AfD-Blättle: Südkurier leistet Wahlkampfhilfe

Angesichts der anstehenden Landtagswahlen bläst die lokale AfD zum werbetechnischen Großangriff – und legt Konstanzer Anzeiger und Südkurier ein als Zeitung verkleidetes Werbeblättchen bei. Darin das übliche Diffamierende und Relativierende zu Klimaschutz und Coronazahlen. Doch das Problem liegt nicht darin, dass die AfD hier ihrer kruden Auffassung von Meinungsfreiheit nachkommt, sondern darin, dass die Lokalpresse alternative Fakten billigt und ihnen eine Plattform zugesteht.

Von Windrädern und Klimawandel

Mit zwei Artikeln auf der Aufmacherseite verfolgt das AfD-Blättle ein perfides Narrativ: Die Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels und zur Eindämmung der Corona-Pandemie sollen als unverhältnismäßig, unkoordiniert und für die Region schädlich bloßgestellt werden. Das Problem dabei ist nur: So richtig Hand und Fuß haben die Zahlen nicht.

Zwei Exkurse zur Erläuterung vorab:

Die großen, bösen neuen Windrädertypen seien äußerst schädlich für das Landschaftsbild der „Tourismus-Region Bodensee“. In einem derart „windarmen Bundesland“ sei außerdem der Ausbau von Windenergie eh nicht zielführend und außerdem gehe durch den Bau der Windradfundamente voll viel Natur kaputt. Also bitte kein Klimaschutz vor unserer Haustür, sonst bleiben uns ja noch die Touris weg. Das passt natürlich blendend zu den Forderungen aus dem AfD-Wahlprogramm, die den menschengemachten Klimawandel und dessen Auswirkungen auch auf den Süden Deutschlands leugnen. Man kann sich nicht von Kohleabbau und Atomenergie loseisen – und lässt dabei außen vor, dass deren Auswirkungen auf Landschaft, Natur und Klima diejenigen von Onshore-Windrädern um ein Vielfaches übersteigen.

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Die AfD löst Probleme also vor allem durch Kleinreden und Ignorieren; ihr fehlt der Blick für wirtschaftlich und politisch weitsichtiges Handeln. Denn wenn wir auf lange Sicht günstigen, klimaverträglichen Strom produzieren wollen, kommen wir an Windkraft auch hier vor Ort nicht vorbei. Um hier mal wieder das Phrasenschwein zu dreschen, der Klimawandel ist so ziemlich die größte Herausforderung unserer Zeit und um diesen zu bekämpfen, braucht es auch ein Weiterentwickeln entsprechender Technologien. In Deutschland und Baden-Württemberg haben wir Industrie und Know-How, ebendiese zu entwickeln und umsetzen. Das gilt auch für Windräder, die immer effizienter werden; rückbaufähiger, größer, kleiner, was wir auch immer wollen und was für den jeweiligen Standort angemessen und umsetzbar ist. Stattdessen versanden mehrere Tausend theoretisch verfügbare Megawatt in Genehmigungsverfahren, die von lokalen politischen Ortsverbänden aus vorgeschobenen Landschaftsschutzgründen verhindert werden. Stattdessen baut man dann lieber x-te Verkehrsachse und Autobahn durch genau dieselben Schutzgebiete.

Wenn man sich wirtschaftlich weiterentwickeln möchte, muss man aber die Entwicklung neuer Technologien zulassen und darf nicht mit Strohmannargumenten industriellen Fortschritt sabotieren. Doch genau das tut – absurderweise – die AfD-Neinsager-Partei in ihrem Wahlprogramm. Dabei ist es gefährlich, weiter auf endliche Energieträger zu setzen, die dazu nur über massive Subventionen überhaupt noch finanzierbar sind. Sonst will die AfD doch auch immer Wirtschaft und Industrie vor Ort stärken, stattdessen rettet sie jetzt Natur und Landschaft mit Kohleabbau und Atommüll. Kannste dir nicht ausdenken.

