Auf zur Wahl: Schau! Mich! Bloß! Nicht! An!
Pünktlich zur Landtagswahl sind sie wieder da und sprießen überall in unserer Stadt aus dem Boden wie die Hundehaufen: Wahlplakate. Zumeist rechteckig und bunt, aber immer mit einer fundierten Aussage von solcher Komplexität, dass selbst eine hirnamputierte Süßbieramöbe das große Gähnen kriegt – aber lassen wir das. Doch hinter der glänzenden Oberfläche verbergen sich oft geheime Gedankengänge von ungeahnter Tiefe, die die Wahlentscheidung hunderttausender WählerInnen beeinflussen sollten.
Auf zu einem kleinen historischen Exkurs, der nötig wird, um die Botschaften unserer Bildungsbürger von der CDU zu verstehen, die ihre bewusstseinserweiternden Sachargumente besonders geschickt zu transportieren verstehen.
Sie kennen sie vielleicht noch, die berühmte „geistig-moralische Wende“[1], die einst ein birnenförmiger Pfälzer, der, wenn überhaupt auf irgendetwas, auf den Kampfnamen Helmut Kohl hörte, im Wahlkampf 1980 einforderte, ehe er sie dann von 1982 bis 1998 als Bundeskanzler wacker in Angriff nahm? Wie sich bald herausstellte, wurden er und einige Mitstreiter dabei sogar selbstlos durch Spenden eines Großkonzerns unterstützt, der das aber aus lauter Selbstlosigkeit und Bescheidenheit lieber nicht publik gemacht hatte, zumal ihm für andere selbstlose Taten auch noch ziemlich viele Steuern erlassen worden waren. Aber das gehört eigentlich nicht hierher, sondern mag nur an das historisch einmalige Bündnis für die Freiheit erinnern, in dessen Tradition sich jetzt Levin Eisenmann, Landtagskandidat der CDU und angehendes Freiheitsidol, mit berechtigtem Stolz stellt.
Die große Freiheit
Diese in die Geschichte eingegangene geistig-moralische W. der CDU und ihrer Hilfstruppen bewirkte damals nämlich nicht einfach nur Gutes, sondern sogar ganz besonders Gutes, denn sie beendete so nebenbei die Knechtschaft eines zweigeteilten Fernsehvolkes, das schon immer gesamtdeutsch fernsah. Hatte bisher das (ausschließlich öffentlich-rechtliche) West-Fernsehprogramm gegen später aufgehört und erst am nächsten Vormittag wieder begonnen, so hielt ab 1984 die große Freiheit Einzug in die Wohnzimmer, dank sei der CDU. Wahrhaft Fernsehsüchtige mussten endlich nicht mehr die Hälfte ihrer Wachzeit beim Betrachten eines flimmernden Testbildes verbringen, das die ganze Nacht über ausgestrahlt wurde und das nur wirklich Einsame noch heute in- und auswendig kennen. Es sah so aus wie hier abgebildet, und dieser Anblick wird Ihnen verständlich machen, wie versklavt wir bis zu Kohls Amtsantritt unter der linken Medienknute leben mussten:
Man mag es sich heute kaum noch vorstellen: Unser Fernsehen war – letztlich vermutlich aus Moskau – fremdbestimmt durch Intendanten, Rundfunkräte und ähnliches Gesocks, aber nun wurde alles besser. Jüngst hatte noch ein Ministerpräsident geklagt, das Volk werde von den linken Ideologen in den Rundfunkanstalten gezwungen, sich mehrstündige Dokus über die psychosozialen Probleme alleinlebender homosexueller Blattläuse anzuschauen, statt sich in anrührenden Schlagershows emotional und philosophisch fortzubilden. Jetzt bekam das Volk von einer einsichtigen Regierung und einigen freiheitsliebenden Medienkonzernen präsentiert, was es sich nie zu wünschen getraut hatte: Fernsehen rund um die Uhr. Und es bekam eine Programmvielfalt, die es sich nie zu verlangen getraut hätte.
Wie es uns gepfählt
Die offenherzige Dauerwerbesendung „Tutti Frutti“[2] wurde ab 1990 zum Leitmedium einer ganzen Generation. In ihr ging es darum, dass alle möglichen Menschen, darunter angehende Nebendarstellerinnen in B-Pornofilmen, unter den haarsträubendsten Vorwänden blankzogen. Ja, liebe CDU, die gerade in den frühen Neunzigern nach dem Mauerfall wie besessen masturbierenden Knaben in den Mittelstufen ganzer Jesuiten-Internate danken Dir diesen Sprung in die Freiheit noch heute durch ihre treue Gefolgschaft. Bis dahin waren ihre sexuellen Aussichten eher etwas einseitig gewesen, nix war es für die Schüler vor der geistig-moralischen W. mit dem Anblick leibhaftiger weiblicher Brüste, wie es auch der Dichtermund dezent andeutet:
„Dienstmägde wussten wie auch Knaben,
abends will sie der Pfarrer haben.“
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Das Schärfste an der geistig-moralischen Wende waren in Wirklichkeit aber nicht Shows wie „Tutti Frutti“, sondern die Werbeunterbrechungen nach 22 Uhr, denn so etwas hatte es überhaupt noch nicht gegeben, seit Gottes Wort erstmals über den Wassern schwebte: „Scharfe Girls warten auf Dich, [im Hintergrund schlechte Lustgestöhnimitation, hörbar produziert in einem osteuropäischen Billiglohnland:] ruf‘ gleich an unter fünfmal-die-Acht-dreimal-die-Sieben, nur drei-Mark-sechsundreißig pro Minute, ich bin schon ganz feucht“, so in diesem Stil. Mancher brave Mann hatte schließlich seine liebe Müh und Not, seiner Frau zu erklären, wieso die Telefonrechnung im letzten Monat von den üblichen DM 28,92 für Gespräche mit den Schwiegereltern auf DM 1.293,96 hochgeschnellt war.
