Anscheinend ist das ansteckend
Jede größere Wahl wirft ihre Schatten voraus – in Form von Wahlplakaten, Wahlprüfsteinen und Podiumsdiskussionen zu so ziemlich allen möglichen oder unmöglichen Themen. Zu den wichtigeren Diskussionsgegenständen der Landtagswahl am 14. März gehört der Verkehr, und hier ganz speziell der Radverkehr als Teil der Klimawende. Der stets rege ADFC hat aus diesem Anlass klare Forderungen an die Politik formuliert. Außerdem glänzt Konstanz nicht zum ersten Mal als Radstadt, und das gleich doppelt.
Der ADFC (Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club) hat anlässlich der Wahl bereits einen ganzen Katalog von Forderungen an die Politik zusammengestellt, aus denen drei Kernpunkte hervorragen: 1. Durch ein Landes-Radgesetz sollen Landkreise, Städte und Gemeinden verpflichtet werden, den Radverkehr vor Ort zu stärken – bisher ist das eine freiwillige Aufgabe, wie die gravierend unterschiedlichen (Nicht-)Ausbaustufen der Radverkehrsinfrastruktur allerorten beweisen. 2. soll die neue Landesregierung eine progressive Radverkehrspolitik der Kommunen fördern, die letztlich einen Großteil (rund 80%) der der vorgeschlagenen Verbesserungsmaßnahmen schultern müssen – die verbleibenden 20% der Radwege verteilen sich übrigens auf Land (Landesstraßen, Wald), Bund (Bundesstraßen, Bundeswasserstraßen), Deutsche Bahn und weiteren Privatbesitz. Und 3. soll die Straßenverkehrsordnung (StVO) bekannter gemacht und deren Einhaltung auf den Straßen zum Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer kontrolliert werden.
Das alles hört sich nicht gerade wie der markige Schrei nach einer Verkehrsrevolution an, die uns in nur wenigen Jahren auf den Stand von Kopenhagen vor drei Jahrzehnten bringt, aber immerhin lädt der ADFC zu weiteren Online-Diskussionen ein und hat einen eigenen, sehr umfassenden Internetauftritt zur Landtagswahl eingerichtet, den Sie hier finden. Es erstaunt übrigens bei der Lektüre dieser Internetseiten, dass die heutigen Forderungen auch schon vor den Landtagswahlen 2011 und 2016 aktuell waren – was darauf hindeutet, dass sich in den (bisher immerhin zehn) grünbewegten Kretschmann-Jahren zugunsten der tatsächlichen Verkehrswende verdammt wenig Zählbares getan hat.
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Konstanz gut im Rennen
Neulich hallte im Paradies das Knallen der Sektkorken wider, weil im Verwaltungsgebäude an der Laube in einigen Büros (wo die Beschäftigen sonst eher das Knallen der Peitsche kennen) mal so richtig gefeiert wurde. Der städtische Radfahrbeauftragte, so heißt es aus gewöhnlich gut informierter Quelle, strahlte stärker als die Ruine von Fukushima, und auch die Stadtoberen waren ausnahmsweise mal mit sich selbst über alle Maßen zufrieden. Also erließen sie folgende Mitteilung an das Volk:
„Welche Städte waren 2020 besonders fahrradfreundlich? Wie sicher fühlen sich Radfahrende auf deutschen Straßen? Und wo müssen Städte ansetzen, um den Radverkehr noch besser zu fördern? Antworten gibt dieses Jahr wieder der ADFC-Fahrradklima-Test […]. Die große Online-Umfrage fand im Herbst letzten Jahres zum neunten Mal statt, mit einer Rekordbeteiligung von fast 230.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Über 1.000 Städte aus sechs Stadtgrößengruppen haben die geforderte Mindestteilnehmerzahl erreicht und sind so in die Wertung für das Städteranking gekommen. In Konstanz haben sich im Jahr 2020 über 450 Personen an der Befragung beteiligt – mehr als jemals zuvor, was das weiterhin steigende Interesse an der Radverkehrsförderung in der Stadt zeigt.[1]
Fahrradklima-Test ist Heimspiel
Die Stadt Konstanz wurde bereits vor zwei Jahren für die Ergebnisse im Fahrradklima-Test 2018 ausgezeichnet. Damals hat sie in der Stadtgrößenklasse 50.000-100.000 EinwohnerInnen bundesweit Platz drei belegt. Zusätzlich erreichte die Konstanz den ersten Platz in der Kategorie ‚Aufholer‘. Das heißt, dass die Stadt Konstanz im Vergleich zur Befragung 2016 die größte Verbesserung [aller beurteilten Städte und Gemeinden] erzielen konnte.“
Am 16. März 2021 gibt es eine digitale Auszeichnungsveranstaltung und eine anschließende Fachveranstaltung, woran (neben dem schlichtweg Unsäglichen, dessen Name hier verschwiegen wird) auch Ulrich Syberg, Bundesvorsitzender des ADFC, teilnimmt – der selbst wissen muss, wie weit er sich als Feigenblatt für Politiker gebrauchen lassen will oder muss. Die Ergebnisse der Befragung sehen Sie übrigens ab Mitte März hier[[https://fahrradklima-test.adfc.de/]].
