„Steht auf, wenn sich der braune Mob regt“

Foto: W. Mikuteit

Auch im Landkreis Konstanz und rund um den See rüsten die Rechtsradikalen auf und sind grenzübergreifend vernetzt. „Diese Entwicklung ignorieren zu wollen, wäre fahrlässig. Wir müssen genauer hinschauen“, fordert Holger Reile, der auf der Demonstration gegen rechte Gewalt für die Linke Liste und Die Linke sprach. Hier sein Redebeitrag im Wortlaut, in dem er die Konstanzer CDU scharf kritisiert, die im Vorfeld versucht hatte, das breite Bündnis zu diffamieren.

 

 

Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen – ich war ja kein Kommunist

Als sie die Sozíaldemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen – ich war ja kein Sozialdemokrat

Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich nicht protestiert – ich war ja kein Gewerkschafter

Als sie die Juden holten,
habe ich nicht protestiert – ich war ja kein Jude

Als sie dann mich holten,
gab es keinen mehr, der protestierte

 

Liebe Freundinnen und Freunde: Diese eindrucksvollen Zeilen stammen von Martin Niemöller. Er, ein Pastor, sympathisierte anfangs mit dem NS-Regime, aber spätestens ab 1935 war ihm klar, wohin das alles führen sollte. Er erhob seine Stimme gegen die braunen Machthaber, wurde wegen Hochverrats verurteilt und verbrachte insgesamt 8 Jahre in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau. Nur mit viel Glück hat er diese lange Zeit überlebt.

Was will er uns sagen, fast siebzig Jahre später? Vor allen Dingen wohl folgendes: Schaut genau hin, duckt euch nicht weg und steht auf, wenn sich der braune Mob regt. Und das tut er – nicht nur in Thüringen oder Sachsen, – nein auch hier bei uns. Zwar sind die Verhältnisse im Osten noch nicht vergleichbar mit denen vor unserer Haustüre. Doch auch für uns gilt: Wehret den Anfängen, denn ihre Internetauftritte sind professioneller geworden und sie bauen ihren Organisationsgrad und ihre Infrastruktur ständig aus – und zwar rund um den See.

Dazu einige Beispiele:

Mitte November 2011 tauchten Neonazis auf dem Überlinger Friedhof auf, gedachten ihrer angeblichen Helden aus dem Zweiten Weltkrieg und legten einen Kranz nieder

  • – Am 10.Dezember 2011 marschierten rund 30 Neonazis durch die Singener Innenstadt, an ihrer Spitze der NPD-Landtagskandidat Benjamin Hennes. Mit dabei auch Mitglieder der militanten Nazigruppierung „Freie Kameradschaft Hegau-Bodensee“
  • – Wenige Tage später verteilten Neonazis, als Weihnachtsmänner verkleidet, in Ravensburg auf dem Weihnachtsmarkt Süßigkeiten, dazu Flugblätter mit rechtsradikaler Propaganda.
  • – Kurz darauf feierten mehrere Dutzend im Singener Hinterland mit einem Fackelmarsch die sogenannte Wintersonnwende.
  • – Dazu gibt es Kameradschaftsabende und ideologische Schulungen, mehrheitlich in Singen und in Friedrichshafen. Vermehrt werden dafür Jugendliche vor allem an Schulen geworben.
  • – Diese Liste ließe sich – leider – beliebig fortsetzen.

Und sie sind über die Grenzen hinweg vernetzt. Bei den Naziaufmärschen der vergangenen Jahre in Friedrichshafen waren immer wieder Gesinnungsgenossen aus der Schweiz und auch aus Vorarlberg dabei. Vor allem der überregional bekannte Schweizer Holocaust-Leugner Bernhard Schaub ist gern gehörter Gastredner bei Veranstaltungen hier im Südwesten. Bei den sogenannten „Südwestdeutschen Kulturtagen“ 2010 trat er vor knapp 300 Neonazis auf, darunter viele aus dem Landkreis Konstanz. Für den kommenden April ist eine Wiederholung geplant.

