Rücktritt und Neuwahl

Überraschung beim Konflikt um die Betriebsratwahl von Edeka Baur in der Konstanzer Bodanstraße: Das erst im Januar unter umstrittenen Umständen gewählte Gremium tritt zurück. Zugleich hat der fünfköpfige Betriebsrat eine Neuwahl beschlossen und einen Wahlvorstand bestimmt. Was bedeutet das für das Arbeitsgerichts­verfahren? Ist damit die Auseinandersetzung zwischen dem Lebensmittelhändler Edeka Baur und der Vereinten Dienstleistungs­gewerkschaft ver.di beendet?

Der Betriebsrat der Edeka-Baur-Filiale an der Bodanstraße traf am Donnerstag vergangener Woche eine bemerkenswerte Entscheidung. Auf der Sitzung sei „einvernehmlich beschlossen“ worden, den Betriebsrat aufzulösen und damit „den Weg für eine Neuwahl frei zu machen“. So formuliert es ver.di-Sekretär Markus Klemt, der zu der Sitzung eingeladen war. Ebenso einvernehmlich sei ein Wahlvorstand eingesetzt worden, der die erneute Wahl des Betriebsrats organisiert, die möglicherweise im Juni stattfindet.

Ist der Entscheid als Erfolg für die Gewerkschaft zu werten? Ganz so deutlich will Klemt das nicht verstanden wissen. Aber er zeigt sich zufrieden: „Damit besteht eine Chance, in Zukunft eine wirkliche Interessenvertretung der Belegschaft zu etablieren.“ Jedenfalls habe sich die juristische Auseinandersetzung erledigt, über die seemoz ausführlich berichtete: Eine Wiederholung der Wahl war Ziel der arbeitsrechtlichen Beschwerde von ver.di gewesen.

Viele Vorwürfe

Über die Gründe für die überraschende Selbstauflösung lässt sich nur spekulieren. Befürchtete die der Geschäftsleitung nahe stehende Betriebsratsmehrheit eine Niederlage vor dem Arbeitsgericht? Dort hatte die Gewerkschaft ver.di Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, das Wahlergebnis für unwirksam zu erklären. Ein Gütetermin Ende März ergab keine Einigung und so hatte das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen – in dessen Verlauf dann höchstwahrscheinlich die von ver.di-Mitgliedern gesammelten Belege für den von ihr behaupteten unregelmäßigen Verlauf der Wahl zur Sprache gekommen wären:

– So wurde schon frühzeitig der Initiator der Betriebsratsgründung, ein seit Jahren bei Edeka beschäftigter stellvertretender Marktleiter, entlassen.
– Danach, so die Gewerkschaft, seien KandidatInnen der ursprünglich einheitlichen Betriebsratsliste wieder abgesprungen und hätten auf einer neuen, unternehmensnahen Liste kandidiert; in diesem Zusammenhang sei ihnen eine Beförderung in Aussicht gestellt worden (eine Ansicht, der die Geschäftsleitung vehement widerspricht).
– Zudem habe es eine massive Benachteiligung der ver.di-Liste namens „Auf Augenhöhe“ gegeben. Die Belege für diese Anschuldigungen sind in einem 36-seitigen Schriftstück aufgelistet, das ver.di-Rechtssekretär Rolf Schützinger beim Arbeitsgericht Radolfzell einreichte.

In der Belegschaft gehen manche davon aus, dass all dies zum Wahlergebnis im Januar beigetragen habe. Dabei gewann die unternehmensnahe Liste „Future“ mit zwei stellvertretenden MarktleiterInnen an der Spitze die meisten Stimmen. Ob die Neuwahl etwas am Kräfteverhältnis von drei zu zwei Betriebsratssitzen ändert, wird sich im Juni zeigen.

