Kommunaler Ordnungsdurst schlägt wieder zu
Spaß muss sein, aber Ordnung noch ein bisschen mehr, zumindest, wenn es um die Wohngegenden der Bessergestellten geht. In diesem Sinne wurde mit knapper Mehrheit die Aufstockung des Kommunalen Ordnungsdienstes beschlossen – trotz der Stellenvermehrungssperre. Wenn es um die Nachtruhe an der Konstanzer Croisette geht, ist der Ratsmehrheit und ihrem OB nichts zu teuer, und es gibt neue Stellen wie sonst nur für Feuerwehr, Kitas und ähnlich überlebenswichtige Dinge.
Die CDU, das Bollwerk der Demokratie, kennt anscheinend höhere Werte als Abstimmungsergebnisse, zumindest wenn letztere ihr nicht in den Kram passen. Sie schreibt: „Zu Recht sind die Konstanzer Bürger über eine als arrogant empfundene Entscheidung der Ausschussmehrheit im HFA [Haupt- und Finanzausschuss] entsetzt. Denn das Recht auf Nachtruhe ist für das Gemeinwohl unverzichtbar. Die CDU Fraktion wird deshalb niemals locker lassen, auch wenn sich die Ausschussmehrheit des HFA noch so mit Scheinargumenten für ‚Präventionsappelle‘ ausgesprochen hat statt für eine wirksame Personalmaßnahme.“ Solche markigen Worte schreiben die Verteidiger der bürgerlichen Freiheiten ihren Gegnern ins Stammbuch. Will heißen: Nach Meinung der CDU soll die Stadt endlich mehr schwarze (?) Sheriffs einstellen, um an warmen Abenden längs der Ufer richtig durchzugreifen und für Ruhe zu sorgen.
In höchster Not kommt die Kavallerie
Genauso muss es sein! Wenn sich die zumeist etwas besser betuchten Anwohner von Herosé-Park und Seestraße von den Indianern belagert wähnen, weiß die CDU, dass die Friedenspfeife nicht hilft, sondern trompetet entschlossen nach der Kavallerie, denn diesen Leuten soll das Anwohnen ja auch Spaß machen. Im letzten Jahr hatte sich die nächtliche Lage dort offenkundig zugespitzt, weil sämtliche sonstigen Vergnügungsstätten wegen Corona geschlossen waren und die Menschen aus ihrer Isolation ans Wasser strömten.
Da es in diesem Jahr kaum besser aussehen dürfte, sollen jetzt – trotz des sonst so strikten Spardiktates – zwei zusätzliche Kräfte eingestellt werden, um ein Musik- und Trinkspielverbot im Park und am Wasser durchzusetzen. Selbst die Verwaltung ist dafür, weil „durch eine Personalverstärkung des KOD [Kommunalen Ordnungsdienstes] auch in der Zukunft eine verstärkte Kontrollmöglichkeit geschaffen wird und Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum effektiver bearbeitet werden“ können. Zu bedauern ist aus Verwaltungssicht allerdings, dass die KODler nicht berechtigt sind, auch die lautstarken Raser auf der Reichenaustraße zu stellen.
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Nicht der Weisheit letzter Schluss
Allerdings verpasst die Verwaltung den AnwohnerInnen und deren selbstlosen Beschützern von der CDU auch einige Wermutstropfen. Die Beschwerdeführer seien zwar wirklich zutiefst verzweifelt, heißt es in der Vorlage, aber sie hätten teils auch unrealistische Forderungen und Vorstellungen, denen selbst mit mehr Personal nicht beizukommen sei.
Womit dann? Mit gezieltem Schusswaffeneinsatz? Aber daran wagen selbst die Ruhekämpfer von der CDU nicht zu denken, wie Roger Tscheulin ausdrücklich betonte: Die CDU will nach seinen Worten an den Brennpunkten der Stadt ausdrücklich zwar die Nachtruhe durchsetzen, aber keine Friedhofsruhe schaffen. Das dürften manche AnwohnerInnen der Seepromenade von ganzem Herzen bedauern, denn sie hätten sicher nichts dagegen, wenn ab und zu ein paar Schüsse aus Dienstpistolen durch die Nacht peitschten – abgegeben mit aufgepflanzten Schalldämpfern, wie sich wohl von selbst versteht.