Und der städtische Radfahrbeauftragte? Ihm wurde unter der Androhung, ihm einen Dienst-LKW hinzustellen, striktestens verboten, die Stadt zu verlassen, weil er noch dringend gebraucht wird. Zum Beispiel die in Villingen würden ihn sonst sicher gefangen nehmen und im Kellerverlies des Rathauses zu lebenslänglicher Planungs-Zwangsarbeit anschmieden.
Aus unhipp mach‘ hipp
Eine gute Nachricht aus der städtischen Pressestelle kommt selten allein: Die Stadt Konstanz erhält jetzt auch noch das Förderpaket der RadKULTUR. Man merkt schon an der augenkrebsträchtigen Mischung von Groß- und Kleinschreibung im Namen dieser Initiative, dass es sich dabei nur um eine Propagandaveranstaltung handeln kann, die sich ein paar hippe Kreative gegen viel Geld für ein paar unhippe PolitikerInnen ausgedacht haben, um den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Die Politik will schließlich einen hervorglänzenden Pelz vorzeigen, ohne sich wirklich nass machen zu müssen. Aber immerhin – Konstanz hat im Vergleich mit anderen Kommunen des Landes (am Weltniveau misst man sich sicherheitshalber ja gar nicht erst) auch einiges vorzuweisen.
Hier die Jubelmeldung: „In der Radstadt Konstanz werden im Gesamtverkehr innerhalb des Stadtgebiets (Binnen- und Quelle-Ziel-Verkehr) deutlich mehr Wege mit dem Rad (und zu Fuß) zurückgelegt als im Bundesdurchschnitt. Einen weiteren Anschub neben dem von der Verwaltung initiierten Handlungsprogramm Radverkehr erhält die Stadt nun von der Initiative RadKULTUR des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg. Im Rahmen der Initiative unterstützt das Ministerium die Stadt bei der Planung und Durchführung von Aktionen rund ums Fahrradfahren – etwa Mitmach-Kampagnen oder Service-Angebote[n] für Bürgerinnen und Bürger. Ziel ist es, die Radverkehrs-Kommunikation weiter auszubauen und die Menschen vor Ort mit einem vielfältigen, bunten und spannenden Programm für das Radfahren im Alltag zu begeistern. Auf diese Weise soll in Konstanz eine fahrradfreundliche Mobilitätskultur nachhaltig gestärkt werden. […] Das Land stellt Mittel in Höhe von 20.000 Euro für das Jahr 2021 zur Verfügung; hinzu kommen 5.000 Euro Eigenanteil der Stadt. […] Weitere Informationen unter www.radkultur-bw.de.“
Wieder einmal finden wir uns hier in den Fängen des erkenntnistheoretischen Idealismus, der die Welt von den Füßen auf den Kopf stellt: Die BürgerInnen sollen durch bunte und spannende Programme diese Welt endlich als eine längst fahrradfreundliche zu begreifen lernen. Und sowie sie das endlich kapiert haben, wird ihr Bewusstsein ihr Sein bestimmen. Dann werden sie plötzlich ganz von allein massenhaft aufs Fahrrad umsteigen, ohne dass die Obrigkeit auch nur einen Cent für ausreichend breite Radwege, Fahrradabstellanlagen, Ampelschaltungen und Erschießungskommandos für mordlüsterne AutofahrerInnen ausgeben muss …
Wenn die Verhaltnisse suboptimal sind, redet uns die Obrigkeit einfach ein, dass der Kaiser nicht nackt ist, sondern ganz neue Kleider trägt. Freibier für alle wäre irgendwie besser.
O. Pugliese (Text und Bild)
[1] Das ist natürlich blühender Unfug. Steigende TeilnehmerInnenzahlen sind ein Zeichen dafür, dass sich der Test über die Jahre langsam rumgesprochen hat und dass viele Menschen im Homeoffice während ihrer Arbeitszeit lieber Online-Umfrageformule ausfüllen, als für ihren verhassten Brötchengeber noch viel schlimmere und drögere Tätigkeiten zu verrichten.