„Ich bin Konstanzerin. Ich bin hier zu Hause“

Foto: W. Mikuteit

Mit der Rede von Zahide Sarikas beenden wir die Serie von Rede-Veröffentlichungen aus der Kundgebung „Gegen rechte Gewalt“. Die Ansprache der einstigen SPD-Landtagskandidatin, die während des Wahlkampfes Opfer eines immer noch nicht aufgeklärten Attentats wurde, geriet zum emotionalen Höhepunkt der Veranstaltung vor einer Woche. Ihr Bekenntnis zur ihrer Heimatstadt Konstanz ging allen unter die Haut und könnte manchen Ewiggestrigen zum Nachdenken verhelfen. Liebe Freundinnen und Freunde,

Ich bin Konstanzerin,

Ich bin hier zu  Hause.

Aber ich bin nicht mehr frei von Angst. Das war einmal anders und ich wünsche mir, dass es wieder so sein kann. Aus meiner Sicht geht es heute nicht nur darum aufzuzeigen, wo die Gefahren von rechter Ideologie, Hass und Gewalt liegen, sondern auch darüber zu reden, wie wir lernen können, miteinander zu leben,

Hier kann ich auf mein eigenes Leben verweisen. Ich kam mit 14 Jahren nach Deutschland. Als Kind einer Gastarbeiter-Familie, ich konnte kein Wort Deutsch, meine Eltern auch nicht, weil beide nicht lesen und schreiben konnten. Aber ich hatte Hilfe von Nachbarn, Lehrern und das politische Engagement hat uns geholfen, uns schnell zu integrieren. Ich bin angenommen in dieser Gesellschaft, ohne deshalb meine Wurzeln verleugnen zu müssen. Mir was immer wichtig, diese positive Erfahrung weiterzugeben und daran Teil zu haben, anderen bei der Integration zu helfen.

Ich bin Konstanzerin,

Ich bin hier zu Hause.

Ich war frei von Angst.

Ich wollte für ein Miteinander leben ohne Hass, wollte Verantwortung übernehmen. Deshalb habe ich bei der Kommunalwahl und bei der Landtagswahl ein politisches Mandat angestrebt. In dem Moment kam mir das gar nicht besonders oder besonders mutig vor. Im Nachhinein betrachtet, war es doch mutig, und die Gefahr hat sich realisiert.

Die Frage ist also: Was lerne ich daraus,und was lernen wir daraus? Ich lerne daraus, nicht weg zuschauen. Ich bin jetzt sensibler für direkte aber auch unterschwellige Anfeindungen. Ich habe früher vieles nicht ernst genommen, was mir jetzt Sorgen bereitet. Ihr, liebe Freundinnen und Freunde, seid hoffentlich nicht am eigenen Leib für rechte Gewalt sensibilisiert worden. Wir alle müssen deshalb lernen, auch ohne eigene Erfahrung, alle Anzeichen von Hass und rechtsextremen Gedankengut ernst zu nehmen. Wir müssen radikale Tendenzen genau beobachten. Wir dürfen sie nicht verharmlosen. Wo rechte Gewalt nicht sichtbar ist, kann es trotzdem einen guten Nährboden für sie geben. Den Nährboden können wir austrocknen.

Wenn wir in der Erziehung die richtige Grundlagen legen. Denn keiner kommt als Rechtsradikaler auf die Welt. Es liegt an uns, ob wir als Eltern, Lehrer oder Politiker unsere Kinder ohne Hass erziehen. Wir sind es, von denen sie Vorurteile hören oder auch nicht. Und die ihnen vorleben, wie man miteinander leben kann.

Da hilft es natürlich überhaupt nicht, wenn staatliche Organe auf einem Auge blind sind. Denn das Vertrauen muss natürlich auf allen Seiten wachsen können. Diejenigen, die von Hass besessen sind, müssen lernen, dass es keinen Grund dafür gibt. Niemand, kein Deutscher und auch sonst keiner, will ihnen etwas wegnehmen, was ihnen rechtmäßig zusteht. Sie müssen lernen, hierauf zu vertrauen. Und diejenigen, die Objekt des Hasses sind, müssen darauf vertrauen können, dass sie vom Staat geschützt werden. Sie müssen darauf vertrauen können, dass sie einen Platz in unserer Gesellschaft haben, und dass ihr Beitrag zum Funktionieren dieser Gesellschaft willkommen ist. Dann werden sie für dieses Land Verantwortung übernehmen und sagen: Ich bin hier zu Hause.