Alle Jahre wieder … kommt Konstanz aufs Treppchen
Die Stadt Konstanz hat beim Fahrradklimatest 2020 des ADFC wie auch schon vor zwei und vor vier Jahren wieder einmal ausgezeichnet abgeschnitten und wurde dafür vorgestern vom Liebling aller antisexuellen seemoz-RedakteurInnen, Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, belobigt. Die Arbeit von Gregor Gaffga, dem städtischen Radfahrbeauftragten unser aller Herzen und Waden, trägt also reiche Früchte und katapultiert Konstanz auf Platz 3 jener schmucken Städtchen, die auf keinem Schulglobus zu finden sind.
Eigentlich wollte ich ja Ihre geschätzte Aufmerksamkeit testen und hier einen zwei Jahre alten seemoz-Text wiederveröffentlichen, denn er ist noch immer aktuell: Konstanz kann sich in Fahrraddeutschland sehen lassen. Die ADFC- Fahrradklimaumfrage, die gerade zum neunten Male stattfand, förderte diese bahnbrechende Erkenntnis zutage, und auch sie hat wieder einmal einen Rekord aufgestellt: Rund 230.000 Menschen haben Ende letzten Jahres trotz oder wegen Corona die Fahrradfreundlichkeit von 1.024 Städten und Gemeinden in Deutschland bewertet, das waren insgesamt rund 60.000 Radelnde oder 35% mehr als im Jahre 2018 – anscheinend haben die Leute nichts mehr zu tun, als Fragebögen vollzuklicken. Etliche Kommunen, in denen die Mindestteilnehmerzahl nicht erreicht wurde, haben es übrigens nicht in die wissenschaftliche Schlussabrechnung geschafft.
Negativer Langzeittrend hält an
Allerdings sind die Probleme für den Radverkehr weiterhin massiv, und das bundesweit: Der ADFC konstatiert bitter: Den „RadfahrerInnen in Deutschland sind ein gutes Sicherheitsgefühl (81%), die Akzeptanz von Radfahrenden durch andere Verkehrsteilnehmende (80%) sowie ein konfliktfreies Miteinander von Rad- und Autoverkehr (79%) besonders wichtig. Doch es fehlen, insbesondere im ersten Jahr der Corona-Pandemie, in fast allen Städten handfeste Signale für die Fahrradfreundlichkeit – mit 5,3 wurde dieser Aspekt am negativsten bewertet. Dazu kommen bekannte Probleme wie zu schmale Radwege und die zu geringe Kontrolle von Falschparkenden.“ Mit anderen Worten: Die Fahrradinfrastruktur lässt in der zumeist autogerecht konzipierten deutschen Verkehrswirklichkeit massiv zu wünschen übrig, wie auch der Blutzoll beweist, den die RadlerInnen der Nation weiterhin Tag für Tag zu entrichten haben. Aber dieses Elend ist ja mittlerweile sattsam bekannt und wird durch Imagebroschüren und flotte Mitmachaktionen mutig bekämpft.
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Die Sieger
Doch wenden wir uns erfreulicheren Themen zu, denen nämlich, die es aufs Siegertreppchen geschafft haben, noch ehe sie unter die Räder eines Rechtsabbiegers kommen konnten. „Beim ADFC-Fahrradklima-Test 2020 liegt bei den Großstädten über 500.000 EinwohnerInnen Bremen vor Hannover und Frankfurt am Main. In der Städtegröße 200.000 bis 500.000 EinwohnerInnen platziert sich Karlsruhe vor Münster und Freiburg im Breisgau. Göttingen bleibt bei den Großstädten mit 100.000 bis 200.000 EinwohnerInnen auf Platz eins, gefolgt von Erlangen und Heidelberg. In der Kategorie 50.000 bis 100.000 EinwohnerInnen siegt Nordhorn vor Bocholt und Konstanz. Bei den Städten 20.000 bis 50.000 EinwohnerInnen liegt Baunatal erneut vorne, während Meckenheim und Westerstede die Plätze zwei und drei neu erobern. Bei den Städten bis 20.000 Einwohner schneidet Wettringen dieses Mal am besten ab, gefolgt von Reken und Rutesheim, das sich neu in der Spitzengruppe einfindet,“ so die Veranstaltenden.
