Keine Rosen für den Staatsanwalt
Mit der Rede von Raoul Ulbrich, 2. Bevollmächtigter der IG Metall Singen, veröffentlicht seemoz in einer Woche die 4. von 7 Reden, die letzten Freitag auf der Kundgebung „Gegen rechte Gewalt“ auf der Konstanzer Marktstätte gehalten wurden. Und erfüllt damit wohl ein besonderes Leserinteresse, denn die Redetexte werden ungewöhnlich häufig angeklickt. Offensichtlich fühlen sich viele, die verhindert waren, durch die Berichterstattung anderswo inhaltlich nur unzureichend informiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
wir sind heute auch hier, weil vor fünf Jahren in Konstanz eine Podiumsdiskussion mit Schülern zum Thema „Neofaschismus in Deutschland“ von sogenannten Autonomen Nationalisten angegriffen wurde. Heute nennen sie sich Freie Kräfte Hegau Bodensee. Da ich selbst anwesend war, kann ich mich noch sehr gut an diesen erschreckenden Vorfall erinnern.
Kaum hatte die Veranstaltung begonnen, betraten mehrere schwarz vermummte Gestalten, mit Lederhandschuhen und Windbreakern bekleidet, das Foyer des Bürgersaals. Nur die Geistesgegenwart einer Antifaschistin verhinderte, dass sie in den Innenraum des Bürgersaals eindringen konnten. Sie rief mehrere Personen zu Hilfe, die sich gegen die Tür stemmten und so den Neonazis den Eintritt verwehren konnten. Zum Glück reagierte die zur Hilfe gerufene Konstanzer Polizei vorbildlich und nahm einen Großteil der Angreifer umgehend fest.
Die Darstellung der Neonazis über diesen Vorfall lautet natürlich anders. Angeblich wollten sie nur zum Diskutieren kommen. Ich habe noch nie erlebt, dass man sich für eine Diskussion Lederhandschuhe anzieht und sich komplett vermummt, geschweige denn, dass man versucht, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Dieses zeigt einmal mehr, wessen Geistes Kind sie sind.
Leider wurde das eingeleite Verfahren der Konstanzer Staatsanwaltschaft gegen diese Banditen eingestellt, was ich persönlich nicht nachvollziehen kann. Und ich bedauere auch, dass die meiner Ansicht nach berechtigte Kritik an der Konstanzer Staatsanwaltschaft in dieser Sache offensichtlich mit Anlass ist, warum eine große Volkspartei in Konstanz den Aufruf für heute nicht mit unterschrieben hat.
Ich glaube, dass es in einer Demokratie doch möglich sein sollte, Staatsorgane zu kritisieren. Denn, wer an diesem Abend anwesend war, der hat mitbekommen, wie massiv die Neonazis aufgetreten sind und wie sie die Schüler in Angst und Schrecken versetzt haben. Gerade deshalb hätte ich eine Anklage wegen Landfriedensbruch für angemessen und richtig gehalten.
Denn um Neofaschismus wirksam zu bekämpfen, ist es notwendig, alle politischen wie juristischen Möglichkeiten voll auszunutzen! Und wir erleben ja gerade in unserer Region, wie die Aktivitäten der Neonazis stark zunehmen. So marschierten am 11. Dezember ca. 25 – 30 Neonazis mit Fackeln durch die Singener Innenstadt. In der Sylvesternacht gegen 4 Uhr wurde durch einen Zeugen beobachtet, wie erneut ungefähr 10 Neonazis Parolen skandierend durch Singen marschierten. Offensichtlich mit dem Ziel, eine Eskalation herbeizuführen. Zum Glück gelang Ihnen dies nicht.
Einen weiteren traurigen Höhepunkt erreichten die Aktivitäten der rechten Szene jedoch beim sonntäglichen Fastnachtsumzug in Konstanz, bei dem sich offensichtlich ungehindert eine ganze Gruppe maskierter Neonazis in den Fastnachtsumzug mit einschleusen konnte und ungehindert mit einem Transparent und Flugzettel verteilend im Umzug mitmarschieren konnte.
