„Mehr Demokratie wagen“ – BürgerInnenräte in Deutschland
Hinter dem althergebrachten und etwas ausgelullten Willy-Brandt-Zitat versteckt sich eine eigentlich recht zeitgemäße Idee. Zufällig ausgewählte BürgerInnen sollen in BürgerInnenräten mehr Beteiligung am politischen Geschehen um sie herum bekommen. Das heißt, mehr langwierige Plenarsitzungen, endlose Debatten und Diskussionen in stickigen Tagungsräumen? Richtig, aber durch die zufällige Mischung aus Personen besteht die Chance auf frische Ideen und neuen Input. Insbesondere in der Lokalpolitik.
Warum BürgerInnenbeteiligung?
Politische Ratsgremien innerhalb und außerhalb der Region haben für gewöhnlich die Tendenz, zur immer gleichen Zurschaustellung der immer gleichen Personen zu verkommen. Um politische Maßnahmen geht es in den endlosen Sitzungen oft schon lange nicht mehr, stattdessen reichlich Phrasendrescherei und Lagerbildung.
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Das macht die einzelnen Entscheidungsinstanzen nicht nur handlungsunfähig, es vergrämt vor allem auch diejenigen, die eigentlich Lust auf politische Beteiligung haben, aber sich dieses ganze Tohuwabohu nicht antun wollen. Und weil unsere Gemeinderäte, Gremien und Parlamente trotz Fridays for Future wenig Sinn für APOs haben, gab es irgendwann einmal die Idee, BürgerInnen zufällig auszulosen, in einen Tagungsraum zu stecken und diskutieren zu lassen. BürgerInnenräte werden bereits weltweit zu bestimmten Themen eingesetzt, um – gestützt und angeleitet von „unabhängigen“ ExpertInnen – neue Ideen zu entwickeln.
Dadurch dass die Beteiligten zufällig ausgelost werden, ergibt sich ein verhältnismäßig bunt-diverses Konglomerat an Meinungen, Positionen und Vorwissen. So diskutieren auf einmal Leute miteinander, die vorher eigentlich recht wenig miteinander zu tun hatten. Die eigene Filterblase durchbrechen, auch mal eigene Meinungen auf den Prüfstand stellen und Anderen zuhören. Einfache Leute, ein Querschnitt der Gesellschaft, entwickeln konkrete Ansätze zu gesellschaftlichen Herausforderungen für die Politik. In Zeiten von Social-Media-Bubbles und politisch mauernder Lagerbildung klingt das wie ein basisdemokratischer Fiebertraum.
Ein Rat für Konstanz?
Inspiriert von solchen Räten hat sich in Konstanz eine Initiative geformt, die sich für die Einrichtung eines solchen BürgerInnenrates einsetzt: das Konstanzer Bürger:innenkonzil. Insgesamt existieren in Deutschland auf lokaler Ebene bereits 14 etablierte oder angekündigte BürgerInnenräte sowie 30 Initiativen, die sich für die Einrichtung von lokalen BürgerInnenräten einsetzen. In Konstanz gibt es darüber hinaus der Bürgerbudget mit einem ähnlichen Konzept.
Dabei geht es nicht nur um kommunalpolitische Angelegenheiten: Aktuell tagt in Etappen der BürgerInnenrat Deutschlands Rolle in der Welt, in dessen Rahmen zufällig Ausgeloste Empfehlungen an die Politik übergeben sollen. Ob selbige diese dann auch annimmt oder gar umsetzt, steht in den Sternen. Bürokratisierte, aufgeblähte parlamentarische Regierungen scheinen Beratergremien vor allem dann in Anspruch zu nehmen, wenn die mindestens fünfstellige Beträge kosten.
Doch einen famosen Nebeneffekt können diese Räte mit sich bringen: nämlich eine Diskussionskultur etablieren, die „denen da oben“ schon seit einiger Zeit abgeht und die man auch in der Bevölkerung allzu oft vermisst. An den Räten Beteiligte berichten, dass die Debatten vor allem dazu führten, Respekt für andere zu entwickeln. Die Argumente der Anderen würden zu Ende gehört und die eigenen Thesen nochmal neu reflektiert, wenn neue Fakten und Inputs auf den Tisch kamen. Die Beteiligten würden darüber hinaus auch die Erkenntnisse in ihr privates und berufliches Umfeld hineintragen. Denn Meinungen – eigene wie fremde – sind nicht sakrosankt und heilig – sie sind debattierbar und kritikfähig. Und wenn sich diese Idee von Anstand und gegenseitigem Respekt für das Argument anderer mehr verbreitete, dann hätten wir eine bessere Gesellschaft. Und mehr Kekse! Auch wenn die Kekse bei Tagungen normalerweise nicht so gut sind. Doch unabhängig davon, was dann irgendwelche PolitikerInnen aus den Empfehlungen machen. Wenn solche Räte es wirklich schafften, Filterblasen zu durchbrechen; der Mehrwert für ein Miteinander in der Gesellschaft hin zum faktenbasierten Austausch wäre unermesslich. Man wird ja mal noch träumen dürfen.
Text: MM/jh