Jetzt kommt der Gesamtbetriebsrat

Und noch etwas wird sich ändern. Das Betriebsverfassungsgesetz schreibt im Paragraf 47 vor: „Bestehen in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte, so ist ein Gesamtbetriebsrat zu errichten.“ Dies gilt auch für Edeka Baur. Denn mit der Belegschaftsvertretung in der Filiale Bodanstraße und dem seit langem aus fünf ver.di-Mitgliedern bestehenden Betriebsrat in Friedrichshafen gibt es im Unternehmen zwei Interessenvertretungen. Damit ist die Voraussetzung für die Bildung eines Gesamtbetriebsrats erfüllt. Das Besondere dabei: Der künftige Gesamtbetriebsrat kann die Belange aller Beschäftigten vertreten – unabhängig davon, ob es in ihrer jeweiligen Filiale einen Betriebsrat gibt oder nicht.

Außerdem wird es künftig einfacher sein, einen Betriebsrat in jenen Edeka-Baur-Filialen zu gründen, die bisher noch keinen haben. So muss zu keiner Wahlversammlung mehr aufgerufen werden, weil der Gesamtbetriebsrat – sofern sich engagierte Beschäftigte finden – einen Wahlvorstand einsetzen kann. Und: Ist der Beschluss einmal gefasst, genießen alle Beteiligten Kündigungsschutz. Wohl auch aus diesen Gründen, so vermuten VerkäuferInnen, habe sich die Baur-Geschäftleitung so lange gegen einen zweiten Betriebsrat widersetzt.

PS: Dem Vernehmen nach hat der Betriebsrat von Edeka Baur Bodanstraße auf seiner letzten Sitzung auch beschlossen, eine Anwaltskanzlei einzuschalten. Diese soll prüfen, ob gegen den seemoz-Artikel vom 1. April 2021 juristisch vorgegangen werden kann (oder soll). Wir nehmen das zur Kenntnis – und berichten weiter.

Pit Wuhrer (Das Bild des Autors zeigt die Edeka-Baur-Zentrale in der Konstanzer Reichenaustraße)

Aktion arbeitsunrecht: Betriebsräte stärken!

Je kleiner die Reform, desto pompöser die Wortwahl. Auf diesen Nenner lässt sich bringen, was sich die große Koalition zum Ende ihrer Amtszeit ausgedacht hat: Sie will mit einem „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“ ein paar der eklatanten Schwächen des seit 1972 geltenden Betriebsverfassungsgesetzes ausbügeln. So sieht der Entwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einen besseren Schutz für jene Beschäftigten vor, die sich für die Wahl eines Betriebsrats einsetzen; zudem sollen Betriebsratgründungen erleichtert werden.

Der DGB begrüßt den Fortschritt, merkt aber an, dass „bei Zukunftsthemen wie Umwelt- und Klimaschutz, Digitalisierung oder auch altersgerechtes Arbeiten“ Betriebsräte weiterhin außen vor bleiben. Noch kritischer sieht das die „aktion ./. arbeitsunrecht“: Angesichts der anhaltenden Attacken von Unternehmensleitungen auf Betriebsräte und GewerkschafterInnen sei das Vorhaben völlig ungenügend, argumentiert die Initiative; sie verteidigt seit ihrer Gründung 2014 Beschäftigte, die systematischen Angriffen durch Unternehmer und spezialisierte Dienstleister (wie Anwaltskanzleien) ausgesetzt sind. So bleiben Geschäftsführungen, die rechtswidrig gegen Betriebsräte vorgehen, immer noch straffrei. Unter anderem fordert „aktion ./. arbeitsunrecht“ ein verbindliches Melderegister für Betriebsratswahlen, Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrechte, einen besseren Kündigungsschutz für Betriebsräte, ein konsequenteres Vorgehen gegen Schikanen am Arbeitsplatz und Sanktionen gegen Geschäftsleitungen, die gegen gesetzliche Regelungen verstossen.

Derzeit sammelt die Initiative Unterschriften an die Adresse des Bundesarbeitsministers. Unterzeichnen kann man/frau den Aufruf hier. pw