Ein Rundfunkrat mit Schaum vor dem Munde

In den letzten Tagen hat die Aktion „allesdichtmachen“ zu einem herzhaften Shitstorm in der Bundesrepublik geführt. Rund 50 – teils populäre – SchauspielerInnen wie Ulrike Folkerts, Ulrich Tukur oder Jan Josef Liefers haben sich dabei in knappen Videos ironisch mit der aktuellen Corona-Politik auseinandergesetzt und kontroverse Reaktionen hervorgerufen, bis hin zur Forderung, sie nicht mehr in den öffentlich-rechtlichen Medien auftreten zu lassen. War das mehr als ein (Shit-)Sturm im Wasserglas?

Zweifelsohne: Auch ich verstehe die Inhalte der Aktion „allesdichtmachen“ nur bedingt. Die Ironie erkenne ich nur teilweise, lachen kann ich über die meisten Clips nicht. Ich weiß allerdings auch nicht, ob das Ziel der Initiative gewesen sein soll, dass wir allzu viel Aufmerksamkeit auf die gesprochenen Worte legen sollen. Viel eher ist jedes einzelne Statement der teilnehmenden Schauspieler als Protest gegen die Corona-Politik und den Umgang der Gesellschaft mit den verordneten Beschränkungen zu verstehen, so glaube ich zumindest. Nach meinem Verständnis ging es in erster Linie ebenfalls nicht darum, allein auf die Situation der Kulturschaffenden hinzuweisen. Ich denke nicht, dass die Kampagne vornehmlich einen Selbstzweck verfolgte.

Viel eher haben die Mitwirkenden uns allen einen Spiegel vorgehalten. Ja, und das muss erlaubt sein! Zynisch sind nicht die Aussagen der Darstellenden, sondern die völlig inakzeptable und unverhältnismäßige Empörung einer breiten Masse, über die ich nur noch den Kopf schütteln kann. „Getroffene Hunde bellen“ – und offenbar haben die Videos ihr Ansinnen erreicht. Denn dass wir mittlerweile nicht mehr nur demütig Einschränkungen unseres Lebensalltages hinnehmen, sondern auch noch unsere Meinungsfreiheit verleugnen, muss uns wahrlich zu denken geben.

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Die Macher des Projekts haben recht, wenn sie uns fragen wollen, ob sich Deutschland nicht mehr traut, das Agieren der Regierung kritisch zu hinterfragen. Sind wir Spahn, Merkel und Lauterbach hörig geworden und lassen wir uns in der unbestritten schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg den Rechtsstaat nehmen? Ich bin überzeugt: Niemand derjenigen, die sich an „allesdichtmachen“ beteiligt haben, vergisst das Leid auf den Intensivstationen und die tiefe Trauer um jeden einzelnen Verstorbenen, den diese Pandemie hervorgebracht hat.

Die Frage, wie weit die Kunstfreiheit in einer Situation gehen darf, die uns alle zutiefst bedrückt, muss debattiert werden. Und wir diskutieren sie nicht zum ersten Mal. Kann, muss und darf der Künstler Rücksicht auf die Gefühle der Menschen nehmen, auch wenn er von der Richtigkeit seiner manch einen Teil unserer Bevölkerung möglicherweise emotional verletzenden Botschaften überzeugt ist? Müssen wir schweigen, wenn es um Tod und Leben geht? Ja, ich würde meinen, dass die Formulierungen der Mitmachenden pietätlos sind, wenn sie nicht erkennbar als zugespitzte, überzeichnete und metaphorische Kunst vorgetragen worden wären.

In der Abwägung halte ich das Recht auf freie Meinungsäußerung höher als die Gefahr, Menschen zu kränken. Das mag hart klingen, aber Demokratie ist eben nicht selten eine pure Taktlosigkeit. Ich halte es für höchst befremdlich, wenn wir eine Sichtweise nur deshalb nicht mehr kundtun dürfen, weil sie möglicherweise von der „Alternative für Deutschland“ Applaus erhält. Wollen wir uns von Rechtspopulisten und Querdenkern das Maul verbieten lassen? Ich sorge mich nicht, dass auch nur ein einziger der von mir geschätzten und als intellektuell eingestuften Schauspieler ein Corona-Leugner sein könnte, der auch nur bedingt irgendetwas mit Verfassungsfeindlichkeit zu tun hat.

Vielmehr bange ich darum, ob es nicht gerade Verantwortungsträger wie Mitglieder eines Rundfunkrates sind, die den Aluhelmen am Brandenburger Tor unfreiwillig einen Dienst erweisen. Immerhin scheint der Vorwurf von interessengeleiteten Staatsmedien nicht mehr ganz so absurd, wenn man im ARD-Gremium wahrlich überlegt, Jan Josef Liefers und anderen Schauspielern die Aufträge zu entziehen, weil sie sich bei „allesdichtmachen“ zu Wort gemeldet haben. Die SPD muss Konsequenzen ziehen und ihren Entsandten zum sofortigen Rücktritt auffordern, denn er fügt nicht nur der Partei, sondern auch dem Sender und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen im Allgemeinen einen schweren Schaden zu. Gut, dass Kollegen ebenfalls ihre Entrüstung über die Einlassungen des Rundfunkratsvorsitzenden zum Ausdruck gebracht haben.

Denn ich bin zutiefst schockiert darüber, dass sich nach unserer beschämenden Historie erneut Anzeichen einer aufkommenden Zensur im Land breitmachen. Glücklicherweise fordert bislang niemand Berufsverbote für meinungsstarke Künstler. Trotzdem beschämt mich der Zustand unserer freiheitlichen Demokratie. Denn ich hätte nicht gedacht, dass ich irgendwann einmal unsere Wertemaßstäbe wie die Kunstfreiheit vor einer selbsternannten, pöbelnden und aktionistischen Mehrheit verteidigen müsste, die eben nicht AfD heißt. Wer auf den Sarkasmus von Kulturschaffenden einprügelt, verrät unser Grundgesetz. Und das sage ich, weil ich gerade kein Anhänger rechter Verschwörungstheoretiker bin …

Dennis Riehle (Screenshot: O. Pugliese)