Grüne im Höhenflug, CDU und SPD im Tal der Tränen, Linke mit Achtungserfolg, AfD lässt Federn
Die Grünen können den erwarteten Wahlsieg bei der Landtagswahl feiern, auch in der Region. Mit 42,11 Prozent zieht Nese Erikli als Direktkandidatin für den Konstanzer Wahlkreis 56 wieder in den Landtag ein, gegenüber 2016 legte sie prozentual um 2,47 Punkte. zu. Dorothea Wehinger kam im Singener Wahlkreis 57 auf 32,09 Prozent und durfte sich damit gar über ein Plus von 3,34 Prozentpunkten freuen.
Konnten die alten und neuen Landtagsabgeordneten vom Kretschmann-Bonus profitieren, dessen landesväterlich-konservatives Image gerade in Corona-Zeiten offenkundig gut ankommt, wurden im Gegensatz dazu die CDU-Kandidaten vom Abwärtstrend ihrer Partei erwischt – Stichwort Maskenaffäre und Aserbaidschan-Connection. Schon vor fünf Jahren war es für die hiesigen CDUler nach unten gegangen, jetzt erreichten ihre Bewerber schon fast als historisch zu bezeichnende Tiefstände: Bei 18,17 Prozent – minus 4, 44 Prozentpunkte – landete Levin Eisenmann im Wahlkreis Konstanz, auf 21,52 Prozent – minus 7,23 Prozentpunkte – kam Parteifreund Tobias Herrmann im WK Singen.
Im linken Lager sollte sich die Freude über die Verluste der Union indes in Grenzen halten, spricht doch einiges dafür, dass sie mehrheitlich der FDP zugutekamen, die gegenüber 2016 deutlich zulegte: Um 3,43 auf 11,74 Prozent in Singen, um 3 auf 12,07 Prozent in Konstanz.
Mit Grausen dürfte die SPD ihr Ergebnis im WK Konstanz zur Kenntnis genommen haben. Petra Rietzler schaffte gerade mal 8,35 Prozent (minus 3,89). Ihr Genosse Hans-Peter Storz immerhin konnte in Singen mit 12,25 (minus 0,55) den Schaden begrenzen. Auch diese Ergebnisse sagen nur bedingt etwas über die BewerberInnen aus: Der SPD nehmen die Leute die Oppositionspose einfach nicht ab, in der sie sich im Land geübt hat, zumal sie bei kommunalen Entscheidungen nicht selten konservativ-liberaler Politik die Stange hält.
Obwohl es die Linke auch im dritten Anlauf nicht geschafft hat, mit ihrem sozial-ökologischen Programm in den Landtag einzuziehen, dürfen sich ihre BewerberInnen in den Heimatwahlkreisen, wenn auch gedämpft, über Achtungserfolge freuen. Mit einem Ergebnis von 5,36 Prozent konnte die Konstanzer Kandidatin Antje Behler ein Plus von 1,5 Prozent einfahren, Franz Segbers holte in Singen 2,99 Prozent (plus 0,83).
Deutlich Federn lassen musste die AfD. Doch soll es uns wirklich optimistisch stimmen, dass die mit Faschisten durchsetzte Rechtspartei im Wahlkreis Konstanz 5,8 statt wie vor fünf Jahren 9,43 Prozent der Stimmen holt und in Singen 11,32 statt 15,75 Prozent?
jüg
@ Jan Rübcke:
Wir diskutieren in der Partei auch über eine Welt ohne Waffen, die mindestens genauso weit entfernt ist wie der Sprung über die 5 % – Hürde. Im Übrigen würde ich mir eine konstruktivere Streitkultur wünschen, für die DIE LINKE aber leider nicht bekannt ist.
Du kannst mich gerne zum weiteren Austausch per Mail erreichen.
Dennis Riehle: „Als Mitglied der LINKEN wünsche ich mir, dass wir weniger Aufmerksamkeit für theoretische Debatten über unsere Ausrichtung verschwenden,“ So sehe ich das auch. Leider machst Du genau das. Ich kenne das erwähnte Schreiben nicht, aber für eine (meine) Partei die es bedauerlicherweise nicht schafft in den Landtag zu kommen eine abstrakte Debatte über Regierungsfähigkeit anzuregen scheint mir in hohem Maße absurd.
DIE LINKE hat den Einzug in den baden-württembergischen Landtag auch dieses Mal verpasst. Wenngleich selbst die Umfragen prognostizierten, dass es erneut für das Erreichen der Fünf-Prozent-Hürde nicht ausreichen würde, standen die Vorzeichen beim jetzigen Urnengang nicht allzu schlecht. Immerhin hatten einige Demoskopen eine Zustimmungsrate von vier Prozent gesehen, was ein Überspringen der Klausel zumindest für möglich erschienen ließ.
Auch die Wahlanalysen machen deutlich: Die Themen, für die die Menschen DIE LINKE am letzten Sonntag in Baden-Württemberg gewählt haben, sind zwar aufgrund der Corona-Pandemie im Augenblick nicht in aller Munde. Dennoch stehen sie auf der Tagesordnung für die neue Legislaturperiode. In der Befragung der potenziellen LINKEN-Wähler wird der Partei eine große Kompetenz in Sozialfragen, bei der Integration und Migration sowie in der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum nachgesagt.