Corona-Pandemie und Aufholer
„Der ADFC-Fahrradklima-Test 2020 zeichnet die Stadt Berlin aus, die sich während der Corona-Pandemie besonders für das Radfahren eingesetzt hat. Und er legt besonderes Augenmerk auf die Städte, die die größten Fortschritte gemacht haben: Bei den Städten über 500.000 EinwohnerInnen ist das Frankfurt am Main.
Wiesbaden hat zum zweiten Mal in Folge bei den kleineren Großstädten den größten Fortschritt erreicht. Für einen Spitzenplatz reicht das aber nicht, denn Wiesbaden hat sich tatsächlich von ganz unten auf den Weg gemacht.“
Konstanz
453 KonstanzerInnen haben am Test teilgenommen und der Stadt eine Durchschnittsnote von 3,2 ins Zeugnis geschrieben, das 27 „Fächer“ aufführt. Damit landet die Perle am Bodensee auf dem dritten Rang der insgesamt 110 bewerteten Kommunen der Größenklasse 50.000-100.000 BewohnerInnen. Gelobt werden eher „weiche“ Kriterien wie das altersübergreifende Radfahren von Alt und Jung, die gute Erreichbarkeit des Stadtzentrums und die Öffnung von Einbahnstraßen in Gegenrichtung für RadlerInnen sowie die TINK-RäderInnen. Gerade in der Kategorie öffentliche Fahrräder liegt Konstanz weit über dem Schnitt vergleichbarer Kommunen, und selbst der Winterdienst erhält eine überdurchschnittliche Note, während die gute Erreichbarkeit des Stadtzentrums auch in vielen anderen Städten lobend hervorgehoben wird, obwohl es dort zumeist eher gut versteckt zwischen den anderen Häusern in der Mitte zu liegen pflegt. Andere Fragen erscheinen eher lächerlich, etwa die Frage danach, ob eine Kommune gute Werbung für das Radeln mache – davon wird einem kein Fahrrad weniger mit noch arschwarmem Sattel vor der Apotheke weggestohlen.
Schlechte Noten hingegen gab es in Konstanz für zu schmale Radwege, mangelnde Fahrradmitnahme im öffentlichen Verkehr, die schlechte Führung an Baustellen sowie die Häufigkeit der Fahrraddiebstähle. Alles sattsam bekannte Probleme also, die auch in anderen Kommunen ungelöst sind.
Die Aussagekraft des Fahrradklimatests ist vermutlich eher beschränkt, denn die Teilnehmendenzahl dürfte etwa 1% der in Konstanz regelmäßig Radelnden entsprechen und ziemlich identisch mit den engagiertesten VelonutzerInnen sein. Vor allem dürften sich darunter jene Menschen nicht wiederfinden, die sich aus Sicherheitsgründen oder purer Angst gar nicht erst aufs Fahrrad wagen oder zumindest bestimmte Strecken meiden. Wahrscheinlich fehlen auch all jene SchülerInnen der unteren Klassen, die Tag für Tag mit ihren Fahrrädern dank roststarrender Ketten die Einfallschneisen der Innenstadt mit sirrenden Kreissägegeräuschen an der Grenze der Hörbarkeit erfüllen. Aber all das sind Vermutungen, ebenso wie die Annahme, dass sich unter die anonym Abstimmenden immer wieder ortsfremde Autofahrer und sonstige Miesmacher mischen, die aus purem Neid auf die Lebens- und Radelfreude der KonstanzerInnen falsche Antworten geben. So behaupten 15% der Antwortenden, offenkundig alles abgefeimte Lügenbolde, es werde „in den Medien nur über Unfälle und das Fehlverhalten von RadfahrerInnen berichtet“. Wer das behauptet, kennt uns Medien noch nicht und wird von uns mit dem Kampfruf „geh‘ doch rüber nach Meersburg, wenn’s Dir hier nicht steil genug bergan geht“ abgefrühstückt.
Mehr zum ADFC-Fahrradklima-Test 2020 erfahren Sie auf dessen Internetseite.
MM/O. Pugliese (Text und Bild)