Corona als Fake News? – Statistiklesen für Anfänger

Der zweite große Aufhänger im Blättle dreht sich darum, dass die grüne Landtagskandidatin Nese Erikli dem AfDler Thorsten Otterbach bei der Südkurier Podiumsdiskussion ins Wort gefallen sei. (seemoz berichtete zur kruden Zusammensetzung der Diskussionsparteien.) Otterbach habe hier Daten des Statistischen Bundesamts (DESTATIS) vorgelegt, die belegten, dass es im Jahre 2020 bei den Sterbefällen unter den über 65-Jährigen (und generell) keine signifikante Zunahme gegeben hätte. Erikli bezeichnet den von Otterbach hochgehaltenen Ausdruck als „alternative Fakten“ und „Fake News“. Die Situation ist in der Südkurier-Podiumsdiskussion festgehalten, die Zahlen sind sehr prominent auf der ersten Seite der „AfD-Seesicht“ abgedruckt.

Das Problem dabei ist: Obwohl die AfD-Schreiberlinge die Daten richtig von DESTATIS kopiert haben, hat Erikli trotzdem Recht. Otterbach ist mit alternativen Fakten in die Diskussion gezogen und posaunt diese jetzt groß in seinem Hetzblättle hinaus. Denn die Zahlen, mit denen Otterbach beim Südkurier herumwedelt, haben für die Entwicklung der Todesfälle insbesondere während der verheerenden zweiten Welle keine Aussagekraft. Sie sind nämlich zum falschen Zeitpunkt (vor der Pandemie, ohne Berücksichtigung des Anstiegs der Todesfälle ab Winter 2020) und ohne eingerechneten Meldeverzug (bis zu 60 Tage) erhoben worden. Genau; richtig gelesen. Otterbach hetzt gegen die Coronamaßnahmen der zweiten Welle mit Daten, die vor der zweiten Welle erhoben worden sind.

Stattdessen liest man in exakt der Pressemitteilung des DESTATIS, aus der Otterbach seine Zahlen geholt hat, von „29 [Prozent] beziehungsweise 24.038 Menschen mehr als in den Jahren 2016 bis 2019, [die] durchschnittlich im Dezember verstorben waren. Im November 2020 lagen die Sterbefallzahlen nach aktuellem Stand 12 [Prozent] über dem Durchschnitt der vier Vorjahre.“ Es sind laut Statistik im Dezember 2020 über 100.000 Personen verstorben, so viele wie seit 1969 in einem Dezember nicht mehr. Da war nämlich Hongkong-Grippe. Man hört aus AfD- und Querdenkerkreisen immer wieder, dass Corona nur wie eine Grippe sei. Angesichts dieser Zahlen kann man guten Gewissens sagen: Stimmt, allerdings wie eine sehr tödliche Grippe und eine mit pandemischen Ausmaßen.

Solche Relativierungen sind gefährlich. Leute, die sie herumposaunen und so tun, als hätten sie eine Faktenbasis, sind besonders gefährlich. Gefährlich sind aber auch diejenigen, die diesen MarktschreierInnen eine Plattform geben und die nicht dagegen einstehen, wenn jemand herkommt und sich seine Zahlen so dreht, wie es ihm gerade passt. Denn sowas darf man laut Meinungsfreiheit zwar; was dabei herumkommt, ist aber unwahr und ganz zu Recht als „Fake News“ betitelt worden.

Dabei erfüllen die beiden Artikel zu den Windrädern und den Corona-Sterbefällen eine Funktion. Sie sollen die Maßnahmen für den Klimaschutz und zur Eindämmung der Corona-Pandemie relativieren. Diese sollen als unnötig, schädlich und wahnwitzig dargestellt werden. Denn was dann im Inneren des Blättles folgt, ist das Leid der Armen und Kleinen, des Einzelhandels und der Sportvereine, die von denen da oben in der Politik wegen dummer Nichtigkeiten drangsaliert werden. Die Texte sind voller Strohmannargumente, falscher Darstellungen und  Unwahrheiten. Aussagen werden aus ihrem Kontext gerissen: z. B. zu LKW-Oberleitungen oder Rückbaumaßnahmen und -konzepten für größere Bauvorhaben (was Otterbach als Bauunternehmer und Häuslebauer natürlich gegen den Strich geht). Dass wir hier über wissenschaftlich belegte Situationen und Kontexte reden, die gut erforscht sind und für die es klare Belege gibt, fällt dabei irgendwie unter den Tisch.