Des Weiteren wurde in dieser Woche eine Razzia in einer Hegau-Gemeinde durchgeführt, bei der ein mit Haftbefehl gesuchter Neonazi aus Rheinland-Pfalz festgenommen wurde, der hier zu Besuch war. Ein weiter Beweis dafür, wie stark vernetzt diese Szene ist.
Dies zeigt aber auch sehr deutlich, wie wichtig es ist, jetzt zu handeln und nicht wegzuschauen. Angesichts dieser Vorgänge wundert es mich schon, dass es offensichtlich bei so manchem noch die Einstellung gibt, man habe hier kein Problem. Da stelle ich die Frage mal anders: Wann haben wir denn ein Problem? Wenn der erste Dönerstand brennt oder ein Migrant totgeschlagen wird?
Ich sage: Wenn Neonazis in der Lage sind, in kürzester Zeit eine Spontandemo zu organisieren und sich somit Öffentlichkeit zu verschaffen, dann haben wir hier ein Problem! Und es gilt die Lehre aus dem Faschismus, wehret den Anfängen!
Als IG Metall haben wir deshalb in Singen die Politik angeschrieben und sie aufgefordert, ein breites Bündnis aus Kirchen, politischen Parteien, antifaschistischen Gruppen und Gewerkschaften zu bilden, die sich dauerhaft und intensiv damit beschäftigen, wie man präventiv rechtsradikalen Tendenzen vorbeugen kann, um jeder Form von Rassismus und Extremismus von vorne herein den Boden zu entziehen.
Und hier gibt es schon gute Ansätze in dieser Region, um in Schulen bereits die notwendige Vorfeldarbeit zu leisten. Ein Ansatz, das „Netzwerk für Demokratie und Courage“, wird bereits im Landkreis Konstanz in einigen Schulen praktiziert, ist jedoch in seiner Breitenwirkung deutlich ausbaufähig. Eine weitere Überlegung wäre, die Initiative „Respekt“ in unserer Region zu verankern, für die auch die Fußballnationalmannschaft der Frauen wirbt. Hierzu werden wir als IG Metall in den nächsten Wochen eine betriebspolitische Initiative starten.
Und nicht zuletzt sollten wir darüber diskutieren, was wir gemeinsam tun können, um ein Verbot der NPD zu beschleunigen. Denn auch in unserer Region ist die NPD die Plattform, auf der sich die Neonazis sammeln, um ihr Unwesen zu treiben. Dass die NPD nicht auf dem Boden der Verfassung steht, wird durch die Vorgänge rund um die Zwickauer Terrorzelle offensichtlich. Es ist ja bekannt, dass ein mittlerweile ehemaliger NPD Funktionär die Waffe besorgte, mit der die hinterhältigen, rechtsterroristischen Morde an unseren türkischen, griechischen und deutschen Mitbürgern begangen wurden. Und einer der Terroristen war mindestens einmal als Fahrer für den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der NPD tätig.
Da hilft es auch nicht, wenn die NPD versucht, sich von diesen grausamen Morden zu distanzieren. Denn was will man auch von einer Partei erwarten, die sich mit Holocaust-Leugnern umgibt? Wir dürfen es nicht zulassen, dass mit Steuergeld auch noch militante Neonazi-Strukturen mitfinanziert werden. Ein Verbot dieser Partei wäre der einzig richtige Schritt, denn die Überwachung durch den Verfassungsschutz hat die Mordserie ja auch nicht verhindert. Hier gilt es, die Rolle des Verfassungsschutzes vollständig aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Aus diesem Grund gibt es aus Sicht der IG Metall nur eine Konsequenz: Sofortiges Abschalten aller Quellen des Verfassungsschutzes und Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die NPD. Denn Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Wir lassen uns unsere schöne Region nicht durch Neonazis versauen!
Autor: Raoul Ulbrich, IG Metall