Eins, zwei … Bier
Natürlich gibt es auch eine andere Seite, die gern vergessen wird, an die die Verwaltung aber dennoch todesmutig erinnert. Sie hält fest, dass „der Freizeitwert des öffentlichen Raumes für alle BürgerInnen ebenfalls ein hohes Gut darstellt und auch das Bürgeramt mit dem KOD bei seiner Arbeit stets nicht nur die Individualinteressen der Anwohnenden, sondern auch das Gemeinwohl, insbesondere der gesamten Konstanzer Bevölkerung und der Besuchenden, im Auge behalten muss“. Will heißen, dass man die besseren Wohnviertel für das gemeine Volk nicht einfach sperren kann.
Also gibt es statt Natodraht, Schießbefehl und einem Anti-Rüpel-Schutzwall um die betroffenen Quartiere in den nächsten beiden Sommern mehr Ordnungskräfte und zumindest für diesen Sommer zudem eine schmucke „Polizeiverordnung 2021 über ein nächtliches Musik- und Trinkspielverbot“ im gesamten öffentlichen Raum der Stadt Konstanz. Von einer Lex Herosé-Park kann also keine Rede sein, denn es geht um die „öffentlichen Flächen des gesamten Stadtgebietes der Stadt Konstanz (einschließlich Ortsteile) mit Ausnahme des Geländes ‚Klein Venedig‘ (Flst. Nr. 2255; zwischen Sealife und Landesgrenze)“.
„Beer Pong“ und „Flunkyball“ erst ab 6 Uhr morgens
Auch an nächtliche Trinkspiele wie z.B. „Beer Pong“ und „Flunkyball“ ist nicht mehr zu denken – und das ist höchst löblich, denn die Leute werden sich endlich wieder erinnern, dass das Trinken kein Spiel ist, sondern die Aufbietung des gesamten verfügbaren sittlichen Ernstes erfordert, auf dass die Trinkkultur gehoben werde: Die Flasche sachte und mit inniglichem Bedacht angesetzt – und dann den Kopf schlagartig zurückgeworfen wie ein Pianist!
Außerdem ist es von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr auch noch verboten, „Rundfunk- und Fernsehgeräte, Lautsprecher, Bluetooth-Boxen, Tonwiedergabegeräte und Musikinstrumente zu betreiben oder zu spielen“. Aber wo sämtliche Musikgeräte verboten sind, werden sich unter den – mit allem gebotenen Ernst – Zechenden hoffentlich genug musikalische Geister finden, die irgendwann nach Mitternacht einen Chor bilden, der ganz ohne Lautsprecher, Bluetooth-Boxen und Instrumentalbegleitung, rein a capella, ein Ständchen für die Anwohner anstimmt: Etwa den „Gefangenenchor“ von Verdi, gefolgt von Beethovens „Freude, schöner Götterfunken“. Garantiert vermisst auch niemand mehr die doofen Trinkspiele, wenn kurz vor Morgengrauen aus hunderten Kehlen als Zugabe der Weckruf erschallt: „Singet den Herrn ein neues Lied.“
O. Pugliese (Text und Bild)
Frau Pfeiffer, das ist ohne jeden Zweifel ein super schöner Park. Man darf aber nicht den Fehler machen und eine Kleinstadt wie Konstanz mit einer Großstadt vergleichen. Sowohl am Herose-Park wie auch am Seerhein/Schänzle sind die Wohnhäuser/Wohngebiete ganz dicht am Gelände. Da sind Menschenansammlungen immer eine Lärmbelastung und sobald Alkohol hinzukommt wird es für die Anwohner unerträglich – Lärm – Müll – Fäkalien/Urin, Ballermann eben. Mit Kultur auf gutem Niveau hat das rein gar nichts zu tun.
@Elisabeth Pfeifer
„Ein 27 Hektar großes, grünes und eingezäuntes Gelände, welches nachts seine Türen schließt. Leben und Kultur pur!“
Von Schließung habe ich nichts entdecken können, weder hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Vondelpark
noch hier
https://amsterdam.sehenswuerdigkeiten-online.de/sehenswuerdigkeiten/vondelpark.html
Dafür das hier:
„Am Abend hinter den Büschen
In lauen Nächsten sind hinter Büschen zuweilen ganz besondere sportliche Übungen zu beobachten. Wer sich mit seinem Partner schon immer mal in der freien Natur vergnügen wolle, dass das im Vondelpark seit 2008 ganz legal tun. Ausnahme: In die Nähe von Kinderspielplätzen darf man dabei nicht kommen. Außerdem müssen alle entstandenen Abfälle sorgfältig beseitig werden, soviel Ordnung muss dann doch sein.“
Auf den Shitstorm darf sich mensch allerdings vergnüglich vorbereiten.