Und der Südkurier? Macht mit!

Das postfaktische, an den Haaren herbeigezogene Gefasel der AfD ist dabei die eine Sache – und sollte mittlerweile auch nicht mehr verwundern. Doch dass man dieses Geschwurbel nun auch frei Haus in Südkurier und Konstanzer Anzeiger geliefert bekommt, ist eine neue Ebene. Klar ist die „AfD-Seesicht“ nicht Teil von Südkurier und Anzeiger, sondern eine querfinanzierte Wahlwerbeeinlage. Sie ist also offiziell kein Produkt der journalistisch-redaktionellen „Leistungen“ des Südkurier. Man kann sich allerdings schon überlegen, ob man das so gutheißen will, wenn eine der größten Regionalzeitungen im Südwesten in einem rechtskonservativen wirtschaftsliberalen Schulterschluss das Programm einer teilweise faschistoiden Bewegung einfach so zwischen Sportteil und Karstadt-Werbung zu dulden kann.

Der Südkurier und der Konstanzer Anzeiger sind Teil desselben Unternehmens, genauso wie die Druckerei Konstanz in der Max-Stromeyer-Straße, die Südkurier, Anzeiger und „AfD-Seesicht“ ausdruckt. Das alles ist natürlich nicht verboten. Der Südkurier darf AfD-Wahlwerbung in seine Druckerzeugnisse einlegen. Und wird für diese Dienstleistung vermutlich (hoffentlich) auch kassiert haben, denn Druckerzeugnisse in derartigen Auflagen (offiziell 89.000 Stück) sind freilich nicht günstig. Die dürfen das alle. Denn Zeitungen, Magazine etc. sind nicht zur neutralen Berichterstattung verpflichtet.

Politische Karikaturen dürfen und sollen Personen des öffentlichen Lebens verhohnepiepeln. Müssen sie deswegen rassistische Stereotype bedienen? Vermutlich nicht.

Wenn der Südkurier aber das Programm einer rechtsextremen Partei so beilegt, fragt man sich schon, wer das abgenickt hat. Auch wenn die AfD nicht in irgendeiner Form verfassungsrechtlich verboten ist, hat sie doch deutliche Verbindungen in diverse rechtsextreme Netzwerke. Und das nicht nur im ach so rechtsextremen „Flügel“ in Thüringen, sondern auch und gerade hier in Baden-Württemberg. Die AfD ist keine Partei wie die anderen, sie ist kein Vertreter der sogenannten „Bürgerlichen Mitte“ oder gar eine Alternative. Sie ist eine hoch toxische Mischung aus rechtskonservativem Wirtschaftsliberalismus auf der einen und blankem Rechtsextremismus auf der anderen Seite; mit Verbindungen zu Polizei, rechten Terrornetzwerken und Reichsbürgern. Otterbach gibt sich hier zwar als konservativer Familienvater, aber auch er wartet auf seiner Homepage mit einer Reihe rassistischer, diffamierender Karikaturen auf, allesamt stereotyp und platt. Dafür alle in ihrer Bildsprache giftig und diskriminierend.

Otterbach wirbt auf seinen Plakaten und im Blättle mit „Meinung, ja. Sagen, nein?“ Doch, Thorsten, du darfst deine Meinung frei verkündigen und du darfst sie im Südkurier abdrucken lassen. Du darfst auch Werbung schalten und du darfst sie deinem ganzen deutschen Volke kundtun. Wenn du aber anfängst, Leute zu diskriminieren und Fakten zu verdrehen, brauchst du dich dann nicht wundern, wenn da jemand was dagegen hat. Und wir alle können uns überlegen, ob diejenigen, die sowas nur ein paar Tage nach dem Gedenken an Hanau eine Plattform geben, ihre Berechtigung als „Meinungsmedium“ in der Region noch verdient haben.

Jonas Haas (Text und Bilder)

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