Gegenderte Diktaturen und sprachliche Ver(w)irrungen

Wäre der Autor dieses Artikels vor ein paar Jahren zum Thema gendergerechte Sprache gefragt worden und wie er es diesbezüglich hielte, dann hätte er vor allem mit einem skeptischen Blick geantwortet. Es gibt doch eine Regelung dafür in der deutschen Rechtschreibung; das generische Maskulinum, das meint doch jeden mit. Mittlerweile denkt er ein wenig anders darüber, vor allem weil es in dieser Debatte eigentlich kein Richtig oder Falsch geben kann.

Viel Tinte und digitales Videoband sind für dieses Thema aufgewendet worden, warum nun also nochmal dieser Text? Weil viele Meinungen und Haltungen zu diesem Thema eigentlich am Problem vorbeigehen. Denn das Bedürfnis nach gendergerechter Sprache kommt ja nicht aus dem Nirgendwo. Es ist Teil der Feststellung, dass weite Teile der Gesellschaft systematisch benachteiligt werden. Dass sich diese systematische Diskriminierung immer weiter fortsetzt, daran sind wir alle beteiligt. Das bedeutet nicht, dass wir alle daran in gleichem Maße persönlich schuld sein müssen. Aber wenn unser gesamtes Umfeld darauf ausgelegt ist, Personen, die als nicht-männlich wahrgenommen werden, zu diskriminieren und zu benachteiligen, dann kommt jedeR Einzelne von uns eben nicht darum herum, dazu das jeweilige eigene Scherflein zu beizutragen. Ob wir wollen oder nicht.

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Nicht gendern geht nicht

Das generische Maskulinum – übrigens seinerseits eine erfundene Regel –, mit dem wir alle hier mehr oder minder groß geworden sind, hat eben seinen Anteil daran. Sprache – und insbesondere das Deutsche – kann gar nicht nicht gendern. „Lehrer“ assoziiert vorrangig einen männlichen Lehrer, solange es eben noch die „Lehrerin“ gibt. Und wenn bei den „Lehrern“ auch potentiell nicht-männliche Lehrer mitgemeint sein sollen, sind letztere halt eher nicht so gut sichtbar. Das Englische macht das anders: Hier sind „male or female teachers“ mit dem gleichen Wort benannt. Im aktuellen Sprachgebrauch gendert das Wort also weitestgehend nicht (mehr). Das wäre ganz schön, wenn wir sowas auch im Deutschen hätten, aber ohne wirklich weitreichende, irrsinnige Umbaukationen unserer Grammatik wäre sowas wohl nicht umsetzbar. Wir bleiben also bei einem deutschen Sprachgebrauch, der immer gendert, ob wir das so beabsichtigt hatten oder nicht.

Nun – ich höre schon wieder die Unkenrufe in den Kommentaren –, „haben wir denn keine größeren Probleme“? Sicher, ich mache mir natürlich auch Gedanken dazu, was ich dafür tun kann, dass keine Frauen mehr auf offener Straße umgebracht werden, oder warum kleinen Kindern von Anfang an eingetrichtert wird, sie seien entweder rosa oder blau. Aber wie sollen wir die großen Baustellen angehen können, wenn wir noch nicht einmal im Kleinen dazu bereit sind, unser alltägliches Handeln auf den Prüfstand zu stellen? Sprache hat ihren Anteil daran, wie wir über Gesellschaft reden, denn sie ist die Ausdrucksweise, mit der wir über Gesellschaft denken.

Lange linguistisches Chaos

Das macht Sprache zum Teil der gesellschaftlichen Debattenkultur. Gendergerechte Sprache ist dabei eigentlich der Inbegriff von Debatte und linguistischer Natürlichkeit. Gerade die deutsche Sprache ist ein phänomenales Beispiel dafür, wie sich völlig verschiedene Idiome und Dialekte parallel zueinander entwickeln, über den Haufen geworfen werden und wieder zueinanderfinden. Im Gegensatz etwa zur französischen Sprache, die sehr früh normiert worden ist, findet sich im Deutschen noch lange Zeit das linguistisch diverse Chaos. Auch wenn das Duden-FetischistInnen und vehemente VerfechterInnen einer ins Sakralmoment überhöhten, heiligen alten Rechtschreibung anders sehen.

Gendergerechte Sprache wird an vielen Stellen als Diktat dargestellt. All die aufgezwungenen Binnen-„I“s und Sternchen und Doppelpunkte verhunzten ja das Sprachbild und machten Texte ganz und gar unleserlichst. (Nebenbei bemerkt: Der Schreiber dieser Zeilen liest derlei auffälligerweise recht selten in ordentlichen Texten, sondern viel häufiger in Kommentarspalten mit zweifelhafter Grammatik, Syntax und eher unverständlicher Ausdrucksweise.) Dabei wird so getan, als wäre das Gendern ein Zwang; die „politisch korrekte“ Schreib- und Sprechweise würde – obgleich komplex und unnatürlich – einer gebeutelten deutschen Hochkultur aufgezwungen. Allerdings ist der Alltag der meisten Menschen erstaunlich wenig vom Zwang zur gendergerechten Sprache geprägt – wenn sie nicht gerade für die tagesschau oder seemoz schreiben oder die Corporate Identity eines Unternehmens vertreten müssen.