Die Königin der Lenden
Die beste Nummer in der Werbung aber war eine ziemlich billig, aber durchaus entschlossen wirkende Pseudo-Domina, deren Spruch für einige Jahre Volksgut deutscher Dichtung wurde: Zum Knallen einer Peitsche, mit der sie sich aus lauter Unbeholfenheit beinahe selber in die melancholische Visage schlug, und mit der Hundeleine einer Sklavin um den Hals rief sie wirren Blicks, sichtlich verzweifelt und mit verstellter Stimme diktatorisch in die Kamera: „Ruf! Mich! An!“ (siehe das Bild am Anfang).
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Ja, das war die Freiheit, die wir schon immer vermisst hatten! Alles billigst gemacht, der reinste Müll, aber das roch nach Freiheit pur. Wir hatten endlich die Wahl – zwischen Schrott, hirnerweichender Scheiße und einer halbwegs scharfen Pseudodominapseudoblondine, die uns am Telefon die Peitsche geben wollte für nur zwei-Mark-vierzich pro Minute. Schade vielleicht, dass in der damals gewonnenen neuen Fernsehfreiheit nicht nur die nächtliche Werbung billig gemacht war, sondern auch die Reallöhne zu sinken begannen. Aber für die Freiheit haben wir dieses kleine Opfer doch gern gebracht (besser tot als rot), denn wir hatten endlich richtiges Fernsehen, Fernsehen für freie Bürger, die sich schließlich zwischen 500 Sendern entscheiden wollen müssen dürfen, danke CDU (und FDP und …)!
Ein Gespräch mit Levin Eisenmann sagt mehr als tausend Worte
Levin Eisenmann, 23 Jahre junger und sichtlich dynamischer Landtagskandidat der CDU, punktet durch Charme und stringente Argumentation, womit er sich schon jetzt die dauerhafte Achtung auch all jener erworben hat, die ihn aus selbstgefälligem Atheismus nicht wählen werden (die meisten seemoz-MacherInnen zählen zu diesen elenden Gestalten). Ihm gelten trotzdem unser Dank und unsere Anerkennung, denn er kämpft auch für uns, die Brüder der romantischen Verlierer.
Es ist allein Eisenmanns tiefem Freiheits- und Geschichtsverständnis zu verdanken, dass ein wenig dieser ungeahnten Freiheit, die wir vor vielen Jahren damals plötzlich vor dem Fernseher erleben durften, jetzt endlich wieder durch Konstanz weht, nach all den finsteren Jahren einer bleiernen grünen Ökodiktatur (mit der ja die CDU, abgesehen von ihrer klitzekleinen Regierungsbeteiligung, nicht das Geringste zu tun hat). Also plakatiert Eisenmann jetzt in Konstanz: „Ruf! Mich! An!“ Ja, ruft da reflexartig der mündige Mensch in uns, das kennen wir doch, das ist die Freiheit, die wir meinen! Danke!
Eisenmann ist echt lustig, und sein Spruch ist voll retro, aye Mann, und wenn er sich zu seinen Videokonferenzen auch noch die richtige Perücke aufsetzt, wird er bald einige verstockte Linke, die sich heimlich schon seit 1871 nach einer zünftigen Stilikone gesehnt haben, zu seinen künftigen Stammwählern zählen dürfen. Die richtige Figur für eine Freiheitsstatue hat er ja, und – Hand aufs Herz – mit etwas schwarzem Leder, einem Hundehalsband und mindestens drei Brustimplantaten hat er eine Chance darauf, Stimmenkönig im gesamten freiheitsliebenden Ländle zu werden. Wie er dann im passenden Outfit beim Online-BürgerInnendialog aussieht, davon können Sie sich schon jetzt ein Bild machen, denn hier gibt es ein tolles Original-Video zum Nachschminken.
Wer die Wahl hat, hat die Qual, hieß es doch früher immer. Wie wahr.
O. Pugliese (Text, Fotos und Screenshots; das Testbild stammt aus Wikipedia: Rotkaeppchen68 (in de.wikipedia), CC BY-SA 3.0)
Quellen
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Geistig-moralische_Wende
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Tutti_Frutti_(Show)