Um auf das Thema Herose zurückzukommen und die damit verknüpften Betrachtungen: Mir stößt es bis zum Kot… auf, wie der Begriff sozial vergewaltigt wird. Angefangen bei der Stadtverwaltung bis hin zu den einschlägigen Kommentaren.
Siehe hierzu
„Umgangssprachlicher Gebrauch
In der Umgangssprache bedeutet „sozial“ den Bezug einer Person auf eine oder mehrere andere Personen; dies schließt die Fähigkeit (zumeist) einer Person, sich für andere zu interessieren und sich einzufühlen mit ein. Aber es bedeutet auch, anderen zu helfen und eigene Interessen zurückzustellen.“ (Wikipedia)
Niemand bestreitet die Notwendigkeit eines Mindestmaßes an Rücksicht. Die Bebauung und die damit verbundenen Folgen sind aber von vornherein – strukturell – asozial.
Eine Anregung, eine Möglichkeit.
Nehmt doch Amsterdam als Vorbild! Vondelpark. Ein Traum.
Was den New Yorker ihr Central Park ist, ist den Amsterdamer ihr Vondelpark. Ein 27 Hektar großes, grünes und eingezäuntes Gelände, welches nachts seine Türen schließt. Leben und Kultur pur!
Bevor hier jetzt der Shitstorm loslegt, schaut euch im Internet diesen Traum von öffentlichen Park an und vor allem: Informiert euch!
Elisabeth
Ich schließe mich Herrn Enderlins und Herrn Strupps Meinung an. Ballermann vor Wohnhäuser im Herzen der Stadt muss gestoppt werden. Ein jeder versetze sich bitte einmal in die Situation der Anwohner. Naherholung sieht anders aus: Hier lohnt der Blick zu unseren Nachbarn in der Schweiz. Dort wurde ein wunderschöner Park für Familien geschaffen und ein paar einfache und klare Regeln sorgen dafür, dass weder am Tag noch in der Nacht Saufgelage stattfinden – und Blutooth-Boxen ist für die Anwohner einfach nich zumutbar.
Davon abgesehen passt „alcohol in public“ nicht zu einer modernen Gesellschaft, die durch Leistung den Lebensstandard auch für nachfolgende Generationen vorbereiten und absichern möchte.
Das Thema Herose muß auch in diesem Zusammenhang betrachtet werden:
„…Und so forderte am 1. Mai 1975 der damalige Konstanzer DGB-Vorsitzende Erwin Reisacher am Ende der Maikundgebung auf dem Obermarkt die Versammelten zu einer Demonstration auf: für einen öffentlichen Zugang zum Seeufer. Und fast alle zogen mit – die Seestraße entlang bin zum Yachthafen und den Villengrundstücken, deren Besitzer die Seegrundstücke okkupierten, und dann über die Zäune hinweg. Dieser Akt des zivilen Ungehorsams hat erst ermöglicht, was heute viele KonstanzerInnen als selbstverständlich vorkommt: Der freie Zugang zum Seeufer musste erkämpft werden.“
(https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/in-konstanz-und-singen-heraus-zum-1-mai/)
Das Herose-Areal war ein Industriegrundstück, das nach Aufgabe des Unternehmensstandortes umgewidmet wurde. Es wäre Aufgabe des Gemeinderats gewesen, aus Reisachers Mai-Spaziergang die entsprechenden Lehren zu ziehen.
Also,
– wenn Bebauung, dann in gebührend/schallgeschütztem Abstand zum Rheinufer, das natürlich den Konstanzern insgesamt gehört
– für den Uferbereich eine Infrastruktur bereitzustellen ähnlich wie am Hörnle.
Daß diese Lehren nicht kapiert oder aber scheinbar folgenlos hingenommen wurden, läßt den Schluß zu, daß der bürgerliche Teil im Gemeinderat damals wie heute den Law and Order-Phantasien der Nachkriegszeit fetischistisch ergeben waren bzw. sind.