Und in regelmäßigen Abständen treffen sich bis zu 1000 und mehr Rechtsradikale auch aus dem südwestdeutschen Raum im Thurgau oder in Vorarlberg bei Skinkonzerten.

Liebe Freundinnen und Freunde: Wir dürfen diesen Brunnenvergiftern nicht die Plätze und Straßen überlassen und vor allem nicht die Köpfe und Herzen unserer Jugendlichen. Das gilt es zu verhindern, das ist eine unserer ganz zentralen Aufgaben.

Die meisten von Euch erinnern sich wahrscheinlich daran, dass Neonazis kürzlich beim Fasnachtsumzug in Konstanz dabei waren und ungestört für ihre Ziele werben konnten. Kaum zu glauben, dass da unter den rund 20 000 Besuchern niemandem etwas aufgefallen ist. Die Tage darauf berichteten mehrere Medien über diesen Vorfall und informierten über die Hintergründe. Zu Recht, wie ich meine.

Und wie reagierten die närrischen Konstanzer Obernasen? Anstatt gegen die Instrumentalisierung des Brauchtums öffentlich zu protestieren, warfen sie den Medienvertretern vor, mit ihrer Berichterstattung würden sie die Rechtsradikalen aufwerten und sogar Werbung für sie betreiben. Das, liebe Freunde, ist fahrlässige Ignoranz und nicht zu akzeptieren. Gerade sie, die sich immer mit ihrer Jugendarbeit brüsten, hätten mit einer klaren Stellungnahme gegen braune Umtriebe auch ihre Jugendlichen in den Fasnachtsvereinen für das Thema nachhaltig sensibilisieren können. Diese Chance haben sie leider sträflich verpasst.

Wenn wir uns hier so umschauen, liebe Freunde, sehen wir Menschen aus allen Schichten und aus allen Altersklassen. Gläubige stehen neben Atheisten, Sozialisten und Grüne neben Liberalen und Konservativen, Gewerkschafter neben Schülern und Studenten. Ein breites Bündnis hat sich gebildet und das ist ein gutes Zeichen für unsere demokratische Zivilgesellschaft. Alle Parteien aus dem Konstanzer Gemeinderat unterstützen diese Demonstration – nur die CDU scherte aus. Mit ein Grund war, dass sich die Christdemokraten nicht mit der VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, einem Mitveranstalter der heutigen Demonstration, auf die Straße begeben wollten.

Das ist nicht neu, aber die aktuelle Begründung für diese Verweigerungshaltung ist geradezu zynisch. Da der Verfassungsschutz die VVN beobachte, so der Fraktionsvorsitzende der Konstanzer CDU, könne man den Aufruf zur Demonstration nicht mittragen. Man mag es kaum glauben: Gerade der Verfassungsschutz, der seine Finger nicht nur bei der Zwickauer Mordbande im Spiel hatte, wird von der Konstanzer CDU als glaubwürdige Institution verkauft.

Dahinter steckt natürlich der Versuch, dieses Bündnis zu diskreditieren und zu diffamieren. Das, liebe Leute, dürfen wir und werden wir nicht zulassen.

Zum Schluss noch eine Botschaft an jene, gegen die wir heute und auch in Zukunft auf die Straßen gehen werden. Euer Deutschland, von dem ihr träumt, ihr angeblich freien Kameraden, ist nicht das von morgen – nein, es ist das von vorgestern. Das System, das ihr verherrlicht, war verantwortlich für Zerstörung und organisierten Massenmord.

Wir hingegen stehen für Völkerverständigung, Toleranz, freie Meinungsäußerung und wehren uns gegen menschenverachtenden Rassismus, dumpfen Nationalismus und auch gegen eine weitere Entsolidarisierung unserer Gesellschaft.