Warnstreik mal anders

Die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie stocken. Nach mittlerweile drei Monaten und über 20 regionalen Ver­hand­lungs­runden ist klar: Die Unternehmer­ver­bände wollen die Corona-Krise nutzen, um die Forderungen der IG Metall vom Tisch zu bekommen. Seit Ende der Friedenspflicht am 28. Februar haben gegen diese Verweigerungs­haltung bundesweit rund 430.000 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt. Auch in der Bodensee-Region gab es letzte Woche Warnstreiks – digital.

Drei Ziele verfolgt die IG Metall in der Tarifrunde nach eigenen Angaben: Beschäftigung sichern, Zukunft gestalten, Einkommen stabilisieren. Dafür will sie vier Prozent mehr Lohn, Teile der Entgelterhöhung sollen indes auch zur Beschäftigungssicherung verwendet werden dürfen. Betrieben, die Personal abbauen wollen, soll mit der Möglichkeit entgegengekommen werden, die Wochenarbeitszeit mit einem Teillohnverzicht zu verkürzen. Zudem will die IGM mit sogenannten Zukunftstarifverträgen auf betrieblicher Ebene Vereinbarungen über Investionen, Qualifizierung sowie Standort- und Beschäftigungssicherung abschließen.

Diesen maßvollen Forderungen zum Trotz zeigen die Arbeitgeberbände der Gewerkschaft die kalte Schulter. Über mehr Einkommen wollen sie frühestens 2022 reden, auch den weiteren Bestandteilen des gewerkschaftlichen Forderungspakets wird eine Absage erteilt. Es sei „unverantwortlich“, sagte etwa der Hauptgeschäftsführer von Metall NRW, wo zuletzt verhandelt wurde, „den teilweise um ihre Existenz kämpfenden Betrieben in diesem Jahr zusätzliche Kostenbelastungen zuzumuten“.

Die Gewerkschaft hält mit Argumenten zur Wirtschaftslage dagegen. Die habe sich nicht nur stabilisiert, die Wirtschaftsinstitute prognostizierten sogar bis zu 5 Prozent Wachstum in diesem Jahr. „Auch die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie erwarten mittlerweile einen deutlichen Aufschwung. Laut ifo-Institut rechnen mehr als ein Drittel der Betriebe damit, dass die Produktion zunimmt. Die Auftragseingänge haben längst wieder den Stand vor Corona erreicht“, heißt es dazu auf der IGM-Website. Dennoch wollten 7,6 Prozent der Betriebe weiter Jobs abbauen, kritisiert die IGM: „Die Beschäftigten sollen Corona und die Transformation bezahlen. Hauptsache, die Rendite stimmt.“

Das sehen viele Lohnabhängige offenkundig ebenso. Allein vergangenen Freitag streikten etwa in Baden-Württemberg mehr als 29.000 Beschäftigte in 156 Betrieben. Coronabedingt konnten die Aktionen dabei nicht wie gewohnt vor den Werkstoren oder auf der Straße stattfinden. Stattdessen erprobten die GewerkschaftsaktivistInnen neue Formen wie etwa Autokorsi oder den Streik im Homeoffice. So wählten sich am See letzten Freitag viele Beschäftigte in einen vormittäglichen Warnstreik-Livestream ein.

Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen

In einer Pressemitteilung fassen die Geschäftsstellen der IG Metall Singen und der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben das Geschehen am 12. März zusammen:

Zum Warm-Up der Bodenseeregion begrüßte Christina Stobwasser die digitalen Warnstreikenden mit der Botschaft: „Gerade jetzt ist es wichtiger denn je, zusammen für unsere Forderungen einzustehen, gemeinsam Druck zu machen. Und alleine die Reaktionen des Arbeitgeberverbands im Vorfeld zeigen, dass dieses Format gewaltigen Druck entfaltet hat.“

Warum die Forderungen der IG Metall insbesondere für die Beschäftigten in unserer Region wichtig sind, unterstrichen die Statements unserer betrieblichen Kollegen. Uwe Wiedenbach, Betriebsratsvorsitzender von Siemens Logistics berichtete: „Für unseren Standort in Konstanz brauchen wir das Instrument der Zukunftstarifverträge, um konkret vereinbaren zu können, wie sich unser Standort in den kommenden Jahren entwickeln soll. Unser Steckenpferd, die Briefverteilmaschinen, werden an Umsatz verlieren. Gleichzeitig erlebt das Paketgeschäft einen Auftrieb. Hier brauchen wir fixe Investitionszusagen am Standort und wir wollen Mitsprache beim Entwicklungsbudget. Das zeigt: Transformation und Zukunftstarifverträge sind nicht nur ein Thema für die Automobilindustrie.“

Nickels Witte, Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung von Airbus Space & Defence in Immenstaad stellte die Forderungen von jungen Beschäftigten vor: „Dual-Studierende fallen bisher nicht unter die Geltung der Tarifverträge. Für die Dual Studierenden ist es ein Unding, wie Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden. Wer Zukunft will, muss die junge Generation mitnehmen.“

Für Achim Zinser, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der mtu in Friedrichshafen ist klar: „Wer den Konsum stärken will, muss mit guten Entgelten dafür sorgen, dass die Beschäftigten nach der Coronakrise auch die Mittel haben, den Einzelhandel zu stärken. Viele Betriebe der Metall- und Elektroindustrie sind gut durch die Krise gekommen und haben hohe Dividenden an ihre Anteilseigner ausgeschüttet. Unsere Forderung nach 4% höheren Entgelten ist deshalb angemessen. Und in Betrieben, denen es nicht gut geht, kann das Volumen zur Beschäftigungssicherung verwendet werden.“

„Alle Befragungen zeigen, dass die Sicherung ihres Arbeitsplatzes bei den Beschäftigen den höchsten Stellenwert genießt. Der Flächentarifvertrag kann dazu den Beitrag leisten, Instrumente bereitzuhalten, wie zur Überbrückung von schlechten Zeiten die Arbeitszeit kollektiv abgesenkt und so Beschäftigung gehalten werden kann. Bei der ZF haben wir solche Instrumente bereits vereinbart. Warum das in der Fläche nicht gehen soll, erschließt sich mir nicht“, kommentierte Achim Dietrich, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der ZF, die Verweigerungshaltung der Arbeitgeber angesichts der Forderung der IG Metall nach Instrumenten zur Arbeitszeitabsenkung mit Teilentgeltausgleich.

Helene Sommer, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben und Singen, zeigte sich zufrieden über den ersten digitalen Warnstreik: „Die Arbeitgeber dachten die IG Metall ist nicht handlungsfähig, weil die Menschen sich im Homeoffice befinden. Der heutige Tag hat das Gegenteil bewiesen. Die IG Metall hat eine Forderung gestellt, die allen Belangen gerecht wird. Für diejenigen Betriebe, die Probleme haben, sichern wir die Beschäftigung, für diejenigen Betriebe, in denen es gut läuft, steigern wir das Entgelt, aber gemeinsam kämpfen wir darum, dass bereits tariflich erreichte Standards nicht von den Arbeitgebern unterminiert werden.“

MM/jüg (Bild: Screenshot streik-alarm.de)