Nebenbei: Wenn in der Diskussion über den aktuellen Stand von Sozialneid die Rede ist – wer ist denn wem was neidisch? Die „Partygänger“ den von ihnen geplagt-gefolterten Anwohnern mit ihren unerträglichen Qualen? Gehts noch eine Schippe widersinniger?
Danke Herr Strupp
Ein grölendes Partyvolk nach 22:00 Uhr braucht niemand.
Egal welcher sozialen Schicht er angehört.
Ruhestörung / Dreck und menschliche Hinterlassenschaften auf privaten oder öffentlichen Grundstücken
sind in der ganzen Stand (Gemeinde) fehl am Platz.
Und das darf mit der rechtlichen Argumentation auch durchgesetzt werden.
Wie wäre denn der Tenor dieses Artikels und der Kommentatoren wenn sich sich das ganze in Staad am Ufer oder an der Seestrasse abspielen würde…?
Nicht auszudenken.
Ich wäre dafür die Personen des Ordnungsdienstes mit zusätzlichen Aufgaben und den notwendigen Kompetenzen auszustatten, damit z. B. in der Bodanstrasse oder an der Europastrasse die PS Protzer auch richtig zur Kasse gebeten werden könnten.
Es ist aufgrund der Pandemie und der Jahreszeit im Augenblick noch relativ ruhig…….
Mit der Betonung auf noch
Ich bin auf entsprechende Artikel ab dem Sommer gespannt.
Was soll der latente Sozialneid, welche hier durch die Zeilen schimmert? Ist es nun etwa in umgekehrter Korrelation vom Geldbeutel abhängig, ab wann Gesetze auch wirklich durchgesetzt werden?
Herr Enderlin hat recht, dass insbesondere ab 23ooUhr hier Zeitgenossen das Ruder übernehmen, welche das Herose als Naherholungsfläche für alle „Normalos“ (egal ob mit vollem oder leerem Geldbeutel) quasi zur NoGo Area macht. Vom Morgen danach will ich garnicht reden – mit meinen Enkeln mache ich einen riesen Bogen um das Gelände, da es von Müll und Glasscherben übersäht ist.
Präventionsangebote sind immer gut und effektiv, vorausgesetzt sie werden richtig einsetzt. Wenn man sich die entsprechende Krawallklientel alleine von der Altersstruktur anschaut, bin ich mir sehr unsicher, ob das ein erfolgsversprechendes Mittel ist, das bewusste Fehlverhalten der Chaot:Innen in den Griff zu bekommen.
Wir sollten, nicht nur im Interesse der Anwohner sondern aller Konstanzer:innen dieses wunderbare Stück öffentlichen Grunds nicht denen überlassen, die ob ihrem Verhalten alle anderen in Geiselhaft nehmen.
Ich bin zwar weder Reich noch Schön, trotzdem wohne ich in der näheren Umgebung zum Herosé Park. Und obwohl ich auch der Meinung bin, dass bspw. Prävention immer vor Repression stehen muss, war im letzten Jahr einfach ein Level erreicht was ein Eingreifen notwendig gemacht hat.
Das Verbot von Bluetooth-Boxen war eine der Maßnahmen die aus meiner Sicht notwendig waren. Petershausen ist, aller Anstrengung der Stadtverwaltung zum Trotz, immer noch ein Stadtviertel mit einer gut durchmischten Bevölkerung. Der Vorwurf des Reichenviertels schießt daher weit am Ziel vorbei. Zumindest für uns muss ich feststellen, dass der Herosé seine Eigenschaft als Naherholungsfläche schon vor ein paar Jahren eingebüst hat.
> Das müssten ja wohl alle Konstanzer sein, welche die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt stemmen müssen!
Jo.
Mich würden die Mieten am Heroseareal mal interessieren. Habe Freunde, die dort 15% günstiger und deutlich schöner pro m² Wohnen als ich. ¯\_(ツ)_/¯
Das die CDU auf Demokratie und Selbstverpflichtung (Stichwort: Ehrenerklärung) scheißt ist auf Bundesebene ja bekannt, auf Landesebene nun häufiger aber mittlerweile auch im Gemeinderat?
Wie dämlich muss man denn sein.
Ab wann ist man besser betucht? Das müssten ja wohl alle Konstanzer sein, welche die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt stemmen müssen!