Redet nicht über Alkoholverbote, sondern über Jugendzentren

Die Demonstration gegen rechte Gewalt war eine der größten der letzten Jahre in Konstanz. In einigen Medien war bloß zu lesen, dass es „keine Zwischenfälle“ gegeben habe. Die Berichterstattung über die Reden während der Kundgebung kam hingegn reichlich mager daher. seemoz springt ein und veröffentlicht die kommenden Tage die wichtigsten Redebeiträge im Wortlaut. Hier der Text einer Studentin, mit viel Beifall bedacht Als eine von zwei Jugendlichen sprach die Konstanzer Studentin Kim. Mehr als ihren Vornamen will sie von sich im Internet nicht lesen. Auch aus Sicherheitsgründen, denn die Nazis sammeln persönliche Daten von AntifaschistInnen. Kim sprach in ihrer Rede über die Ursachen der Radikalisierung von Jugendlichen, forderte aber auch die Stadt auf, mehr auf die Bedürfnisse von jungen Menschen einzugehen.

Hallo!

Ich stehe hier um zu verdeutlichen, dass es in Konstanz etliche Jugendliche und auch einige Jugendorganisationen gibt, die sich, wie die vielen Organisationen, die bereits vor mir sprachen, aktiv gegen den Neofaschismus in Konstanz einsetzen. Ich bin der Meinung, dass jede Person nur sich selbst vertreten kann und somit hege ich nicht den Anspruch, hier für alle Jugendlichen in Konstanz zu reden, geschweige denn für ganze Gruppierungen, Netzwerke oder Organisationen. Und trotzdem hoffe ich, dass sich möglichst viele in meiner Rede wiederfinden…

Das große mediale Echo, das sich wochenlang um die Rolle des deutschen Verfassungsschutzes im nationalsozialistischen Sumpf drehte, ist inzwischen verblasst. Die staatlichen Verstrickungen des Verfassungschutzes lösen sich erst nach und nach auf. Sicher scheint jedoch, dass die Behörden schon viel früher hätten eingreifen können und sollen. Während der Verfassungsschutz jedoch in dieser Hinsicht nachlässig arbeitete, werden linke Organisationen und Parteien gründlichst beobachtet und erfahren in vielerlei Hinsicht staatliche Repression. Grundlage einer solchen Verfassungsschutzarbeit ist die sogenannte Extremismustheorie- Diese besagt, dass es eine demokratische Mitte der Gesellschaft gäbe, die durch extremistische Ränder bedroht sei. Diese klare Aufteilung verharmlost Rassismus und Antisemitismus einerseits und blendet diese und andere Ungleichwertigkeitsideologien, die sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche ziehen, gänzlich aus. Zudem – und das empfinde ich als besonders verstörend – werden linke Gesellschaftskritik und antifaschistischer Widerstand mit dem mörderischen Denken und Handeln von Nazis gleichgesetzt.

Diese Extremismustheorie hat weitreichende Folgen, besonders für politisch engagierte Gruppierungen: Um staatliche Unterstützung, z.B. in Form von Fördergeldern erhalten zu können, müssen die empfangenden Organisationen die sogenannte Extremismusklausel von Bundesfamilienministerin Schröder unterzeichnen, wodurch sie sich beispielsweise verpflichten, sich von allen vom Verfassungsschutz als „extremistisch“ eingestuften Vereinigungen zu distanzieren. Vom Verfassungsschutz beobachtet wird allerdings sogar der Bildungsstreik. Eine Zusammenarbeit mit den lokalen Antifaschistischen Bündnissen wäre also für die Empfänger von staatlichen Förderungen gar nicht mehr zulässig. Diese massive staatliche Repression, die sich beispielsweise in dem Paragraph 129 – Verfahren bezüglich Bildung, Mitgliedschaft und Unterstützung angeblich krimineller Vereinigungen äußert, überschattet inzwischen jegliches Engagement gegen Rechts.

Ein Beispiel dafür sind die Verfahren, die Im Hinblick auf die Massenblockaden zu „Dresden nazifrei“ aktuell gegen einzelne DemonstrationsteilnehmerInnen geführt werden. Das sind Zustände, die die Ideologie der politische „Mitte“ offenbar gutheißt. Wenn der Staat mit seinen Institutionen nicht wirksam gegen menschenverachtenden Ideologien wie die der Nazis vorgeht, und im Gegenteil die Förderung des gesellschaftliche Engagements gegen rechts auch noch an Bedingungen und Pflichten knüpft, wird antifaschistisches Engagement umso wichtiger! Um es genauer zu formulieren: Wenn der Staat antifaschistische Vereine und Gruppierungen nur noch unter Vorbehalt fördert, dann muss es halt ohne diese Förderungen gehen, denn entschlossener Antifaschismus darf nicht kriminalisiert werden, sondern ist die Pflicht eines Jeder_n. Nur so konnte in letzter Zeit das Schlimmste verhindert werden. Deshalb sage ich: ANTIFASCHISMUS BLEIBT LEGITIM Antifaschismus lebt meines Erachtens von der Vielfalt der beteiligten Personen und Gruppierungen. Genau deshalb ist es wichtig, dass sich antifaschistische Bewegungen, Organisationen und Jugendorganisationen selbstverwaltete Zentren wie beispielsweise das Contrast geben, Zusammenschlüsse aller Art sich gegenseitig unterstützen und fördern.

Es ist wichtig, dass diese Zusammenarbeit nicht an Generationswechseln scheitert, sondern davon profitiert und lebt. Auch der Stadt als Träger von Schulen, Kindergärten und Vereinen, als Finanzkraft hinter Betreuungseinrichtungen und Räumlichkeiten, fällt eine wichtige Aufgabe im alltäglichen Kampf gegen rechts zu: Es ist meines Erachtens Aufgabe der Stadt, dass politische Jugendarbeit nicht an Rahmenbedingungen wie Räumlichkeiten oder Lärmschutz scheitert. Wir brauchen von der Stadt zum Beispiel kein Konzerthaus oder Alkoholverbot an der Seestraße, wir brauchen selbst verwaltete Jugendzentren, Parks und Spielplätze, Raum zum Lachen und Leute kennenlernen, Raum, um Menschlichkeit, Miteinander, Gleichwertigkeit und Solidarität zu lernen, Raum zum Leben und Denken, Raum um uns gegen rassistische Ideologien und für neue gesellschaftspolitische Konzepte zu organisieren und einzusetzen.

Politisches Verständnis der Gleichwertigkeit aller Menschen entsteht im Kindesalter. Dass die Kindergärten und Schulen diesem Bildungsauftrag nicht gewachsen sind, zeigt sich mir immer wieder. Deswegen rufe ich euch dazu auf, selbst aktiv zu werden, auf die Schulen und Kindergärten, Lehrer und Betreuungseinrichtungen eurer Kinder zuzugehen und Organisationen wie das ‚Netzwerk für Demokratie und Courage‘ und andere antifaschistische Strukturen dort zu empfehlen und finanziell zu unterstützen. Ich rufe euch dazu auf, euch für die lokalen antifaschistischen und gesellschaftskritischen Jugendbündnisse einzusetzen und Ideen und Aktionen der Jugendlichen zu unterstützen. Wir alle müssen uns aktiv gegen menschenverachtende Ideologien vor allem im Alltag einsetzen, denn dieser ist es, der die Menschen nachhaltig prägt.

Für mehr antifaschistisches Engagement! Für den Mut und die Ideen der Jugendlichen in unserem gemeinsamen Engagement gegen rechte Gewalt! Gegen Diskriminierung und alle Rassismen!