Rollenklischees angreifen

Der Autor dieser Zeilen hat vielmehr irgendwann festgestellt, dass er ein Bedürfnis danach hat, die Ungleichmäßigkeiten der deutschen Sprache irgendwie anzugehen. Unsere Gesellschaft ist seit ein paar vielen Jahren sehr gut darin geworden, als Frauen gelesene Personen strukturell schlechter zu behandeln. Wir haben unsere Großstädte um die Bedürfnisse männlicher Pendler gebaut, wir schicken noch immer vornehmlich Mütter in Elternzeit und wir halten immer noch mehr Mädels davon ab, Bauingenieure zu werden, als Jungs.

Gendergerechte Sprache versucht, die uns allen eingeschriebenen Rollenbilder anzugreifen und unseren Köpfen einen kleinen Schubs Richtung Gleichberechtigung zu geben. Natürlich wird unsere Gesellschaft durch perfekt durchgegenderte Gesetzestexte und dergleichen nicht automatisch vollends gleichberechtigt. Das hat aber auch nie jemand behauptet; es ist vielmehr ein Strohmannargument, das allzu häufig in den Kommentarspalten zu lesen ist. Gendergerechte Sprache kann zumindest das Bewusstsein dafür schärfen, Gleichberechtigung auch ein bisschen aktiver zu leben.

Diktatoren diskutieren nicht

Weiblich gesehene Menschen werden systematisch benachteiligt und sind sprachlich weniger sichtbar. Das sehen wir eben auch in eigentümlichen Regelungen wie dem generischen Maskulinum. Dagegen habe ich keinen Masterplan und die heilige Antwort. (Keine Sorge, wenn dem so wäre, wüssten alle davon!) Aber ich will, dass die Leute darüber diskutieren, wie hinzukriegen ist, Nicht-Männer in Sprache besser sichtbar zu machen – oder eine Ausdrucksweise ohne Genderassoziationen zu finden. Binnen-„I“, „Studierende“ und dergleichen sind hier Teil der Diskussion, nicht die Antwort. Diejenigen, die in gendergerechter Sprache eine identitätspolitische Diktatur sehen, vergessen nämlich häufig: Mit Diktatoren diskutiert es sich schlecht.

Dabei bedeuten die Gendersternchen und Doppelpunkte auch noch etwas anderes: Sie sollen alle Gender und Geschlechter miteinbeziehen, also auch Personen, die sich keinem der beiden binären Geschlechtspole zugehörig fühlen („Lehrer:innen“ heißt also mehr als „Lehrer und Lehrerinnen“). Außerdem erlaubt das Gendern Sätze wie: „Der:dem Autor:in fällt gerade nichts ein.“ Auch wenn dieses Beispiel eigentümlich ungetüm anmuten mag, erfüllt es einen semantischen Mehrwert. Es lässt nämlich soziales und biologisches Geschlecht der autorierenden Person einfach offen – das ist besonders dann toll, wenn nicht klar ist, um welche Geschlechtszugehörigkeit es dabei geht. Ein Satz wie: „Dem Autor fällt gerade nichts ein.“, reproduziert stattdessen implizit den gesellschaftlichen Missstand, dass es viel mehr männliche Autoren gibt bzw. dass diese viel mehr Präsenzfläche bekommen als ihre weiblichen Counterparts.

Mehr als „I“s, Doppelpunkte und Asteriske

Gendergerechte Sprache ist weit mehr als all die „I“s, Doppelpunkte und Asteriske. „Publikum“ statt „Zuschauer“, „Lehrkraft“ statt „Lehrer“, das alles sind Möglichkeiten, unsere Sprache „gleicher“ zu machen. Wir können sie alle neu- und weiterentwickeln – und beiseite tun, wenn sie so gar nicht funktionieren. Wie gesagt, wenn jemand eine Lösung erfindet, die Gleichberechtigung besser und ästhetischer umsetzt als Sternchen und Doppelpunkt, dann bin ich der Erste, der sie mit Handkuss annimmt. Bis dahin stütze ich mich auf eine sprachliche Krücke, denn bislang habe ich ja nichts anderes. Sonst fall‘ ich doch um.

Wir formen alle schon seit jeher Sprache durch unser tägliches Handeln, Sprechen und Schreiben mit. Das war nie anders. Persönlicher Ausdruck ist immer auch ein Zeichen persönlicher Haltung und kann deswegen stets neu hinterfragt und weiterentwickelt werden. Das muss übrigens keine Beschränkung des Vokabulars sein. Wenn der Autor dieser Zeilen eine Weisheit aus seinen verschiedenen Haltungen zum Gendern gelernt hat, dann ist es die, dass Reflexion und Nachdenken über die eigene Sprache die Ausdrucksweise bunter und präziser machen. Und das ist eigentlich ganz furchtbar famos. Auch wenn’s auf halbem Weg zur Wahrheit manchmal etwas komisch und ungewohnt ausschaut.

Praxagora (Text und Bild)