Man mag es auf die Notwendigkeit zum Online-Wahlkampf schieben, dass die Bürger mit diesen Schwerpunkten linker Politik derzeit nicht erreicht werden können. Gleichwohl sehe ich andere Ursachen dafür, dass es auch beim Urnengang 2021 nicht für Mandate im Stuttgarter Parlament reichte. Beispielhaft für die Probleme der Partei steht aus meiner Sicht eine überaus irritierende Aussendung der LINKEN-Bundesgeschäftsstelle, die zwei Tage vor der Abstimmung versandt wurde. Mit der Überschrift „Jetzt gilt’s: Für eine echte Opposition im Landtag“ warb man dort dafür, besonders im persönlichen Bekanntenkreis auf den letzten Metern für linke Stimmen einzutreten.
Ob nun bewusst oder unbewusst – diese Wortwahl rief die immerwährende Diskussion innerhalb der LINKEN hervor, die uns nicht erst seit dem digitalen Parteitag befasst: Warum sind wir nicht selbstbewusst genug, um unser Ziel höher zu stecken? Wenngleich eine Koalition unter einem grünen Ministerpräsidenten wie Winfried Kretschmann überaus unwahrscheinlich ist, sollten wir uns nicht ständig mit der Oppositionsbank zufriedengeben. Wir LINKE sind auch in Baden-Württemberg regierungsfähig! Ich weiß darum, dass diese Gretchenfrage Ost und West teilt, Flügel spaltet und Genossen zweiteilt. Trotzdem können wir uns nicht dauerhaft vor Verantwortung drücken.
Es ist aus meiner Sicht eine Verpflichtung und ein Ziel jeder demokratischen Partei, sich zum Mitregieren bereitzuerklären. Selbstredend lässt es sich von der Seitenlinie leichter kritisieren, doch um ernstgenommen zu werden, bedarf es der Bereitschaft zum Regierungshandeln. Was soll der Wähler von uns erwarten, wenn wir uns dauernd mit der Oppositionsrolle begnügen? Gerade auf Landesebene scheint die Möglichkeit zu thematischen Kompromissen größer als im Bund. Und betrachtet man die Wahltagsbefragungen, so trauen uns die Menschen zu, in unseren Kernbereichen für Veränderung zu sorgen. Diesem Anspruch werden wir aber nicht gerecht, wenn wir uns kleinmachen und stets nur in zweiter Reihe mitspielen wollen. Wir müssen das Tabu zu aktiver Mitgestaltung brechen und sollten es nicht wie eine ewige Monstranz vor uns hertragen.
Wozu Denkverbote führen, hat nicht zuletzt die SPD aktuell wieder deutlich gemacht – und auch unsere Partei ist in Gefahr, denselben Fehler zu begehen: Wenn Sternchen, Doppelpunkte und „Binnen-I“ unsere politische Identität stärker auszeichnen als eindeutige Antworten auf die wirklichen Probleme der Zeit, dann dürfen wir uns nicht über fehlende Prozente wundern. Gleichberechtigung wird nicht auf dem Papier lebendig, sondern durch handfeste Positionen für mehr Teilhabe von Frauen und Minderheiten. Weg mit der Symbolpolitik, her mit der klaren Kante.
Als Mitglied der LINKEN wünsche ich mir, dass wir weniger Aufmerksamkeit für theoretische Debatten über unsere Ausrichtung verschwenden, sondern den Menschen in einem neoliberal geprägten Land eine wirkliche Alternative für deren Lebensalltag anbieten. Unser Bekenntnis zu einem sozial-ökologischen Wandel muss mit wirklichkeitsnahen Konzepten für einen gerechteren Lebensstandard in Deutschland verbunden werden. Es genügt nicht, nach einem demokratischen Sozialismus zu rufen – der Wunsch nach Veränderung muss mit authentischen, krisenfesten und belastbaren Argumenten für die Schwächsten unterfüttert werden.
Im Übrigen zeigt die Stimmenverteilung auch, dass DIE LINKE in der Peripherie, die sie bislang vielleicht nicht als allerstes Wahlkampfgebiet im Auge hatte, durchaus Erfolge erzielen kann. Das belegt nicht zuletzt das überdurchschnittliche Abschneiden der Konstanzer Spitzenkandidatin Antje Behler, die nicht nur in den sozialen Brennpunkten urbaner Gefilde proportional wachsende Stimmenanteile verbuchen konnte. Ich plädiere daher dafür, künftig über den bisherigen Tellerrand zu denken und uns für weitere Klientel zu öffnen – denn in einem Staat, in dem selbst große Teile der Mittelschicht nicht mehr von ihrem Einkommen existieren können, erweitert sich unsere Zielgruppe ungemein. Wir haben fünf Jahre Zeit, um den Fokus der Menschen von unseren parteieigenen Auseinandersetzungen wegzulenken – und sie von unseren Stärken zu überzeugen.
In der Fixierung auf die Linke ist es seemoz entgangen, dass Hans-Peter Storz aus Singen ein Landtagsmandat für die SPD erringen konnte.
Also den linken Achtungserfolg habe ich leider trotz intensiver Suche noch nicht finden können.
Schade, dass es auch weiterhin keine progressive Kraft links der grünen Regierung im Landtag gibt. So ist leider schon jetzt klar, dass die Kompromisse der nächsten Jahre allesamt in Richtung konservativ reaktionär gehen werden und Soziales und Klimaschutz im Zweifel immer den Kürzeren ziehen.