte Servicespektrum des bisherigen Anbieters auf – von der Herstellung des Essens über die Aufstellung von Tiefkühlschränken und Kaffeeautomaten bis zur Personalbeschaffung und zum Abrechnungswesen. Und das flugs bis zum 15. September; von den Sommerferien, in denen Lehrer und Eltern schwer verfügbar sind, ist nicht die Rede (wann gehen eigentlich Bürgermeister in Urlaub?).

Die Elternvertreter Voigt und Bücklein verfassen derweil ein Antwortschreiben an Bürgermeister Boldt, in dem ihre Bedenken, aber auch Vorwürfe emotionslos formuliert werden sollen. Ob dieser Brief aber die Verwaltung und die Stadträte rechtzeitig vor der Gemeinderatssitzung am kommenden Donnerstag erreicht, in der über das weitere Vorgehen in Sachen: Schulverpflegung entschieden werden soll, ist fraglich. Fraglich ist weniger, wer für diesen Termindruck verantwortlich zeichnet.

Der Streit um die EU-Richtlinien und die Angst der Verwaltung

Der Charme der Boldt-Lösung: Nach Rechtsauffassung der Stadtverwaltung Konstanz ist ein privater Mensaträgerverein nicht an die Ausschreibungsrichtlinien der EU gebunden wie es ein kommunaler Antragsteller ist. So könnten CO2-Vorgaben (wichtig bei der apetito-Anfahrtsstrecke aus dem 600km entfernten Rheine) und regionalpolitische Gesichtspunkte bei Antragstellung eines privaten Vereins eher berücksichtigt werden.

Doch da liegt die Stadtverwaltung nach Ansicht von Umweltexperten und Stadträten falsch. Auch eine Ausschreibung der Verwaltung könnte ökologische und soziale Gesichtspunkte einbringen. Denn wenig beachtet wird die Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB, § 97 (4) vom 22. 04.2009), welches „nunmehr die Zulässigkeit von sozialen, umweltbezogenen und innovativen Aspekten bei Beschaffungsverfahren der öffentlichen Auftraggeber“ festschreibt. Ein Ansatzpunkt, um die Schulverpflegung in vernünftige Bahnen zu lenken. Doch die Stadtverwaltung zeigt wenig Interesse, die Möglichkeiten der Gesetzesanpassung auszuschöpfen. Und sei es um den Preis einer gerichtlichen Klärung – das sollten die Schüler schon wert sein.

Mit den Bürgern reden und auf ihre Vorschläge hören

Elternvertreterin Voigt sieht zusätzlichen Diskussionsbedarf: „Wo steht geschrieben, dass alle drei Gymnasien en bloc versorgt werden müssen? Gibt es nicht auch eine Chance für separate Lösungen? Und: Eltern und Lehrer sollten rechtzeitig einbezogen werden in die Planung der Essensversorgung, ihre Anregungen beachtet werden. Das ist bislang viel zu wenig geschehen“.

Das ist doch mal – mit den Bürgern zu reden – eine Aufgabe für die Stadtverwaltung.

Autor: Hans-Peter Koch